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»Was hat denn der?« sagte Georg leise.

»Er hatte ein Mädel und wollte im nächsten Urlaub heiraten. Dann kam Stalingrad.«

Die anderen schwiegen. Die Gedanken flogen zurück über Tausende von Kilometern. Sie drangen in enge Stuben und weite Wälder, in schmutzige Straßen und blühende Wiesen.

Sie hat fünf Kinder ... ob sie mit der Rente auskommt? Oder ob sie schneidern geht? Sie machte ja den Kindern alles selbst.

Die Fabrik war 1942 zerstört ... ob sie der Schwager wieder aufbaute? Und Luise? Ob das Haus noch steht? Die Rosen, die ich veredelt habe? Mein Gott, was war das für ein Leben . und heute wären ein Pfund Brot und ein Stück Butter das Paradies.

Peter Fischer hieb mit der Faust auf den Tisch.

»Das Leben ist so und so doch nur noch Scheiße! Ich trete der Kommune bei! Ich gehe zum Major und melde mich.«

Julius Kerner nickte. »Ich gehe mit.«

»Mit oder ohne Trompete?« schrie einer aus der Ecke.

Man lachte. Es war eine Erlösung, eine Befreiung. Man lachte schrill und ausgelassen und hieb Kerner auf die schmalen Schultern.

»Nimm sie mit, Julius«, rief einer. »Dann kannste ihnen die Internationale auf Herms Niels blasen!«

Karl Eberhard Möller sprang auf den Tisch. Seine Arme kreisten dirigierend über den Köpfen der Männer.

»Ein Lied!« schrie er. »Ein Lied. Drei - vier!«

»Völker, höret die Signale, auf zum letzten Gefecht, die Internationale erkämpft das Menschenrecht.«

Die Stimmen sprangen in die kalte Schneenacht hinaus. Leutnant Piotr Markow zog die Stirn kraus, als er den fernen Gesang hörte. Er las in der Prawda einen Roman von Paustinow.

Major Worotilow hörte nichts. Er saß an seinem Radio und hatte Europa eingeschaltet. Kurzwelle - Sender Berlin. Walzermusik durchströmte den warmen Raum. Ein Tenor sang mit weicher Stimme eine einschmeichelnde Melodie.

Franz Lehar. Der Graf von Luxemburg.

Im Sessel bei Worotilow hockte Janina Salja. Sie hatte die Beine hochgezogen und knabberte an einem Keks.

Worotilows breites Gesicht glänzte.

»Du bist schön«, sagte er leise.

Sie nickte stumm. Sie hatte Angst.

Dr. Böhler saß bei der Kasalinsskaja im Zimmer und sah die Berichte der einzelnen Sanitätsstationen der Außenlager durch, als Dr. Sergeij Basow Kresin eintrat und sich lachend an den Türrahmen stellte.

Er schien voller Humor und Frohsinn zu sein, er bebte förmlich vor Witz. »Ihre Landsleute sind herrlich!« schrie er voller Vergnügen. »Sie sind die Zukunft Europas!« Er prustete wie ein badender Elefant und setzte sich massig auf einen der herumstehenden Stühle. »Heute morgen haben sich drei Baracken geschlossen beim Major gemeldet.«

»Krank?« fragte die Kasalinsskaja.

»Nein! Zum Eintritt in die Kommunistische Partei!«

Dr. Böhler sah von den Papieren auf. Sein langes, schmales Gesicht war ausdruckslos. »Das ist ein Scherz, Doktor Kresin.«

»Gehen Sie doch hin zu Worotilow. Er zeigt Ihnen die lange Liste der neuen Weltrevolutionäre! Übrigens« - er gluckste vor Vergnügen - »Ihr Sanitäter Nummer eins ist auch dabei.«

»Emil Pelz? Unmöglich!«

»Sagen Sie nicht unmöglich, wenn er unterschrieben hat! Mit ihm die ganze Musterbaracke . der Gärtner, der kühne Trompeter, der versehentliche Sohn Sauerbruchs ... sie alle.«

Dr. Böhler erhob sich. Seine Blicke kreuzten sich mit denen Alexandras. Er las in ihnen Schadenfreude und einen stillen Triumph. Sie wird immer eine Russin bleiben, dachte er. Nichts wird sie ändern . keine Liebe, kein Schmerz, kein seelischer Schock. Sie gehört zu Rußland wie die Wolga und der Don, der Ural, die Taiga und die Tundra.

»Waren Werber im Lager?« fragte er, nur um etwas zu sagen.

»Nein, o nein.« Kresin wieherte. »Wir werben durch Taten! Hunger erzeugt klare Köpfe! Wer nichts zu fressen hat, wird vernünftig! Das ist das ganze Geheimnis vom fruchtbaren Acker des Kommunismus. Je mehr Elend in der Welt, um so stärker die Partei! Satte Mägen revoltieren nicht!«

»Und was wird nun mit diesen Männern?« »Worotilow muß sie an die Zentrale nach Moskau melden. Dann wird ein Kommissar kommen und sie sich ansehen, ob sie auch würdig sind, die Idee von Marx zu vertreten. Sind sie es, so kommen sie weg aus dem Lager.«

»Wohin?«

»Das weiß ich nicht.« Kresin zuckte mit den Schultern und grinste. »Auch der gefangene deutsche Kommunist bleibt ein gefangener deutscher Soldat! Ehe wir ihn laufen lassen, müssen wir die Gewähr haben, daß er in seiner Heimat auch das bleibt, was er uns hier verspricht. Wir werden nur kleine Gruppen zurückschicken.«

»Und wenn er in Deutschland abfällt?!«

Dr. Kresin wurde ernst und sah zu Boden. »Sie werden es nicht können. Man sagt ihnen, daß ein Abfall ihre zurückgebliebenen Kameraden treffen wird ... nicht sie! Alle, die mit den Abgefallenen kamen, werden dann in ein Straflager kommen.«

Dr. Böhler sah Dr. Kresin erstaunt an. »Man scheint in Rußland viel vom deutschen Ehrgefühl zu halten.«

»Äußerst viel, Doktor! Die Geschichte hat uns gezeigt, daß der Kommunismus am kommunistischsten in Deutschland war. Das werden wir nie vergessen, wenn wir die Aufmarschbasis für den Sturm auf Europa ausarbeiten.«

»Sie sprechen wie Worotilow«, sagte Dr. Böhler verblüfft.

Kresin zuckte mit den Schultern.

»Wundert Sie das?« Er lachte sarkastisch. »Wir Kommunisten haben doch ein Einheitsgehirn.«

Dr. Schultheiß trat ins Zimmer. In seinem Gesicht stand Sorge. Er sah Dr. Böhler an und dann die beiden russischen Ärzte.

»Janina hat nach drei Monaten wieder Auswurf«, sagte er. »Leichte Temperatur und Nachtschweiß.«

Die Kasalinsskaja lachte höhnisch auf. »Kein Bock ist ein sanfter Liebhaber.«

Dr. Schultheiß schwieg verbittert. Er wußte, daß Janina in der vergangenen Nacht bei Worotilow gewesen war. Er hatte wach gelegen und sich vor Eifersucht hin und her gewälzt, in die Decke gebis-sen und vor sich hingewimmert wie ein hysterisches Mädchen. Am Morgen war er dann an ihr Bett getreten und hatte ihr sofort die Verschlimmerung angesehen.

»Sie müssen wieder liegen, Janina«, hatte er in ärztlichem, unpersönlichem Ton gesagt. »Sie waren töricht und ungehorsam und haben jetzt die Folgen zu tragen. Wenn Sie so weitermachen, hilft keine Kur, und Sie werden nach einem Blutsturz sterben!«

»Du bist roh, Jens«, hatte Janina leise geklagt. »Warum bist du so roh.?«

»Sie haben meine Verordnungen nicht befolgt, Janina.«

»Ich hatte Sehnsucht, Jens. Ich konnte nicht anders.«

»Jeder Mensch hat die Kraft, sich zu bezwingen. Wir sind doch keine Tiere.«

Janina hatte die Augen geschlossen. »Ich doch, Jens, ich doch. Ich bin ein Tier.«

Plötzlich hatte sie in seinen Armen gelegen, ein Hustenanfall durchrüttelte ihren zarten Körper.

Er hatte sie vorsichtig zurückgebettet und die Decken über sie gebreitet. Ihre Brust atmete schnell, der Puls jagte. Schweiß brach aus den Poren, klebriger, kalter, kranker Schweiß.

Dr. Schultheiß war aus dem Zimmer und zu Dr. Böhler gerannt.

Die Kasalinsskaja stand auf und strich sich die Haare aus der Stirn.

»Schlimm?« fragte sie.

»Sie war sehr erregt. Das hat sie völlig erschöpft. Es wäre gut, wenn sie den Winter über in den Süden reisen könnte.«

Alexandra blickte Dr. Schultheiß von der Seite an. In ihren Augen stand Erstaunen und Verständnislosigkeit.

»Sie soll weg von hier?« Von Ihnen, wollte sie sagen, aber sie bezwang sich wegen der Anwesenheit von Dr. Kresin.

Dr. Schultheiß nickte. »Es wäre besser, für alle.«

»Ach so.«

Dr. Kasalinsskaja verließ das Zimmer und ging hinüber zur Lungenstation. Als sie das Zimmer Saljas betrat, lag Janina schräg unter den Decken. Ihre nackten Beine hingen im kalten Luftzug des geöffneten Fensters. Die Schultern waren wie Eis. Sie war besinnungslos.

Die Stimme der Kasalinsskaja gellte durch den Flur.

»Dr. Böhler!«