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»Wie Sie wollen!« Dr. Kresin war gegangen, hatte draußen einen der Sanitäter am Rock gefaßt und geknurrt:

»Wenn du mich nicht sofort unterrichtest, wenn sich der Zustand verschlechtert, kommst du ins Waldlager.«

Nun schreibt Sellnow, daß es ihm ein wenig besser gehe. Aber er hat den Geruch völlig verloren. Er führt das nun doch auf eine leichte Vergiftung zurück, wenn es auch unerklärlich ist, wer ihn vergiftet haben könnte, womit und warum.

Dr. Böhler hatte den Brief sinken lassen und war sehr nachdenklich geworden. »Es muß hier manches anders werden, Schultheiß«, hatte er zu mir gesagt. »Ich weiß nichts Bestimmtes, aber ich ahne etwas Schreckliches.«

Mehr sagte er nicht. Und ich weiß nicht, was er damit andeuten wollte ... ich bin so ganz in meine Aufgabe versunken, Janina zu pflegen und ihr das kurze Leben, das noch vor ihr liegt, schön und glücklich zu machen.

Ob die Liebe wirklich heilt? Ob sie stärker ist als alle Medizin.?

Ich würde Janina lieben, wenn ich nicht selbst daran zerbrechen würde. Und das darf ich nicht . ich darf es nicht. Ich bin Arzt für Tausende gefangener, hilfloser Kameraden.

In der Kommandantur saß Kommissar Kuwakino mißmutig hin-ter dem Tisch und beobachtete Dr. Böhler, wie er die einzeln eintretenden Deutschen gründlich untersuchte. Die fünf Schreiber nahmen zunächst die Personalien auf: Name, Alter, heimatlichen Wohnort, Straße, Familienstand, ehemalige Zugehörigkeit zu einer NS-Organisation, Block und Barackennummer, seit wann gefangen, und grinsten sich an, wenn Dr. Böhler zwölf oder dreizehn sagte.

Beim erstenmal hob Worotilow die Augenbrauen. Aber er schwieg. Kuwakino war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt und machte sich Vorwürfe, daß er so dumm gewesen war, dem deutschen Arzt, diesem verdammten Plenni, die Hand zu bieten, die er dann zurückziehen mußte, weil der Arzt sie übersah. Das erregte ihn so, daß er nur seinen Zorn nährte, von dem er erwartete, daß er ihm die nötige Härte geben würde, die Auserwählten, die künftigen Kommunisten, in die seelische Zwickmühle zu nehmen.

Leutnant Markow, der an der Tür stand und jeden Eintretenden mit einem Fußtritt bedachte - er betrachtete das als seinen Privatsport und machte sich ein Vergnügen daraus, seine Stiefelspitze so anzusetzen, daß sie schmerzhafte Weichteile berührte -, runzelte die Stirn, als er die ersten Zahlen hörte und das Grinsen auf den Gesichtern der fünf Schreiber bemerkte. Er trat von der Tür weg in das Zimmer und stieß Dr. Böhler unsanft in die Seite.

»Was soll Zallen?«

Dr. Böhler schwieg. Er legte sein Stethoskop auf den Tisch und griff nach seiner Steppjacke, die er bei der Wärme im Raum abgelegt hatte. Verblüfft sah ihn Major Worotilow an.

»Was machen Sie denn da?« fragte er.

»Ich ziehe mich an und gehe in mein Lazarett zurück. Die Untersuchung kann ja Dr. Kresin weiterführen. Ich bin es nicht gewöhnt, daß man mich während der Untersuchung in die Seite stößt.«

Worotilow wurde hochrot. Er starrte auf Markow, der grinsend neben Dr. Böhler stand und Sonnenblumenkerne kaute. Kuwaki-no hatte ebenfalls aufgeblickt und war zu zerstreut, um einzugreifen.

»Untersuchen Sie weiter!« sagte Worotilow streng.

»Nein!«

»Sie weigern sich? Sie sind Kriegsgefangener wie alle anderen auch!«

»Dann bitte ich als ein solcher behandelt zu werden, um Einweisung in eine Baracke und ein Arbeitskommando!«

Worotilow stützte sich mit beiden Händen schwer auf den Tisch. Er umklammerte die Platte und hielt sich daran fest, da er Lust empfand, aufzuspringen und um sich zu schlagen. An seinen Schläfen und über der Nasenwurzel schwollen die Adern an.

»Sie untersuchen!«

»Nein.« Dr. Böhler knöpfte seine Jacke zu und griff nach seiner Fellmütze. Leutnant Markow riß sie ihm aus der Hand und schleuderte sie in eine Ecke. Sein Gesicht strahlte. Rache! Rache!

Dr. Böhler sah seiner Fellmütze nach und nickte Worotilow zu. »Dann gehe ich ohne Fellmütze! So viele meiner Kameraden hatten keine Fellmütze und erfroren sich die Ohren. Ich habe im Jahre 1944 über siebzig Ohramputationen vorgenommen.« Er wandte sich um und wollte an Markow vorbei, als ihn dieser an der Steppjacke festhielt und zurückriß.

»Deutsches Schwein!« brüllte er. »Ich dich schlaggen tot!«

Die fünf Schreiber an den Tischen erstarrten. Ihr Stabsarzt! Ihr Dr. Böhler. Julius Kerner bebte. »Ersäufen!« flüsterte er zu Peter Fischer hin. »Morgen abend, in der Latrine! Und wenn wir alle draufgehen!«

»Halt die Fresse!«

Major Worotilow sah Leutnant Markow an. Es fiel ihm unendlich schwer, in Gegenwart der Kriegsgefangenen einen russischen Offizier zu tadeln und zurechtzuweisen. Markow wußte das, und rechnete damit, daß Worotilow schwieg. Er kostete den Triumph der Stunde voll aus und trat Dr. Böhler mit breitem Grinsen ins Gesäß. Der schlanke Körper des Arztes schnellte durch den Tritt nach vorn und krachte gegen den Tisch, an dem Kuwakino saß. Dieser sprang auf und tat etwas, was Leutnant Markow nie erwartet hätte. Er ergriff das Tintenfaß und warf es ihm an den Kopf. Mit einem Schrei prallte Markow gegen den Tisch und fiel zu Boden. Die

Tinte lief ihm über Stirn, Augen und die Uniform. Im Hintergrund sagte einer der Wartenden »Bravo!«

Worotilow schwieg und sah zur Tür. Wütend sprang Markow auf und verließ fast rennend den Raum. Kommissar Kuwakino setzte sich wieder und wandte sich an den schweratmenden Dr. Böhler.

»Untersuchen Sie bitte weiter. Ich werde diesen Vorfall in Moskau klären. Wir haben von der Zentrale Befehl, gerade die deutschen Ärzte besonders höflich zu behandeln. Ich darf es Ihnen sagen, weil ich mich entschuldigen muß für Leutnant Markow.«

Major Worotilow setzte sich. Er legte seine großen, dicht behaarten Hände auf die Tischplatte und sah auf sie nieder. Er hörte nur, wie sich Dr. Böhler aus seiner Steppjacke schälte und das Stethoskop wieder zur Hand nahm.

»Der nächste«, sagte seine Stimme. Und dann wieder das geheimnisvolle: »Zwölf.«

Emil Pelz trat in den Raum. Er lächelte seinen Stabsarzt an und machte den Oberkörper frei. »Gesund bis aufs Heimweh, Herr Stabsarzt«, sagte er dabei. Dr. Böhler beachtete ihn nicht - er untersuchte ihn wie alle anderen und blickte dann doch erstaunt auf, als er die Brust abzuhorchen hatte.

»Du hast ja einen Herzfehler?« sagte er.

»Möglich.«

»Und gemerkt hast du bis jetzt nichts?«

»Nee.«

»Zwölf.« sagte Dr. Böhler zu Julius Kerner, der grinsend etwas in die Liste schrieb. »Der nächste.«

Ein älterer Mann trat vor. Er hatte einen weißen Spitzbart und müde Augen.

»Wie alt bist du?« fragte ihn Dr. Böhler.

»Dreiundfünfzig Jahre, Herr Stabsarzt.« Der Mann schluckte. »Ich habe sieben Kinder zu Hause und eine kranke Frau.«

»Und du glaubst, daß dich die Kommunistische Partei nach Hause schickt?«

»Man hat es mir gesagt.«

Dr. Böhler wandte sich zu Major Worotilow um. »Stimmt das, Major?«

Worotilow schwieg. Kommissar Wadislav Kuwakino wurde unruhig und klopfte mit einem Bleistift auf den Tisch.

»Wir werden unser Versprechen halten. Im übrigen sollen Sie nicht fragen, sondern lediglich untersuchen.«

»Zwölf.« sagte Dr. Böhler. Und leise, während er noch einmal das Stethoskop auf die Brust des Alten legte und seinen Mund nahe zu ihm brachte, murmelte er: »Du bleibst hier. Es ist besser für dich.«

Blaß und schwankend verließ der Alte den Raum. Er sah jetzt wirklich wie ein Greis aus - der Schreinermeister aus Hameln, den sie den Alten nannten und der doch nur dreiundfünfzig Jahre zählte.

Major Worotilow hatte ein gutes Gehör und Gedächtnis. Er registrierte, daß Dr. Böhler mehr zwölf als dreizehn sagte, und daß die mit Dreizehn Bedachten durchweg kräftige, oft unangenehme Schlägertypen waren, wie sie bei allen Truppen zu finden sind, Soldaten, die für eine Scheibe Brot morden können und den besten Freund verraten, um weiterzukommen. Auch meldeten sich einige Altkommunisten, die schon vor 1933 in Deutschland der Jung-KPD angehörten. Sie wurden von Dr. Böhler oberflächlich abgehorcht und mit einer Dreizehn hinausgeschickt.