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Der junge Offizier war bleich geworden. Er verglich noch einmal die Transportlisten mit den Kisten, die man abgeladen hatte. Kein Zweifel - es fehlte die kleine Kiste mit dem Narkosematerial. Entweder hatte man sie beim Aufladen einfach zur Seite gestellt, oder sie war gar nicht mitgeliefert worden, war schon auf dem Weg nach Stalingrad verschwunden in einen dunklen Kanal, durch den man sie weiterschob.

Major Worotilow schaute die Lazarettbaracke entlang, wo an einem Fenster der schmale, blasse Kopf Janinas sichtbar wurde.

»Jetzt wirst du geheilt, mein Täubchen!« schrie er durch die Kälte. »Jetzt werden wir dich gesund machen - nicht wahr, Dr. Schultheiß?«

Der junge Arzt nickte schwach. »Wenn die Pneuapparatur da ist . ich habe dann Hoffnung.«

Major Worotilow ergriff im Überschwang des Augenblicks seine Hand: »Wenn Sie Janina retten, können Sie von mir haben, was Sie wollen!«

»Das haben Sie mir schon einmal versprochen.«

»Und ich werde es halten! Ich will dafür sorgen, daß Sie schnell zurück in Ihre Heimat kommen.«

Entgeistert sah Dr. Schultheiß ihm nach, als er zurück zur Kommandantur stapfte. In die Heimat ... wie schrieb doch seine Mutter? Mein lieber, lieber Junge, sei tapfer, wir glauben alle an ein Wiedersehen. Vater ist aus englischer Gefangenschaft zurückgekommen, er ist alt geworden, aber er will seinen Dienst im Krankenhaus wieder aufnehmen. Die große Hoffnung, Dich wiederzusehen, ist die Kraft, die uns viel Schweres ertragen läßt. Wir küssen Dich, mein lieber Junge. Deine Mutter. Und der Vater schrieb darunter: Mein Jens. Ich weiß, daß Du wiederkommst. Du mußt es auch wissen. Du mußt! Ich umarme Dich. Dein Vater.

Und Worotilow versprach, ihn früh zu entlassen.

Er sah hinüber zu dem Fenster, an dem Janina stand. Sie blickte nicht dem weggehenden Worotilow nach - sie sah ihn an, groß, lächelnd und glücklich. In ihren Augen strahlte die Liebe.

Mit aufeinandergepreßten Lippen beugte er sich über die Kisten.

Wir glauben alle an ein Wiedersehen . schrieb die Mutter.

Ich weiß, daß Du wiederkommst. Du mußt es auch wissen . schrieb der Vater.

Und er würde nicht kommen, wenn er Janina liebte.

Alexandra Kasalinsskaja saß am Bett von Sellnow und hielt seine heißen Hände. Sie war seit zwei Wochen in der Fabrik >Roter Oktober und pflegte ihn.

Ihre Blässe hatte etwas nachgelassen. Die frische Schneeluft und die Ruhe, vor allem aber Sellnows Nähe wirkten heilend und kräftigend auf sie. In einem dicken Wollkleid, am Halse hochgeschlossen, von mittelgrauer Farbe, dicken Wollstrümpfen und hohen Schuhen sah sie aus wie eine der tausend Frauen in Stalingrad, die durch den Schnee eilen und vor den Läden der staatlichen Geschäfte anstehen. Um ihr linkes Handgelenk klirrte eine schwere goldene Kette, der einzige Schmuck, den sie trug. Nicht einmal eine Nadel hellte das dumpfe Grau des Kleides auf.

Sellnows Zustand war sehr wechselnd. Zwischen Fieberschauern und völlig gesunden Tagen pendelte er hin und her. Immer, wenn er die Hoffnung hatte, die Krankheit überwunden zu haben, warf ihn ein neuer Rückfall nieder und hielt ihn drei oder vier Tage im Bett, das er dann gesund und verwundert über diese Krankheit wieder verließ und weiterarbeitete, als sei er nie krank gewesen.

Auch die Kasalinsskaja konnte nicht sagen, welcher Art diese Krankheit war - zumindest behauptete sie, es nicht feststellen zu können, und pflegte Sellnow während der Anfälle mit rührender Hingabe.

Als sie auf Anraten Dr. Kresins ihre Ferien nahm und nach Stalingrad kam, hatte Sellnow gerade seine anfallfreien Tage, stand im Ordinationszimmer seines Behelfslazaretts vor dem Verbandstisch und versorgte eine Quetschwunde. Alexandra kam ohne anzuklopfen in den Raum und sah sich erstaunt um. Sellnow, der sie eintreten sah, nahm keinerlei Notiz von ihr, wenn auch sein Atem schneller ging und das Blut in seinem Hals zu klopfen begann.

»Nanu?!« rief die Kasalinsskaja. »Ist keiner da, der mich begrüßt?!«

»Stören Sie nicht!« erwiderte Sellnow. »Sie sehen doch, daß ich verbinde! Tür zu! Es zieht!«

Gehorsam, aber mit knirschenden Zähnen, schloß Alexandra die Tür und blieb regungslos stehen. »Sie haben seit vier Tagen keine Meldungen mehr an die Zentrale geschickt! Dr. Kresin ist sehr ungehalten.«

»Das soll er mir selbst sagen, aber nicht eine Frau schicken!«

Die Sanitäter sahen starr auf ihren Arzt. Wie sprach er mit der gefürchteten Kasalinsskaja? Sellnow untersuchte in aller Ruhe die Quetschung und verband sie. Dann drehte er sich um, ging an Alexandra vorbei, wusch sich in einer Schüssel die Hände und trocknete sie umständlich ab.

»Was stehen Sie eigentlich hier herum?!« fuhr er sie an. »Ich habe jetzt zu tun und keine Zeit, mir die Beschwerden des Herrn Dr. Kre-sin anzuhören!«

»Man sollte Sie zur Erschießung melden!« schrie die Kasalinsskaja. Die Soldaten in dem Zimmer erbleichten und traten zurück, nur

Sellnow lächelte.

»Das wäre doch zu schade«, meinte er. »Was man am Tage sagt, hat man schon oft in der Nacht bereut.«

Die Ärztin kniff die Augen zusammen. Gift und Gier sprang Sellnow aus diesem Blick an. Dann drehte sie sich brüsk um und riß die Tür auf. Mit langen Schritten eilte sie davon. Sellnow rief ihr nach: »Bitte das nächste Mal die Tür schließen!«

Er hörte, wie die Kasalinsskaja am Ende des Ganges vor Wut mit der Faust an die Mauer trommelte.

Nach dem Mittagessen in der Stolowaja, dem großen Eßsaal der Fabrik, ging er zurück, in sein Zimmer. Dort lehnte die Kasalinss-kaja an der Wand und wartete. Ihre schwarzen Augen waren verschleiert. Stumm standen sie sich gegenüber. Dann warf sie die Arme um seinen Hals, zerwühlte seine Haare und krallte sich in seinem Nacken fest. Wie eine Trunkene suchte sie immer wieder seine Lippen und stöhnte unter seinen Liebkosungen. »Du.«, flüsterte sie. »Du Wolf!Du Tiger.«

Schwer atmend saß sie dann auf seinem Bett und ordnete Haare und Kleidung. Er sah ihr zu, wie sie das Bein weit ausstreckte und den Strumpf befestigte. Ihre langen Schenkel leuchteten matt in dem grellen Licht. In ihren Augen lag unverhülltes Glück, eine wundervolle Seligkeit und Erlösung.

»Wann mußt du wieder fort?« fragte er leise.

»Wenn du willst ... nie!«

»Du kannst bei mir bleiben?« stieß er glücklich hervor.

»Vierzehn Tage, Werner.«

»Vierzehn Ewigkeiten.«

Sie sprang auf und warf die Arme um ihn. Ihr Gesicht strich wie eine schmeichelnde Katze über seine Wange.

»Mein süßer, kleiner Plenni.«, flüsterte sie. Er drückte seine Finger in ihr Fleisch, daß sie aufschrie.

»Ich will das nicht hören«, sagte er heiser. »Ich will in deiner Nähe kein Plenni sein. Ich will frei sein in deinen Armen - frei wie ein Adler in der Luft.«

»Ich werde ihn herunterschießen und sein Herz essen!« flüsterte sie heiß. »Sein Herz aus der warmen, blutenden Brust!« Sie nahm seinen Kopf zwischen die Hände und küßte sein Gesicht, ihre Zähne nagten an seiner Haut. »Ich möchte ein Vampir sein«, stammelte sie, »ich möchte dir das Blut aussaugen.«

»Du bist eine asiatische Katze«, sagte er und entzog sich ihren Händen.

Umschlungen standen sie an dem kleinen Fenster, das hinausführte auf den Fabrikhof. Am Ende des Platzes war wieder der hohe Stacheldraht. Auf der breiten Mauer patrouillierte ein russischer Posten in einem langen, dicken Mantel. Die riesigen Schornsteine qualmten.

»Immer Stacheldraht«, sagte Sellnow. Seine Stimme war dunkel vor Kummer. »Er wird immer zwischen uns sein.«

»Einmal wird es vorbei sein. Man hat schon Tausende entlassen, Werner.«

Sellnow schloß die Augen, um ihrem Blick auszuweichen. »Und dann?« fragte er.

»Dann werden wir immer Zusammensein . ein ganzes Leben lang!«

»In Rußland?«

»Oder in Deutschland. Ich werde überall mitgehen, wohin du gehst.«

Er drückte ihren Kopf an sich und streichelte ihren Rücken. Über sie hinweg blickte er auf den Draht und den Posten, auf die deutschen Gefangenen, die unten im Hof den Schnee schaufelten, und auf den jungen Leutnant, der gerade aus der Wachstube trat und seine Tellermütze auf den kahlen Schädel drückte.