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»Es ist eine sehr ernste Angelegenheit. Es ist wegen Fräulein Sal-ja.«

»Janina?« Major Worotilow zog mit den bestrumpften Beinen einen Stuhl heran und wies auf ihn. »Setzen Sie sich, Dr. Schultheiß.« Er sah in sein Weinglas und vermied es, den Arzt anzusehen. »Sie haben schlechte Nachrichten?«

»Fräulein Salja befolgt den Rat der Ärzte nicht. Wir können für keine Gesundung oder auch nur Besserung garantieren, wenn sie weiterhin das tut, was wir streng verbieten: Aufstehen, Herumgehen in dünnen Kleidern, Aufregungen, kein Einnehmen der Medizin.«

»Ich werde noch heute mit ihr darüber sprechen«, sagte Major Wor-otilow.

Dr. Schultheiß schüttelte den Kopf. »Es wird nichts helfen. Ich habe es auch versucht, mit allen Argumenten. Sie leidet unter einem Komplex.«

»Wieso?«

»Sie ist eifersüchtig.« Dr. Schultheiß fühlte, wie es in ihm kalt wurde. Jetzt ist es gesagt. Jetzt muß er den Sachverhalt erklären, und die tödliche Feindschaft mußte zwischen ihnen beiden ausbrechen. Dr. Schultheiß war sich klar darüber, daß er der Unterlegene sein würde, er, der entrechtete Plenni, angewiesen auf das Wohlwollen seiner Bewacher und nur getragen von dem schnell verschwindenden Lächeln asiatischer Unergründlichkeit.

»Eifersüchtig?« fragte der Russe gedehnt. »Auf wen denn eifersüchtig?«

»Auf die neue Assistentin Terufina Tschurilowa.«

»Ich kenne sie ja kaum! Wie kann Janina auf sie eifersüchtig sein?«

»Weil ich oft in ihrer Nähe bin, Major.«

Worotilow senkte den Blick. Er umklammerte das Weinglas, und Dr. Schultheiß dachte, er würde es zerbrechen. Die Knöchel an den

Fingern waren weiß.

»So ist das?« sagte Worotilow leise. Seine Stimme war rauh und brüchig.

»Ja, so ist das, Major.«

»Weiß es Dr. Böhler?«

»Nein.«

»Dr. Kresin?«

»Nein. Es weiß keiner außer Ihnen, Janina und mir.«

»Und warum sagen Sie mir das?« Worotilow goß sich Wein ein. Seine Hand zitterte. »Ich kann Sie zertreten wie ein Insekt. Ich kann mich an Ihnen rächen, so fürchterlich, daß Ihr Tod schlimmer wäre als der eines Gefolterten! Wir Russen.«

»Ich weiß es, Major, und ich gebe mich ganz in Ihre Hand.«

»Sie wollen sterben?«

»Nein, durchaus nicht. Aber mir geht die Gesundheit Janinas über mein eigenes Leben. Sie muß gesund werden - dafür ist kein Opfer zu groß!«

Worotilow blickte auf. In seinen Augen lag die Kälte Sibiriens. »So lieben Sie Janina?«

»Ja.«

»Und Sie wagen es, mir das zu sagen!« Er sprang auf und lief in Socken erregt im Zimmer auf und ab. »Ich sollte Sie nackt in den Schneesturm jagen und erfrieren lassen. Ich sollte Sie einfach niederschießen!« Er sah auf den Haken, wo sein Koppel mit der langen Pistole hing. »Ich könnte sagen, daß Sie mich angreifen wollten.«

»Das könnten Sie.« Dr. Schultheiß nickte. »Aber Janina wird Sie nicht decken! Sie würde aussagen.«

»Ich würde sie nach Ihnen erschießen! Eine Russin, die mit einem deutschen Plenni.« Worotilow stockte, eine hektische Röte überzog sein Gesicht. »Wären Sie ein Russe, so würde ich mit Ihnen um Janina kämpfen. Aber Sie sind ein Deutscher - und Sie haben nicht nur mich, sondern meine ganze Nation beleidigt! Ich werde sie Moskau melden!« »Tun Sie es, Major. Aber wichtiger als ich ist Janina. Sie muß geheilt werden! Es geht um ihr Leben. Sie hat wieder Blutauswurf -Wir dürfen sie nicht erregen.«

»Erregen tun Sie sie! Liebe macht erregt!«

»Unsere Liebe ist sanft, Major. Es genügt uns, wenn wir uns sehen, wenn wir unsere Hände halten, wenn wir zusammen sprechen können - und in unseren Augen allein alle Sehnsucht sammeln und verglühen.«

»Der deutsche Romantiker!« Worotilow lachte grell und gequält. »Und das gefällt dem Täubchen. Von der Steppenfüchsin zum Domspätzchen!« Er blieb vor Dr. Schultheiß stehen und starrte ihn an. »Ich möchte Ihnen die Fresse zerschlagen!«

»Ihre Leidenschaft, Major, beschleunigt den Verfall Janinas! Sie ist ein zerbrechliches Geschöpf - wie chinesisches Porzellan, hauchzart und unter den Händen zerbrechend, wenn diese Hände zu grob sind.«

»Und Sie haben weichere, nicht wahr? Sie können sie streicheln, ohne daß sie blaue Flecke bekommt. Sie können sie küssen, ohne daß ihre Lippen bluten! Gehen Sie mir weg mit Ihrer deutschen Seele!« brüllte er plötzlich. »Warum leben Sie noch? Warum sind Sie im russischen Winter nicht erfroren? Warum nicht verhungert? Waren wir zu menschlich mit Ihnen? Gibt es wirklich zwanzig Millionen Deutsche zu viel auf der Welt? Sind Sie einer der Überzähligen? Ich möchte Sie zertreten!«

»Warum tun Sie es nicht?«

Major Worotilow wandte sich ab und rannte wieder durchs Zimmer. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verkrampft und gab sich Mühe, Dr. Schultheiß nicht mehr anzusehen.

»Was soll mit Janina geschehen?« fragte er. »Soll sie weg aus dem Lager?«

»Ja.«

»Und wohin?«

»In ein Sanatorium auf der Krim.«

»Und wer soll das bezahlen?« »Ihr so fortschrittlicher, arbeiterliebender Staat! Das Paradies der Werktätigen!«

Worotilow blieb mit einem Ruck stehen. Sein Rücken war dem deutschen Arzt zugewandt. »Warum sagen Sie das?«

»Weil es die Wahrheit ist.«

»Rußland hat Sie über vier Jahre ernährt! Sie können sich nicht beschweren!«

»Und Sie, Major?«

»Ich bin Soldat dieses Staates! Ich bin stolz auf mein Vaterland, mein Rußland!«

Dr. Schultheiß klinkte die Tür auf. »Dann lassen Sie Janina stolz sterben.«

Worotilow fuhr herum. »Wohin wollen Sie?!« brüllte er dröhnend.

»Hinüber ins Lazarett. Ich will versuchen, mit einem Pneumothorax die Lunge Janinas zu retten! Jetzt haben wir endlich das technische Material! Aber ein Pneu allein nützt nichts. Sie muß weg von hier, von Ihnen - und mir.«

»Oder Sie müssen weg!«

»Das wäre das kleinere Übel und würde den Verfall nur beschleunigen. Auf jeden Fall liegt die Wahl bei Ihnen, Major.«

»Bleiben Sie!« Worotilow ging an Dr. Schultheiß vorbei, schloß hinter ihm die Tür ab und steckte den Schlüssel in die Hosentasche. Er trat ans Fenster und zog die Übergardinen zu. Dann erst wandte er sich um. Schultheiß' Herz hämmerte zum Zerspringen.

»Geben Sie mir Antwort«, sagte Worotilow hart. »Würde Janina gesund werden, wenn Sie mit ihr.«

»Ich glaube ja.«

»Und warum tun Sie es nicht?!«

»Weil ich noch das Ehrgefühl besitze, einem Offizier - und wenn es der Gegner ist - die Braut nicht fortzunehmen. Ich habe mich bisher gegen diese Liebe gestemmt, aus Rücksicht auf Sie, Major. Aber jetzt ist ein Stadium erreicht, wo ich nicht länger schweigen darf. Ich beginne einzusehen, daß es Dummheit war, auf Sie Rücksicht zu nehmen, denn Sie würden Janina opfern, um weiterhin ihre

Liebe zu erpressen. Das kann ich nicht verhindern, ich bin nur ein Plenni. So bleibt mir nichts, als Ihnen alles zu sagen und Ihnen die Entscheidung zu überlassen. Wie ich die russische Seele kenne, werden Sie beide opfern - Janina und mich! Und die Ehre des betrogenen - des bis jetzt nur seelisch betrogenen Offiziers ist wiederhergestellt. Zwei Opfer ... sie fallen nicht weiter auf in dem Wald von Kreuzen, der sich vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer durch Rußland zieht.«

Worotilow trat dicht an Dr. Schultheiß heran. Wortlos hob er die Hand und schlug dem Arzt ins Gesicht.

»Das ist für die Beleidigung meines Vaterlandes«, sagte er dabei. Dann griff er in die Tasche und zog eine Packung türkischer Zigaretten hervor. Er klappte die Schachtel auf und hielt sie Dr. Schultheiß hin. »Und jetzt rauchen wir unter Männern eine Zigarette ... das ist für Ihren Mut, Dr. Schultheiß!«

Der Arzt zögerte, dann griff er zu und ließ sich die Zigarette von Worotilow in Brand setzen. Seine Wange brannte. Er setzte sich an den Tisch und sah zu, wie Worotilow noch ein Glas holte und einschenkte.

»Es geht nur um eins - retten Sie Janina!« Worotilow goß sein Glas hinunter und atmete schwer.