Выбрать главу

Dr. Schultheiß setzte sein Glas ab, ohne zu trinken. Er erfuhr erst jetzt, wie sehr der Russe Janina liebte. Er gab sie frei, um sie zu retten. Es war das Opfer eines Mannes, der keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich zurückzuziehen. Er, der Russe, der Sieger, der Stärkere, der Machtvolle - er begab sich freiwillig seiner Rechte für einen Plenni!

Dr. Schultheiß zerdrückte die Zigarette im Aschenbecher. Auch die Zigarette schmeckte plötzlich bitter. »Es ist vielleicht doch besser, wenn Janina in die Krim fährt«, sagte er. »Besser für uns beide.«

»Sonst wird sie nicht gesund - Sie sagten es selbst.«

»Zumindest dauert die Heilung länger.«

Worotilow ließ seine große Hand durch die Luft kreisen. »Reden

Sie mit mir nicht als Arzt - reden Sie wie ein Mensch zum Menschen, ein Mann zum Mann. Wir sind allein, die Tür ist verriegelt, die Fenster sind verhängt. Wir sind völlig ungestört. Wir sind nicht Sieger und Besiegte, nicht Kommandant und Plenni - wir sind zwei Männer, die die gleiche Frau lieben und von denen einer verzichtet, weil es so besser ist. Das ist alles, Dr. Schultheiß.«

Er schob ihm das Glas Wein wieder hin und hob das seine. »Trinken wir auf den Funken Menschlichkeit und Anständigkeit, den wir uns über alle Zeiten hinweg gerettet haben.«

Dr. Schultheiß hob sein Glas und stieß an. »Sie sind wirklich ein seltener Mensch«, sagte er ehrlich. »Ich hatte Sie in vier Jahren fürchten gelernt - jetzt verehre ich Sie.«

Major Worotilow antwortete nicht. Er sah dem Rauch seiner Zigarette nach und schob gedankenlos mit der anderen Hand das Glas hin und her. Schweigend saßen sich die beiden Männer gegenüber.

Im Ofen knackten die Holzscheite, die Eisenplatte glühte.

Janina, dachte er, Janina.

O Gott, wäre doch nie dieser Krieg gekommen ... dieser grausame, unselige Krieg.

Was nur ein Gerücht war, wurde drei Tage später sensationelle Wirklichkeit. Die Plennis standen verwundert und mit offenem Mund vor den Baracken im Schnee und sahen auf die beiden Lastwagen, die durch das große Lagertor rollten und auf dem Abstellplatz von Major Worotilow, Dr. Kresin und Dr. Böhler empfangen wurden.

Als sich die Planen hoben, sah man zuerst Kisten und Kartons, dann aber schälten sich einige in Pelze und Steppjacken vermummte Gestalten aus dem Inneren der Lastwagen und kletterten mit kälteerstarrten Gliedern die kleine Leiter hinunter.

Frauen! Mädchen!

Eine ... zwei ... drei.

Drei Frauen. Deutsche Krankenschwestern!

Sie kamen aus den Lagern 5110/43 Krassnopol und 5110/44 Sta-lino. Der Divisionsgeneral hatte sie von der Zentrale in Moskau für 5110/47 angefordert und einen langen Bericht über die mustergültigen Lazarettverhältnisse geschrieben, die Dr. Böhler mit seinen Ärzten in Stalingrad geschaffen hatte. Selbst Russen lägen in dem Lazarett des Lagers 5110/47 - unter ihnen auch der Genosse Leutnant Piotr Markow mit einer fast tödlichen Blutvergiftung. Dr. Böhler aber habe ihn operiert und ihn mit immer neuen Bluttransfusionen so gut wie gerettet.

Das war einer der maßgebenden Punkte, warum man in Moskau so schnell die Erlaubnis erteilte, aus Krassnopol und Stalino deutsche Schwestern in das Lager an der Wolga zu verlegen. Hinzu kam der lange Bericht des Genossen Kuwakino, der meldete, daß im Lager Stalingrad die Stimmung vorzüglich und man allgemein sehr kommunistenfreundlich eingestellt sei.

Dr. Böhler sah Worotilow an, als die drei Mädchen aus den Lastwagen stiegen und die steifen Glieder dehnten. »Haben Sie die deutschen Schwestern beantragt, Major?« fragte er ernst.

»Nein, Genosse Dr. Kresin. Ich wußte nur davon.«

Dr. Böhler wandte sich an Kresin: »Warum haben Sie das getan?«

»Um Ihnen zu helfen. Ich will, daß Sie hier ein Musterlazarett aufbauen - das beste aller Gefangenenlager.«

»Aber das Eintreffen der Mädels gibt Grund zu Gerede, Dr. Kre-sin! Sie werden sehen, ich habe innerhalb von zehn Stunden das Lazarett überfüllt! Es wird Krankenmeldungen rasseln!«

»Nicht, wenn ich die Auswahl der wirklich Kranken treffe!« sagte Dr. Kresin giftig. »Ihnen macht man aber auch gar nichts recht!«

»Sie werden sehen.«

Dr. Böhler trat zu den drei Mädchen und reichte ihnen die Hand. »Willkommen in Stalingrad«, sagte er ein wenig sarkastisch. »Es wäre besser gewesen, man hätte euch nach Hause gefahren.«

Er nickte ihnen ermutigend zu. »Ich bin Dr. Böhler, so was Ähnliches wie der Chef dieses Lazaretts!«

»Ingeborg Waiden«, sagte eines der Mädchen und drückte die dargebotene Hand. »Ich komme aus Kiel. Schwester, voll ausgebildet.« »Wie lange sind Sie in Rußland?«

»Seit 1943! Gefangen wurde ich erst 1945, bei Königsberg!«

Dr. Böhler sah die beiden anderen an. »Martha Kreutz«, sagte die eine, »Erna Bordner«, die andere.

»Beide aus Stalino«, meinte Martha Kreutz. »Wir kamen schon 1944 in Gefangenschaft und waren bisher in zehn Lagern als Schwesternhelferinnen. Zuletzt - vor Stalino - in Swerdlowsk, im sogenannten Narbenlager.«

Dr. Böhler sah sie verblüfft an. »Narbenlager?«

»Ja. Dort sind die versammelt, die die Blutgruppe unter dem Oberarm eintätowiert oder dort eine Narbe haben, weil sie sich das Zeichen ausbrennen ließen. Wer eine Narbe unter dem Oberarm hat, ist verdächtig und kommt nach Swerdlowsk. Viele sind auch in 5110/33, südlich Swerdlowsk.«

»Hm.« Dr. Böhler blickte die Mädchen an. Sie sahen gut genährt aus, nur die Falten um den Mund und die Ringe unter den Augen erzählten von den schweren Jahren und den schrecklichen Erlebnissen unter Tataren und Mongolen, Weißrussen und fanatischen Sowjets. Jetzt standen sie im Schnee von Stalingrad und sahen zu, wie der Begleitoffizier dem Major Worotilow ihre Papiere übergab. Worotilow nickte und grüßte. Dann wandte er sich an die kleine Gruppe, zu der sich nun auch Dr. Kresin und von der Treppe des Lazaretts her Terufina Tschurilowa gesellten.

»Ingeborg Waiden?« rief Worotilow.

»Hier!« sagte das Mädchen.

»Ich bin Major«, sagte Worotilow steif.

»Hier, Herr Major«, wiederholte Ingeborg Waiden sofort.

Dr. Böhler biß sich auf die Lippen und sah Dr. Kresin an. Der grinste und amüsierte sich. Vor den Baracken standen in Mengen die Plennis und sahen stumm zu.

»Erna Bordner?!«

»Hier, Herr Major.«

»Martha Kreutz?!«

»Hier, Herr Major.«

»Sie sind dem Lager 5110/47 als Schwestern zugeteilt. Was Sie zu tun haben, wird Ihnen Genosse Dr. Sergeij Basow Kresin sagen und der deutsche Arzt! Wenn ich erfahre, daß ihr mit deutschen Kriegsgefangenen oder russischen Wachmannschaften herumhurt, werdet ihr erschossen! Verstanden?«

»Ja, Herr Major«, sagten die drei Mädchen sofort.

Dr. Böhler wandte sich an Dr. Kresin. Er war rot im Gesicht geworden.

»Das ist eine Schweinerei«, sagte er wütend. »So behandelt man keine Krankenschwestern! Ich protestiere!«

»Halts Maul!« sagte Kresin grob. »Seien Sie froh, daß die Weiber hier sind. Der Genosse Major wird seinen Grund haben.«

»Sie unterstellen diesen Mädchen etwas, was für sie beleidigend sein muß! Ich verlange eine menschenwürdige Behandlung!«

»Sie haben gar nichts zu verlangen! Sie sind Gefangener, Dr. Böhler - das vergessen Sie wohl? Sie sind ein schmutziger Plenni! Ihre Erfolge haben Sie wohl größenwahnsinnig gemacht? Sie haben hier nichts zu verlangen, sondern nur zu gehorchen!«

Dr. Böhler sah Kresin verblüfft und entsetzt zugleich an. Diese Wandlung, durchfuhr es ihn. Was hat er bloß? Warum diese plötzliche Distanz und Strenge? Hatte man von Moskau aus einen neuen Kurs befohlen? Ein Befehl von Moskau streicht alle Freundschaft und alle Vergangenheit - in Moskau regieren die einzigen Götter des Russen, ihr Wort ist ein Gebot, ein Heiligtum, ein Evangelium.

Major Worotilow steckte die Papiere in seine Brusttasche. Er wandte sich an Dr. Böhler und war sehr ernst. »Haben Sie die Räume für die Schwestern bereit?«

»Ja. In der neuen Baracke ist ein Raum frei.«