»Uff«, sagte Pancho, »der Vogel hat eine Manövrierfähigkeit wie ein Supertanker — genauso träge und behäbig.«
»Du fliegst schließlich keinen wendigen Raumgleiter mehr«, sagte Dan.
»Die Kurve für die Wendegeschwindigkeit«, sagte Amanda und zeigte mit einem manikürten Finger auf die entsprechende Grafik auf dem Touchscreen. Das Hintergrundbild zeigte die weißen Klippen von Dover.
»Ui«, sagte Pancho. »Sieht noch immer so aus, als ob wir jede Menge Ballast mitschleppten.«
»Das tun wir auch«, sagte Amanda. »Das ganze Deuterium und Helium-Drei.«
Der Brennstoff wiegt sehr viel, wurde Dan sich bewusst. Man stellt sich Wasserstoff und Helium leicht, fast gewichtslos vor. Aber wir haben Tonnen von dem Zeug in den Tanks. Dutzende Tonnen.
Draußen gab es nicht viel zu sehen. Keinen Sternenhimmel, der an ihnen vorbeizog. Keine Asteroiden in Sicht. Nichts außer Leere.
»Wo ist die Sonne?«, hörte Dan sich fragen.
Pancho lachte. »Sie ist noch da, Boss. Ist nicht verschwunden. Wir stehen nur in einem zu steilen Winkel, um sie durchs Fenster zu sehen. Das ist alles.«
Wie zur Bestätigung schwappte ein glühender Lichtschwall durchs Fenster.
»Sonnenaufgang im Sumpf«, rief Pancho.
Dan verspürte wieder einen seitlichen Schub, diesmal von der anderen Seite.
»Wendemanöver abgeschlossen«, sagte Amanda.
»Fluss zum Haupttriebwerk«, sagte Pancho und bediente die Touchscreens.
»Haupttriebwerk bestätigt.«
Die Schwere kehrte auf die Brücke zurück. Dan sank wieder aufs Deck.
Amanda lächelte glücklich. »Auf Kurs und Geschwindigkeits-Vektor. «
»Supergut!«, rief Pancho. »Nun schau'n wir mal, was das Leck macht.«
Kris Cardenas hatte ihr Apartment fast erreicht, als zwei junge Männer in dunklen Anzügen zu ihr aufschlossen.
»Dr. Cardenas?«
Sie drehte sich um. Der Mann, der ihren Namen gerufen hatte, war größer als sein Partner. Er war schlank und drahtig, hatte einen blassen Teint und das dunkle Haar raspelkurz geschnitten. Der andere war kräftig, blond und hatte rosige Backen.
»Kommen Sie bitte mit uns«, sagte der Dunkelhaarige.
»Wohin? Wieso denn? Wer sind Sie überhaupt?«
»Mr. Humphries möchte Sie sprechen.«
»Jetzt? Um diese Zeit? Es ist…«
»Bitte«, sagte der Blonde und zog eine mattschwarze Pistole unterm Jacket hervor.
»Sie verschießt Betäubungspfeile«, sagte der Dunkelhaarige. »Aber man wacht mit höllischen Kopfschmerzen auf. Zwingen Sie uns nicht, sie gegen Sie einzusetzen.«
Cardenas ließ den Blick durch den Korridor schweifen. Die einzige Person, die sich sonst noch auf dem Gang aufhielt, war eine mausgraue kleine Frau, die sofort kehrt machte und sich in die entgegengesetzte Richtung verdrückte.
»Was nun«, sagte der Blonde und richtete die Pistole auf sie.
Mit einem resignierten Achselzucken und einem Kopfnicken kapitulierte Cardenas. Der Blonde steckte die Pistole ein, und sie gingen den Gang entlang zu den Rolltreppen.
»Wenigstens hat die hier keine Schlange«, flüsterte der Blonde seinem Partner heiser zu.
Der andere Mann fand das nicht zum Lachen.
EVA
Pancho wurde von einer seltsamen Erregung ergriffen, als sie die Arme in die Ärmel des Raumanzugs schob. Nach fünftägiger Gefangenschaft im Schiff würde sie einen Weltraumspaziergang unternehmen. Sie fühlte sich wie ein Schulmädchen, wenn die Schulglocke Ferien einläutete.
Sie stand neben der inneren Luftschleusenluke, wo die Raumanzüge aufbewahrt wurden und steckte den Kopf durch den Halsring des Anzugs. Das wird ein Spaß, sagte sie sich voller Vorfreude.
Dan indes schaute griesgrämig, während er den Helm für sie hielt und ihr dabei zuschaute, wie sie die Handschuhe überstreifte und mit den Ärmelbündchen des Anzugs luftdicht verband.
»Neidisch?«, fragte sie.
»Besorgt«, erwiderte er. »Mir gefällt der Gedanke nicht, dass du ganz allein da draußen bist.«
»Pippifax, Boss«, sagte Pancho.
»Ich sollte dich begleiten. Oder vielleicht Amanda.«
»Mandy muss am Ruder bleiben«, entgegnete Pancho mit einem Kopfschütteln. »Es sollten nie beide Piloten gleichzeitig verschwinden, wenn es sich vermeiden lässt.«
»Dann werde ich mich fertig machen…«
»Nix da. Ich habe deine Krankengeschichte gesehen, Boss. Keine EVA's für dich.«
»Die Sicherheitsvorschriften besagen aber, dass Außeneinsätze von zwei Astronauten durchgeführt werden müssen…«
»Nach Möglichkeit«, führte Pancho für ihn aus. »Und seit wann berufst du dich überhaupt auf IAA-Vorschriften?«
»Sicherheit ist wichtig«, sagte Dan.
Im Raumanzug mit dem Hartschalen-Torso und den mit Servomotoren verstärkten Handschuhen fühlte Pancho sich wie ein Superheld aus einem Comic, der einem Normalsterblichen gegenüberstand.
»Ich werde schon klarkommen«, sagte sie, als sie Dan den Helm aus den Händen nahm. »Kein Grund zur Sorge…«
»Wenn du aber Probleme bekommst…«
»Ich sag dir was, Boss. Du machst dich fertig und wartest hier an der Luftschleuse. Wenn ich in Schwierigkeiten gerate, kommst du raus und rettest meinen Arsch. Was sagst du dazu?«
Das gefiel ihm. »In Ordnung. Gute Idee.«
Sie riefen Amanda von der Brücke herunter, derweil Dan sich ins Unterteil des Anzugs zwängte und die Stiefel anzog. Als er den Anzug samt Rückentornister und allem Drum und Dran angelegt hatte und nur noch der Helm fehlte, saß Pancho schon auf glühenden Kohlen.
»In Ordnung«, sagte sie, als sie sich den Kugelhelm über den Kopf stülpte und im Halsring arretierte. »Ich bin fertig zum Aussteigen.«
Amanda eilte auf die Brücke zurück, während Dan dastand und sie mit einem schiefen Grinsen anschaute. Sein Kopf ragte aus dem Hartschalen-Anzug wie ein Kind, das hinter einem Papp-Astronauten für einen Fotografen posiert.
Pancho öffnete die Innenluke der Luftschleuse und ging hindurch. Die Luftschleuse war relativ geräumig, groß genug, um zwei Astronauten in voller Montur aufzunehmen. Durch den Helm hörte sie, wie die Pumpen ratternd anliefen und sah die Anzeigelampe an der Schalttafel der Konsole von grün zu gelb wechseln. Das Geräusch ebbte zu einem schwachen Vibrieren ab, das sie durch die Stiefel spürte, als die Luft aus der Kammer gepumpt wurde. Die Lampe sprang auf rot.
»Bereit zum Öffnen der Außenluke«, sagte sie und fiel dabei unbewusst in den knappen Jargon der Fluglotsen und Piloten.
Amandas Stimme drang aus dem winzigen Lautsprecher, der in den Halsring integriert war: »Außenluke öffnen.«
Die Luke glitt auf, und Pancho schaute in eine endlose schwarze Leere. Trotz der starken Tönung des Glasstahlhelms passten ihre Augen sich in wenigen Sekunden an die Dunkelheit an. Sie sah Dutzende, Hunderte und schließlich Tausende Sterne, die auf sie herabblickten und den Himmel mit ihrer Majestät erfüllten. Zur Linken zog der helle Dunst des Zodiakallichts sich wie ein dünner Arm durch den Himmel.
Sie drehte dem Sternenhimmel den Rücken zu und befestigte die Sicherheitsleine an einer Sprosse neben der Luke.
»Steige aus«, sagte sie.
»Weitermachen«, erwiderte Amanda.
»Gib mir die Position des Lecks«, sagte Pancho, während sie aus dem Schiff ausstieg und sich an den Handgriffen, die in die Außenhaut des Besatzungsmoduls eingelassen waren, emporzog.
»Auf dem Schirm.«
Sie schaute auf den winzigen Videomonitor, den sie am linken Handgelenk trug. Er zeigte eine schematische Darstellung des supraleitenden Drahtgeflechts, das das Modul umhüllte. Ein pulsierender roter Kreis markierte die Stelle, wo das Leck sich befand.
»Sehe es.«
Pancho wusste zwar, dass das Schiff beschleunigte und sie deshalb nicht schwerelos war. Dennoch fand sie es irgendwie erstaunlich, dass sie sich an den Handgriffen hochziehen musste, um zur Stelle zu gelangen, die in der Darstellung markiert war. Es war, als ob sie eine Leiter hinaufstiege. Im tiefsten Innern hatte sie aber damit gerechnet, schwerelos dahinzuschweben.