»Wir versuchen uns gerade für einen zu entscheiden«, sagte Amanda.
Dan lächelte sie an. »Das ist doch ganz einfach. Nehmt den größten aufs Korn.«
George hielt den Atem an, als er sich näher an die Ecke des großen Zimmers heranschlich, wo Humphries und Dr. Cardenas saßen. Sie wirkten beide angespannt, obwohl seine Anspannung eher von froher Erwartung herzurühren schien, wogegen Cardenas Furcht und Zorn ins Gesicht geschrieben standen.
George wusste, dass sie ihn nicht zu sehen vermochten. Trotzdem verspürte er Unbehagen, wo er ihnen so dicht auf die Pelle rückte — Unsichtbarkeit hin oder her. Du darfst jetzt auf keinen Fall niesen, ermahnte er sich. Nicht einmal atmen.
»In Ordnung«, sagte Cardenas. »Ich höre.«
Humphries beugte sich nach vorn, verschränkte die Hände und hob an: »Angenommen, ich richte Ihnen in einem entlegenen Winkel der Erde ein eigenes Labor ein. Mein Vater hat zum Beispiel Besitzungen in Libyen. Wir könnten auch Ihre Enkelkinder dort unterbringen.«
»Und was hätte ich in diesem Labor zu tun?«, fragte Cardenas. Ihre Stimme war unmoduliert wie die eines Sprachautomaten, und ihr Gesicht war maskenhaft starr.
»Nanomaschinen wären in der Lage, den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre zu reduzieren, nicht wahr? Indem sie die Moleküle in Kohlenstoff- und Sauerstoffatome zerlegen. Das würde die Erderwärmung in ein paar Jahren zum Erliegen bringen!«
Cardenas' Gesichtsausdruck blieb unverändert. »Sie wissen doch, dass die Nanotechnik geächtet ist. Zu welchem Zweck auch immer man sie einsetzen wollte, nirgends auf der Erde dürfte man Nanomaschinen herstellen. Der GEC, die Welt-Regierung und jeder religiöse Fanatiker auf der Erde würde durchdrehen, wenn man auch nur ansatzweise mit dem Gedanken spielte, Nanotechnik einzusetzen.«
Humphries lächelte geduldig. »Wir werden es ihnen einfach nicht sagen, meine Güte. Wir fangen einfach an. Im Geheimen. In der Sahara, auf dem Meer oder am Südpol — ganz egal. In einem Jahr oder noch früher wird man feststellen, dass die Kohlendioxidwerte zurückgehen. Die anderen Treibhausgase könnten wir ebenfalls eliminieren. Man wird merken, dass die Erderwärmung sich verlangsamt. Dann haben wir sie alle im Sack! Sie werden akzeptieren müssen, was wir tun. Sie werden gar keine andere Wahl haben.«
»Und was geschieht, wenn diese Nanomaschinen nicht richtig funktionieren? Was geschieht, wenn sie sich auch auf andere Kohlenstoffverbindungen stürzen? Zum Beispiel auf Sie?«
»Das wird schon nicht passieren.«
»Stimmt, das wird nicht passieren«, sagte sie. »Weil ich bei dieser Sache nämlich nicht mitmachen werde. Dieser Plan ist absurd.«
»Was ist daran absurd?«
Cardenas' Fassade bekam einen Riss in Form eines leichten sardonischen Grinsens. »Sie machen sich wohl keine Vorstellung von der Größe der Erdatmosphäre. Wissen Sie, wie viele Tonnen Kohlendioxid Sie neutralisieren müssten? Milliarden! Mindestens ein paar Dutzend Milliarden! Sie müssten ganz Afrika mit Nanomaschinen pflastern, um so viel Kohlendioxid abzubauen!«
»Das ist doch sicher übertrieben«, murmelte Humphries griesgrämig.
Cardenas sprang so plötzlich auf, dass George erschrak. »Na gut, dann müssten Sie nur die Sahara mit Nanomaschinen überziehen. Und selbst das wäre illusorisch!«
»Aber…«
»Und Sie wären nie imstande, das geheim zu halten. Nicht bei einem Programm dieser Größenordnung.«
»Aber es wäre machbar, nicht wahr?«
»Man könnte es zumindest in Angriff nehmen«, räumte sie ein. »Bis irgendein Fanatiker uns eine Atombombe auf den Kopf wirft. Oder unser Trinkwasser bakteriell verseucht.«
»Ich bin in der Lage, Sie vor Terroristen zu schützen«, sagte Humphries.
Cardenas trat ans Fenster. In ihr arbeitete es sichtlich. Dann drehte sie sich zu Humphries um und sagte: »Durch den Einsatz von Nanomaschinen in dieser Größenordnung läuft man Gefahr, eine Katastrophe heraufzubeschwören. Irgendein Irrer klaut eine Hand voll und programmiert sie auf die Zersetzung von… zum Beispiel Kunststoff um. Oder von Rohöl. Oder er verwendet sie als Waffe für Attentate. Wir sprechen hier von Gobblern, um Himmels willen!«
»Das weiß ich«, sagte Humphries kalt.
Cardenas schüttelte den Kopf. »Es würde sowieso nicht funktionieren. Abgesehen von der schieren physikalischen Dimension des Projekts würden die irdischen Behörden nie die Genehmigung zum Einsatz von Nanomaschinen erteilen. Niemals! Und ich vermag es ihnen nicht einmal zu verdenken.«
Humphries erhob sich langsam. »Sie wollen es nicht einmal versuchen?«
»Es wäre ein hoffnungsloses Unterfangen.«
Er seufzte theatralisch. »Ich habe versucht, Vernunft walten zu lassen. Ich glaubte, dass wir in der Lage wären, einen Konsens zu finden.«
»Lassen Sie mich gehen«, sagte Cardenas mit einem flehenden Unterton.
»Ich wollte Ihnen einen lang gehegten Wunsch erfüllen und Sie auf diesem Weg mit Ihren Enkelkindern zusammenbringen.«
»Lassen Sie mich einfach gehen.«
Er schaute sie bekümmert an. »Sie wissen, dass ich das nicht tun kann. Das wäre ein zu großes Risiko für mich.«
»Sie können mich doch nicht für immer hier festhalten!«
»Was schlagen Sie als Ausweg aus dieser Sackgasse vor?«, fragte er mit einem leichten Achselzucken.
Sie sah ihn mit offenem Mund an.
»Ich meine, Sie verstehen mein Problem. Ich weiß, dass Sie es verstehen. Wie vermag ich Sie gehen zu lassen, wenn Sie anschließend den Leuten erzählen, dass ich für den Tod von Dan Randolph verantwortlich bin?«
»Aber ich bin doch auch dafür verantwortlich.«
»Ja, ich weiß. Aber Sie würden es gestehen, nicht wahr?«
»Ich…« Sie hielt inne und sagte dann mit leiser Stimme: »Früher oder später würde ich es wohl gestehen.«
»Da haben wir's«, sagte Humphries leise. »Das Problem besteht fort.«
»Sie werden mich töten müssen.«
»Das will ich nicht tun müssen. Ich bin kein kaltblütiger Mörder. Lieber würde ich Sie mit Ihren Enkelkindern vereint sehen, falls das überhaupt möglich ist. Es muss doch eine Möglichkeit geben, zusammenzuarbeiten und dieses Problem aus der Welt zu schaffen.«
»Ich sehe keine«, flüsterte Cardenas.
»Denken Sie darüber nach«, sagte Humphries und ging zur Tür. »Ich bin sicher, dass Sie eine Lösung finden werden, wenn Sie sich eingehend damit befassen.«
Mit einem Lächeln öffnete er die Tür und ging hinaus. George sah die Wache draußen auf dem Flur stehen, bis Humphries die Tür verschloss.
Es könnte funktionieren!, sagte Humphries sich, als er den Gang entlangging. Wenn es uns gelänge, genug Nanomaschinen auszubringen, wäre ich imstande, die Erderwärmung in ein paar Jahren zum Stillstand zu bringen. Man würde vor mir in die Knie gehen vor lauter Dankbarkeit.
Er beschloss, ein kleines Expertenteam zusammenzustellen, um eine nüchterne Technikfolgenabschätzung zu betreiben. Cardenas ist schließlich nicht der einzige Nanotechnik-Guru in Selene, sagte er sich.
Ausbruch
Kris Cardenas starrte nach Humphries' Verschwinden für eine Weile auf die verschlossene Tür und bekam dann plötzlich einen Weinkrampf. Sie schlug die Hände vors Gesicht, wankte vornüber gebeugt zum Bett und ließ sich darauf fallen. Dann ließ sie den Tränen freien Lauf.
George stand unschlüssig in der gegenüberliegenden Ecke des Zimmers und fragte sich, was er tun solle. Sie ist eh schon hysterisch, sagte er sich. Wenn ich nun zu ihr hingehe, ihr auf die Schulter klopfe und sage: ›Hi! Ich bin unsichtbar!‹, wird sie wahrscheinlich völlig durchknallen.
Also wartete er, bis Cardenas sich wieder beruhigte. Es dauerte nicht lang. Sie setzte sich auf dem Bett auf und atmete tief durch. Dann stand sie auf und ging ins Bad. Als sie herauskam, sah George, dass sie sich das Gesicht gewaschen und etwas Make-up aufgelegt hatte. Aber ihre Augen waren noch immer rot und verquollen.