Выбрать главу

«Ist es das denn nicht auch?»

«Ich — ich glaube schon.»

Ruth Kettering sah auf ihre Hände hinunter; sie zuckten nervös.

«Aber ich kann jetzt nicht mehr zurück.»

«Warum nicht?»

«Ich — alles ist abgemacht, und ihm würde es das Herz brechen.»

«Glauben Sie das bloß nicht», sagte Katherine robust, «Herzen sind ziemlich zäh.»

«Er wird meinen, ich hätte keine Courage, keine Entschlossenheit.»

«Was Sie da vorhaben, kommt mir wirklich ziemlich dumm vor», sagte Katherine. «Ich glaube, Sie wissen das selbst.»

Ruth Kettering vergrub ihr Gesicht in den Händen. «Ich weiß es nicht — ich weiß es nicht. Schon die ganze Reise habe ich ein schlimmes Gefühl — eine Ahnung, dass mir bald etwas zustößt — dass ich nicht entkommen kann.»

Sie umklammerte Katherines Hand.

«Sie müssen mich für verrückt halten, dass ich so mit Ihnen rede. Aber ich sage Ihnen, ich weiß, dass etwas Furchtbares geschehen wird.»

«So etwas sollten Sie nicht denken», sagte Katherine, «versuchen Sie, sich zusammenzureißen. Sie können Ihrem Vater von Paris aus telegrafieren, wenn Sie das möchten, und er kommt sicher sofort zu Ihnen.»

Ruths Gesicht hellte sich auf.

«Ja, das könnte ich tun. Der liebe, alte Dad. Es ist merkwürdig — bis heute habe ich nie so richtig gewusst, wie schrecklich gern ich ihn habe.» Sie richtete sich auf und trocknete die Augen mit einem Taschentuch. «Ich bin sehr dumm gewesen. Vielen Dank dafür, dass ich mit Ihnen reden durfte. Ich weiß gar nicht, wie ich in einen solchen Zustand von Hysterie geraten bin.»

Sie stand auf. «Es geht mir schon viel besser. Ich glaube, ich habe einfach nur jemanden zum Reden gebraucht. Jetzt verstehe ich selbst nicht mehr, warum ich mich derartig zum Narren gemacht habe.»

Katherine stand ebenfalls auf.

«Ich freue mich, dass es Ihnen besser geht», sagte sie in möglichst konventionellem Ton. Sie wusste nur zu gut, dass auf Vertraulichkeiten Verlegenheit folgt. Taktvoll setzte sie hinzu:

«Ich muss zurück in mein Abteil.»

Sie trat im gleichen Moment auf den Gang, als Mrs Ketterings Zofe ihr Abteil verließ. Über die Schulter blickte sie in Katherines Richtung, und auf ihr Gesicht trat ein Ausdruck höchster Überraschung. Auch Katherine wandte sich um, aber wer auch immer das Interesse der Zofe erregt haben mochte, war inzwischen in seinem oder ihrem Abteil verschwunden, und der Korridor war leer. Katherine ging weiter, um zu ihrem Platz zu gelangen, der sich im nächsten Wagen befand. Als sie das letzte Abteil passierte, öffnete sich dessen Tür; einen Augenblick lang schaute das Gesicht einer Frau heraus, gleich darauf wurde die Tür mit einem Ruck geschlossen. Es war ein Gesicht, das man nicht so leicht vergaß, wie Ka-therine feststellen sollte, als sie es später wieder sah. Ein schönes Gesicht, oval und dunkel, stark und beinahe bizarr geschminkt. Katherine hatte das Gefühl, es schon einmal irgendwo gesehen zu haben.

Ohne weitere Zwischenfälle erreichte sie ihr Abteil und saß dort eine Weile in Gedanken an die vertraulichen Eröffnungen, die ihr eben gemacht worden waren. Müßig fragte sie sich, wer diese Frau mit dem Nerzmantel sein mochte; außerdem überlegte sie, wie ihre Geschichte wohl enden würde.

Wenn ich jemanden davon abgehalten hätte, sich zum Narren zu machen, hätte ich wohl ein gutes Werk getan, sagte sie sich. Aber wer weiß! Diese Sorte Frau ist ihr Leben lang stur und egoistisch, und vielleicht wäre es gut für sie, zur Abwechslung mal etwas anderes zu tun. Na ja — ich nehme an, ich sehe sie nie wieder. Sie wird jedenfalls mich nie wieder sehen wollen. Das wollen die Leute nie, und das ist das Ärgste daran, wenn man sie über sich selbst reden lässt.

Sie hoffte, beim Abendessen nicht auf den gleichen Platz gesetzt zu werden. Nicht ohne Humor bedachte sie, dass das für beide peinlich sein könnte. Als sie den Kopf an ein Kissen lehnte, fühlte sie sich müde und leicht deprimiert. Sie hatten Paris erreicht, und die langsame Fahrt rund um die ceinture, wo sie zahllose Male anhalten und warten mussten, war ermüdend. Als sie im Gare de Lyon eingelaufen waren, freute sie sich, aussteigen und auf dem Bahnsteig hin und her gehen zu können. Die scharfe, kalte Luft war nach dem dampfgeheizten Zug erfrischend. Mit einem Lächeln sah sie, dass ihre Freundin mit dem Nerzmantel der möglichen Peinlichkeit eines gemeinsamen Abendessens aus dem Wege ging. Ein Dinnerkorb wurde zum Abteilfenster hochgehoben und dort von der Zofe entgegengenommen.

Als der Zug sich wieder in Bewegung setzte und schrilles Glockenläuten das Abendessen ankündigte, begab Katherine sich ganz erleichtert in den Speisewagen. Ihr gegenüber saß diesmal ein kleiner Mann, von eindeutig unbritischem Aussehen, mit starr gewichstem Schnurrbart und einem eiförmigen Schädel, den er ein wenig schief hielt. Katherine hatte ein Buch zum Abendessen mitgebracht. Sie bemerkte, wie die Augen des kleinen Mannes sich mit einem amüsierten Zwinkern darauf richteten.

«Wie ich sehe, Madame, haben Sie da einen roman poli-cier. Mögen Sie so etwas?»

«Sie amüsieren mich», gab Katherine zu.

Der kleine Mann nickte, als ob er diese Meinung vollkommen verstünde.

«Sie verkaufen sich gut, sagt man. Woran liegt das wohl, eh, Mademoiselle? Ich frage Sie als einer, der das Wesen des Menschen studiert — woran mag es wohl liegen?»

Katherine war belustigt.

«Vielleicht geben sie einem die Illusion, ein aufregendes Leben zu führen», schlug sie vor.

Er nickte feierlich.

«Ja, da ist etwas dran.»

«Natürlich weiß man, dass solche Sachen in Wirklichkeit nicht geschehen», fuhr Katherine fort, aber er unterbrach sie schroff.

«Manchmal doch, Mademoiselle! Manchmal! Mir — der ich mit Ihnen rede — mir sind sie geschehen.»

Sie warf ihm einen raschen, interessierten Blick zu.

«Eines Tages, wer weiß, geraten Sie vielleicht auch einmal mitten hinein», fuhr er fort. «Alles ist Zufall.»

«Das halte ich für unwahrscheinlich», sagte Katherine. «So etwas geschieht mir nie.»

Er beugte sich vor.

«Hätten Sie das denn gern?»

Die Frage erschreckte sie, und sie atmete scharf ein.

«Es ist vielleicht Einbildung», sagte der kleine Mann, dabei polierte er geschickt eine der Gabeln, «aber ich glaube, Sie sehnen sich nach interessanten Ereignissen. Eh bien, Mademoiselle, mein ganzes Leben lang habe ich eines beobachtet. — <Was man will, das kriegt man!> Wer weiß?» Er schnitt eine komische Grimasse. «Vielleicht kriegen Sie mehr, als Ihnen lieb ist.»

«Ist das eine Prophezeiung?», fragte Katherine, wobei sie sich lächelnd erhob.

Der kleine Mann schüttelte den Kopf.

«Ich prophezeie nie», erklärte er pompös. «Zwar gestehe ich, dass ich immer Recht behalte — aber ich prahle nicht damit. Gute Nacht, Mademoiselle, und schlafen Sie gut»

Von ihrem kleinen Nachbarn amüsiert und angeregt ging Katherine durch den Zug zurück. Sie kam an der offenen Tür des Abteils ihrer neuen Bekannten vorbei und sah, wie der Schaffner das Bett zurechtmachte. Die Dame im Nerzmantel stand am Fenster und schaute hinaus. Durch die Verbindungstür sah Katherine, dass das zweite Abteil leer war. Decken und Taschen türmten sich auf dem Sitz. Die Zofe war nicht da.

Katherine fand ihr Bett schon bereit, und da sie müde war, legte sie sich hin und schaltete gegen halb zehn das Licht aus.

Plötzlich schrak sie aus dem Schlaf; sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Sie schaute auf die Uhr und stellte fest, dass diese stehen geblieben war. Ein Gefühl starken Unbehagens erfasste sie und wuchs von Minute zu Minute. Schließlich stand sie auf, zog ihren Morgenrock an und trat auf den Gang. Der ganze Zug schien zu schlummern. Katherine ließ das Fenster herunter und saß einige Minuten dort, sog die kühle Nachtluft ein und versuchte vergeblich, ihre unbehaglichen Ängste zu unterdrücken. Dann beschloss sie, zum Ende des Wagens zu gehen und den Schaffner nach der Zeit zu fragen, damit sie ihre Uhr stellen konnte. Dessen kleinen Sitz fand sie jedoch leer. Sie zögerte einen Moment und ging dann weiter in den nächsten Wagen. Sie blickte den langen, matt beleuchteten Gang entlang und sah zu ihrem Erstaunen, dass vor dem Abteil der Dame mit dem Nerzmantel ein Mann stand, eine Hand an der Tür. Das heißt, sie meinte, es sei das betreffende Abteil. Aber wahrscheinlich irrte sie sich. Er stand einige Momente dort mit dem Rücken zu ihr, seine Haltung wirkte unsicher und zaudernd. Dann drehte er sich langsam um, und mit einem seltsamen Gefühl des Schicksalhaften erkannte Ka-therine in ihm den Mann, den sie bereits zweimal bemerkt hatte — einmal auf dem Korridor des Savoy, das zweite Mal bei Cook’s. Dann öffnete er die Abteiltür und ging hinein, wobei er die Tür hinter sich schloss.