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«Sie waren gestern hier drin», sagte er. «Fällt Ihnen eine Veränderung auf? Fehlt etwas?»

Katherine sah sich in beiden Abteilen sorgfältig um.

«Ja», sagte sie, «etwas fehlt — ein kleiner dunkelroter Lederkoffer mit den Initialen R.V.K. darauf. Es könnte eine kleine Toilettentasche oder eine große Schmuckschatulle gewesen sein. Als ich sie gesehen habe, hatte die Zofe sie in der Hand.»

«Ah!», sagte Poirot.

«Aber das ist doch», sagte Katherine, «ich — ich verstehe natürlich nichts von so etwas, aber das ist doch ziemlich eindeutig, wenn die Zofe und die Schmuckschatulle fehlen?»

«Sie meinen, die Zofe war die Diebin? Nein, Mademoiselle, dagegen spricht ein sehr gewichtiger Grund», sagte Caux.

«Und zwar?»

«Die Zofe ist in Paris zurückgeblieben.»

Er wandte sich an Poirot. «Sie sollten sich am besten selbst die Geschichte des Schaffners anhören», murmelte er vertraulich. «Sie ist sehr aufschlussreich.»

«Mademoiselle würde sie sicher auch gern hören», sagte Poirot. «Sie haben doch nichts dagegen, Monsieur le Commissaire?» «Nein», sagte der Kommissar, der offensichtlich sehr viel dagegen hatte. «Nein, natürlich nicht, Monsieur Poirot, wenn Sie es sagen. Sind Sie hier fertig?»

«Ich glaube schon. Einen Augenblick noch.»

Er hatte sich über die Decken gebeugt; nun trug er eine davon zum Fenster und las etwas mit spitzen Fingern auf.

«Was ist das?», fragte Caux scharf.

«Vier rotbraune Haare.» Er beugte sich über die Tote. «Ja, sie stammen von Madames Kopf.»

«Na und? Messen Sie dem irgendeine Bedeutung bei?»

Poirot ließ die Decke wieder auf den Sitz fallen.

«Was ist wichtig? Was ist unwichtig? In diesem Stadium lässt sich das nicht sagen. Aber wir müssen jedes kleine Faktum sorgfältig registrieren.»

Sie kehrten in das erste Abteil zurück und nach ein paar Minuten erschien der Schaffner zur Befragung.

«Sie heißen Pierre Michel?», sagte der Kommissar.

«Ja, Monsieur le Commissaire.»

«Ich möchte, dass Sie diesem Herrn», er wies auf Poirot, «die Geschichte wiederholen, die Sie mir über die Vorgänge in Paris erzählt haben.»

«Sehr wohl, Monsieur le Commissaire. Nachdem wir den Gare de Lyon verlassen hatten, bin ich hergekommen, um die Betten zu machen; ich hatte nämlich angenommen, Madame wäre im Speisewagen, aber sie hatte einen Dinnerkorb im Abteil. Sie sagte mir, sie hätte ihre Zofe in Paris zurücklassen müssen, deshalb brauchte ich nur ein Bett zu machen. Sie ist mit dem Korb ins Nebenabteil gegangen und hat da gesessen, während ich das Bett hergerichtet habe. Danach hat sie mir gesagt, sie will nicht früh geweckt werden, da sie ausschlafen möchte. Ich habe geantwortet, dass ich verstanden hätte, und sie hat mir eine gute Nacht gewünscht.» «Sie sind selbst nicht ins Nebenabteil gegangen?»

«Nein, Monsieur.»

«Dann haben Sie auch nicht zufällig gesehen, ob dort beim Gepäck eine rote Ledertasche war?»

«Nein, Monsieur, habe ich nicht.»

«Könnte möglicherweise im Nebenabteil ein Mann verborgen gewesen sein?»

Der Schaffner überlegte.

«Die Tür war halb offen», sagte er. «Wenn ein Mann hinter der Tür gestanden hätte, dann hätte ich ihn nicht sehen können, er wäre aber für Madame natürlich deutlich sichtbar gewesen, als sie da hineingegangen ist.»

«Ganz richtig», sagte Poirot. «Können Sie uns sonst noch etwas erzählen?»

«Ich glaube, das ist alles, Monsieur. An mehr kann ich mich nicht erinnern.»

«Und was war heute Morgen?», bohrte Poirot.

«Wie Madame angeordnet hatte, habe ich sie nicht gestört. Erst kurz vor der Ankunft habe ich an die Tür geklopft. Als sie keine Antwort gab, habe ich die Tür aufgemacht. Die Dame lag im Bett und schien noch zu schlafen. Ich habe ihre Schulter berührt, um sie zu wecken, und dann.»

«Und dann haben Sie gesehen, was geschehen war», ergänzte Poirot. «Tres bien. Ich glaube, ich weiß nun alles, was ich wissen wollte.»

«Ich hoffe, Monsieur le Commissaire, ich habe mich keiner Nachlässigkeit schuldig gemacht», sagte der Mann kläglich. «Dass so etwas im Blauen Express geschieht! Es ist schrecklich.»

«Trösten Sie sich», sagte der Kommissar. «Man wird alles tun, um die Sache so diskret wie möglich zu behandeln, und sei es auch nur im Interesse der Justiz. Ich glaube nicht, dass Sie in irgendeiner Weise nachlässig waren.»

«Und wird Monsieur le Commissaire das auch der Gesellschaft berichten?»

«Aber sicher, aber sicher», sagte Monsieur Caux unwirsch. «Das genügt für den Moment.»

Der Schaffner verzog sich.

«Der Arzt ist der Ansicht», sagte der Kommissar, «dass die Dame wahrscheinlich tot war, bevor der Zug Lyon erreicht hatte. Wer also war der Mörder? Aus Mademoi-selles Erzählung scheint klar hervorzugehen, dass sie während der Fahrt irgendwo diesen Mann treffen wollte, von dem sie gesprochen hat. Dass sie ihre Zofe loswerden wollte, ist doch bezeichnend. Ist der Mann in Paris zugestiegen, und hat sie ihn im Nebenabteil versteckt? Und wenn ja, dann haben sie sich vielleicht gestritten, und er könnte sie in einem Wutanfall getötet haben. Das ist eine Möglichkeit. Die andere, für mich die wahrscheinlichere, ist die, dass der Mörder ein Bahnräuber war, der mit dem Zug gereist ist. Er könnte, vom Schaffner nicht bemerkt, durch den Gang geschlichen sein, sie getötet und sich mit dem roten Lederkoffer, der zweifellos ziemlich wertvolle Juwelen enthielt, davongemacht haben. Höchstwahrscheinlich hat er den Zug in Lyon verlassen. Wir haben schon an den Bahnhof dort telegrafiert, wegen der genauen Beschreibung aller, die beim Verlassen des Zugs gesehen wurden.»

«Er könnte auch bis Nizza mitgefahren sein», warf Poi-rot ein.

«Könnte er», stimmte der Kommissar zu, «aber das wäre sehr riskant gewesen.»

Poirot ließ eine oder zwei Minuten verstreichen, ehe er sagte: «Im zweiten Fall meinen Sie, der Mann sei ein gewöhnlicher Bahnräuber gewesen?»

Der Kommissar zuckte mit den Schultern.

«Das kommt darauf an. Wir müssen die Zofe finden. Möglicherweise hat sie den roten Lederkoffer bei sich. In diesem Fall könnte der Mann, über den Madame mit Mademoiselle gesprochen hat, in die Sache verwickelt sein, und dann wäre es wohl ein Verbrechen aus Leidenschaft. Ich persönlich halte die Lösung mit dem Bahnräuber für plausibler. Diese Banditen werden in letzter Zeit immer dreister.»

Poirot blickte plötzlich Katherine an.

«Und Sie, Mademoiselle», sagte er, «haben Sie in der Nacht nichts gehört und gesehen?»

«Nichts», sagte Katherine.

Poirot wandte sich an den Kommissar.

«Ich glaube, wir brauchen Mademoiselle nicht länger aufzuhalten», sagte er.

Der Kommissar nickte.

«Sie hinterlassen uns bitte Ihre Adresse?», sagte er.

Katherine nannte ihm Lady Tamplins Villa. Poirot machte eine leichte Verbeugung.

«Gestatten Sie, dass ich Sie wieder sehe, Mademoiselle?», sagte er. «Oder haben Sie so viele Freunde, dass all Ihre Zeit schon vergeben ist?»

«Im Gegenteil», sagte Katherine. «Ich werde genug Muße haben und mich sehr freuen, Sie wieder zu sehen.»

«Ausgezeichnet», sagte Poirot und nickte ihr freundlich zu. «Dies wird ein roman policier a nous. Wir werden in dieser Affäre gemeinsam ermitteln.»

Zwölftes Kapitel

In der Villa Marguerite

Du bist also richtig mitten darin gewesen!», sagte Lady Tamplin neidisch. «Wie aufregend, meine Liebe!» Sie öffnete ihre veilchenblauen Augen weit und stieß einen leichten Seufzer aus.