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Als sie allein war, hing Katherine ihren Gedanken nach. Im Moment fühlte sie sich durch und durch unwohl und in dieser Umgebung völlig deplaciert. Der Schock der Entdeckung im Zug und die Art, wie ihre neuen Freunde den Bericht aufgenommen hatten, verstörten sie in ihrer Empfindsamkeit. Sie dachte lange und ernst über die Ermordete nach. Ruth hatte ihr Leid getan, aber sie konnte wirklich nicht behaupten, dass sie sie gemocht hätte. Nur zu gut hatte sie den rücksichtslosen Egoismus erahnt, der ihren Charakter prägte, und er stieß sie ab.

Sie war erheitert und ein bisschen verletzt gewesen, als die andere sie kühl verabschiedete, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatte. Katherine war ganz sicher, dass die Frau zu irgendeinem Entschluss gelangt war, aber nun fragte sie sich, was das für ein Entschluss gewesen sein mochte. Was auch immer — der Tod hatte eingegriffen und alle Beschlüsse zunichte gemacht. Seltsam, dass es so gekommen war, dass ein brutales Verbrechen die unheilvolle Reise beendet hatte. Aber plötzlich fiel Katherine eine kleine Tatsache ein, die sie vielleicht der Polizei hätte mitteilen sollen — eine Tatsache, an die sie im Moment der Befragung nicht gedacht hatte. Ob es denn wirklich wichtig war? Sie war ziemlich sicher gewesen, dass sie einen Mann in dieses Abteil hatte hineingehen sehen, aber ihr war nun klar, dass sie sich leicht geirrt haben könnte. Es konnte das benachbarte Abteil gewesen sein, und ganz bestimmt war der fragliche kein Bahnräuber. Sie erinnerte sich ganz deutlich an ihn, da sie ihn ja vorher schon zweimal gesehen hatte — einmal im Savoy und einmal bei Cook’s. Nein, zweifellos hatte sie sich geirrt. Er war nicht in das Abteil der Toten gegangen, und vielleicht war es besser, dass sie der Polizei nichts gesagt hatte. Sie hätte damit unabsehbaren Schaden anrichten können.

Sie ging hinunter und gesellte sich zu den anderen auf der Terrasse. Durch die Mimosenzweige blickte sie auf das Blau des Mittelmeers hinaus, und während sie mit halbem Ohr Lady Tamplins Geplapper lauschte, war sie doch froh, hergekommen zu sein. Dies hier war besser als St. Mary Mead.

Am Abend zog sie das Kleid in Rose und Mauve namens soupir d’automne an, lächelte ihrem Spiegelbild zu und ging dann nach unten, zum ersten Mal in ihrem Leben empfand sie ein leichtes Gefühl von Schüchternheit.

Die meisten Gäste waren bereits eingetroffen, und da Lärm für Lady Tamplins Partys essenziell war, herrschte bereits ein ohrenbetäubendes Stimmengewirr. Chubby eilte auf Katherine zu, nötigte sie zu einem Cocktail und nahm sie unter seine Fittiche.

«Da bist du ja endlich, Derek», rief Lady Tamplin, als die Tür sich öffnete, um den letzten Gast einzulassen. «Endlich bekommen wir etwas zu essen. Ich sterbe schon vor Hunger.»

Katherine sah zur anderen Seite des Raums. Sie schrak zusammen. Das also war Derek, und sie war sich bewusst, dass sie nicht überrascht war. Sie hatte die ganze Zeit gewusst, dass sie dem Mann, den sie infolge einer seltsamen Verkettung von Zufällen dreimal gesehen hatte, irgendwann begegnen würde. Auch er schien sie wieder zu erkennen. Er hielt plötzlich im Sprechen inne, und es schien ihn Mühe zu kosten, sein Gespräch mit Lady Tamplin wieder aufzunehmen. Als sie zum Dinner hineingingen, stellte Katherine fest, dass man ihn neben sie gesetzt hatte. Sofort wandte er sich ihr mit einem lebhaften Lächeln zu.

«Ich wusste, dass ich Sie bald kennen lernen würde», bemerkte er, «aber ich habe nicht im Traum daran gedacht, dass es hier sein könnte. Es musste einfach so kommen. Einmal im Savoy und einmal bei Cook’s — und aller guten Dinge sind drei. Sagen Sie jetzt nur nicht, Sie könnten sich nicht erinnern oder hätten mich nie bemerkt. Tun Sie bitte wenigstens so, als ob ich Ihnen aufgefallen wäre.»

«Ich habe Sie wirklich bemerkt», sagte Katherine, «aber es ist jetzt nicht das dritte, sondern schon das vierte Mal. Ich habe Sie im Blauen Express gesehen.»

«Im Blauen Express!» Eine undefinierbare Änderung ging mit ihm vor; sie hätte nicht sagen können, was es genau war. Es schien, als habe er eine Art Rückschlag erlitten. Dann sagte er leichthin:

«Was war das heute Morgen eigentlich für eine Aufregung? Stimmt es, dass da jemand gestorben ist?»

«Ja», sagte Katherine langsam, «jemand ist gestorben.»

«Man sollte in einem Zug nicht sterben», bemerkte De-rek schnippisch. «Ich glaube, das verursacht alle möglichen juristischen und internationalen Verwicklungen und liefert der Zuggesellschaft eine Ausrede dafür, noch mehr Verspätung zu haben als ohnehin.»

«Mr Kettering?» Eine stämmige amerikanische Dame, die den beiden gegenübersaß, beugte sich vor und sagte mit der nachdrücklichen Intonation ihres Landes zu De-rek: «Mr Kettering, mir scheint, Sie haben mich vergessen, und dabei habe ich Sie immer für so einen wunderbaren Mann gehalten.»

Derek beugte sich ebenfalls vor und antwortete ihr, und Katherine saß da wie betäubt.

Kettering! Natürlich, das war der Name! Jetzt erinnerte sie sich wieder daran — aber was für eine seltsame, bizarre Situation! Hier saß der Mann, den sie in der vorigen Nacht ins Abteil seiner Frau hatte gehen sehen, der sie lebendig und wohlauf zurückgelassen hatte, und der nun hier bei Tisch saß, ohne eine Ahnung von dem Unglück zu haben, das seine Gattin ereilt hatte. Daran konnte es keinen Zweifel geben. Er wusste von nichts.

Ein Diener neigte sich zu Derek, überreichte ihm ein Schreiben und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Mit einem Wort der Entschuldigung zu Lady Tamplin riss er den Umschlag auf, und ein Ausdruck äußerster Verblüffung trat auf sein Gesicht, als er las; dann sah er die Gastgeberin an.

«Das ist sehr merkwürdig. Es tut mir Leid, Rosalie, aber ich fürchte, ich muss Sie verlassen. Der Polizeipräfekt will mich sofort sehen. Ich habe keine Ahnung, worum es sich handelt.»

«Deine Verbrechen haben dich eingeholt», sagte Lenox.

«Das muss es wohl sein», sagte Derek, «wahrscheinlich irgendein kompletter Blödsinn, aber ich muss mich wohl auf die Präfektur schleppen. Wie kann der alte Knabe es verantworten, mich vom Dinnertisch hochzuscheuchen? Es muss schon etwas Todernstes sein, um das zu rechtfertigen», und er lachte, als er seinen Stuhl zurückschob und aufstand, um den Raum zu verlassen.

Dreizehntes Kapitel

Van Aldin erhält ein Telegramm

Am Nachmittag des 15. Februar lag dicker gelber Nebel über London. Rufus Van Aldin hielt sich in seiner Suite im Savoy auf, machte das Beste aus den atmosphärischen Verhältnissen, indem er noch länger arbeitete als gewöhnlich. Knighton war überglücklich. In der letzten Zeit war es ihm schwer gefallen, seinen Arbeitgeber dazu zu bewegen, sich auf anstehende Geschäfte zu konzentrieren. Wenn er versucht hatte, bestimmte Dinge anzuregen, hatte Van Aldin ihn mit einem schroffen Wort abgefertigt. Heute aber schien Van Aldin sich mit doppelter Energie in die Arbeit zu stürzen, und der Sekretär nutzte diese Gelegenheit aus. Taktvoll setzte er die Sporen so ein, dass Van Aldin es nie bemerkte.

Aber sosehr ihn auch die geschäftlichen Angelegenheiten gefangen nahmen, ging Van Aldin doch eine winzige Tatsache nicht aus dem Kopf. Dafür hatte eine zufällige Bemerkung von Knighton gesorgt, die dieser gemacht hatte, ohne sich bewusst zu sein, was sie für Van Aldin bedeutete. Dessen Gedanken kreisten beharrlich um diese Bemerkung, bis er ihnen schließlich widerwillig nachgab.

Er schien Knightons Darlegungen mit seiner üblichen konzentrierten Aufmerksamkeit zu folgen, aber in Wirklichkeit drang kein einziges Wort zu ihm durch. Er nickte jedoch automatisch, und der Sekretär wandte sich dem nächsten Schriftstück zu. Während er sie sortierte, sagte sein Dienstherr: «Könnten Sie mir das noch einmal erzählen, Knigh-ton?»