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Zia sagte heftig: «Sie haben es die ganze Zeit gewusst? Wer hat es Ihnen gesagt? War es — war es Antonio?»

Poirot schüttelte den Kopf.

«Niemand hat es mir verraten», sagte er ruhig. «Ich habe es erraten. Ich habe gut geraten, wie? Wenn man kein Talent zum Rätselraten besitzt, hat man als Detektiv wenig Aussicht auf Erfolg.»

Zia ging einige Minuten schweigend neben ihm her. Dann sagte sie mit harter Stimme:

«Also, was wollen Sie daraus machen? Wollen Sie es meinem Vater erzählen?»

«Nein», sagte Poirot scharf. «Ganz sicher nicht.»

Sie sah ihn neugierig an.

«Sie wollen etwas von mir?»

«Ich will Ihre Hilfe, Mademoiselle.»

«Wieso meinen Sie, ich könnte Ihnen helfen?»

«Ich weiß es nicht. Ich hoffe es nur.»

«Und wenn ich Ihnen nicht helfe, dann — erzählen Sie es meinem Vater?»

«Aber nein, aber nein! Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Mademoiselle. Ich bin kein Erpresser. Ich werde Sie doch nicht mit Ihrem Geheimnis bedrohen.»

«Wenn ich mich weigere, Ihnen zu helfen.», begann Zia langsam.

«Dann weigern Sie sich, das ist alles.»

«Warum.» Sie hielt inne.

«Ich will es Ihnen sagen. Frauen, Mademoiselle, sind großherzig. Wenn sie jemandem, der ihnen einmal einen Dienst erwiesen hat, einen Gegendienst erweisen können, dann tun sie es. Ich war Ihnen gegenüber einmal großmütig, Mademoiselle. Als ich hätte sprechen können, habe ich den Mund gehalten.»

Wieder trat Schweigen ein. Dann sagte Zia: «Mein Vater hat Ihnen dieser Tage einen Tipp gegeben.»

«Das war sehr freundlich von ihm.»

«Ich glaube nicht», sagte Zia langsam, «dass ich dem viel hinzufügen kann.»

Wenn Poirot enttäuscht war, so zeigte er es nicht. In seinem Gesicht bewegte sich kein Muskel.

««Eb bieni», sagte er fröhlich, «dann reden wir von etwas anderem.»

Er fuhr fort, vergnügt zu plaudern. Zia hingegen war distraite, ihre Antworten waren mechanisch und nicht immer treffend. Als sie sich wieder dem Casino näherten, schien sie einen Entschluss zu fassen.

«Monsieur Poirot?»

«Ja, Mademoiselle?»

«Ich — ich würde Ihnen gern helfen, wenn ich könnte.»

«Sie sind sehr liebenswürdig, Mademoiselle — sehr liebenswürdig.»

Wieder trat eine Pause ein. Poirot drang nicht in sie. Er gab sich damit zufrieden, zu warten und ihr Zeit zu lassen.

«Ah bah», sagte Zia, «warum soll ich es Ihnen eigentlich nicht sagen? Mein Vater ist vorsichtig — immer vorsichtig bei allem, was er sagt. Aber ich weiß, dass das Ihnen gegenüber nicht nötig ist. Sie haben uns gesagt, dass Sie nur auf der Suche nach dem Mörder sind und nicht nach dem Schmuck. Ich glaube Ihnen. Sie hatten vollkommen Recht, als Sie angenommen haben, dass wir wegen der Rubine in Nizza sind. Man hat sie hier verabredungsgemäß übergeben. Mein Vater hat sie jetzt. Übrigens hat er Ihnen ja neulich einen Wink gegeben, wer unser mysteriöser Kunde ist.»

«Der Marquis?», fragte Poirot leise.

«Ja, der Marquis.»

«Haben Sie den Marquis jemals gesehen, Mademoiselle Zia?»

«Einmal», sagte sie. «Aber nur undeutlich», setzte sie hinzu. «Durch ein Schlüsselloch.»

«Das ist immer mit Schwierigkeiten verknüpft», sagte Poirot mitfühlend. «Immerhin haben Sie ihn gesehen. Würden Sie ihn wieder erkennen?»

Zia schüttelte den Kopf.

«Er trug eine Maske», erklärte sie.

«Jung oder alt?»

«Er hatte weißes Haar. Vielleicht eine Perücke, vielleicht auch nicht. Eigentlich glaube ich nicht, dass er so alt war. Sein Gang war jung, und seine Stimme auch.»

«Seine Stimme?», sagte Poirot nachdenklich. «Ah, seine Stimme! Würden Sie die wieder erkennen, Mademoiselle Zia?»

«Ich glaube schon.»

«Sie interessierten sich für ihn, wie? Das hat Sie zum Schlüsselloch getrieben.»

Zia nickte.

«Ja, ja, ich war neugierig. Man hat so viel über ihn gehört — er ist kein gewöhnlicher Dieb — er ist eher eine Gestalt aus der Geschichte oder einem Roman.»

«Ja», sagte Poirot nachdenklich, «ja, vielleicht.»

«Aber nicht das wollte ich Ihnen eigentlich sagen, sondern eine andere kleine Tatsache, die Ihnen — na ja — nützlich sein könnte.»

«Ja?», sagte Poirot ermutigend.

«Wie ich Ihnen schon sagte, wurden die Rubine meinem Vater hier in Nizza übergeben. Ich habe die Person, die sie ihm übergab, nicht gesehen, aber.»

«Ja?»

«Eines weiß ich: Es war eine Frau.»

Neunundzwanzigstes Kapitel

Ein Brief von daheim

Liebe Katherine!

Da Sie jetzt in der großen Welt leben, wird es Sie vielleicht nicht weiter interessieren, was hier bei uns vorgebt. Da ich Sie aber immer für ein vernünftiges Mädchen gehalten habe, ist Ihnen vielleicht alles weniger zu Kopf gestiegen, als ich annebme. Hier ist eigentlich alles wie immer. Es gab einigen Ärger mit dem neuen Kaplan, der skandalös hochtrabend ist. Meiner Meinung nach ist er nicht weniger und nicht mehr als ein Römer. Alle haben mit dem Pfarrer darüber geredet, aber Sie wissen ja, wie der Pfarrer ist — lauter christliche Nächstenliebe und überhaupt kein Mumm. Ich batte zuletzt viel Ärger mit den Dienstmädchen. Diese Annie war nicht %u gebrauchen — Röcke kaum bis zum Knie und nicht dazu zu bringen, vernünftige Wollstrümpfe zu tragen. Sagen lassen die sich alle nichts. Mein Rheumatismus hat mir viel zu schaffen gemacht, und Dr. Harri-son bat nicht lockergelassen, bis ich mich eines Tages doch nach London aufgemacbt habe, um einen Spezialisten zu konsultieren — eine Verschwendung von drei Guineen samt Bahnfahrt, habe ich ihm gesagt. Aber ich konnte eine verbilligte Rückfahrkarte bekommen. Der Spezialist machte ein langes Gesicht und redete bin und her, bis ich ihm endlich gesagt habe: «Ich bin eine einfache Frau, Doktor, und ich will, dass man einfach zu mir spricht. Ist es also Krebs oder nicht?» Da musste er es freilich zugeben. Ein Jabr lang wird’s wohl noch geben, mit Pflege, und mit den Schmerzen soll es nicht so arg sein, obwohl ich sicher bin, ich kann Schmerzen genauso gut ertragen wie jede andere Christenfrau. Ich fühle mich aber oft recht einsam hier, wo doch die meisten meiner Freundinnen tot oder weggezogen sind. Ich wünschte, Sie wären in St. Mary Mead, meine Liebe, und das ist eine Tatsache. Wenn Sie nickt das ganze Geld geerbt und sich in die große Gesellschaft davongemacht hätten, würde ich Ihnen das Doppelte von dem anbieten, was die arme Jane Ihnen gezahlt hat, damit Sie kommen und sich um mich kümmern. Aber es hat keine Sinn, sich zu wünschen, was man nicht kriegen kann. Nur für den Fall, dass die Dinge bei Ihnen schief gehen sollten — und das ist ja immer möglich. Ich habe so viele Geschichten gehört über angebliche Adlige, die Mädchen heiraten und ihnen ihr Geld abknöpfen und sie dann an der Kirchentür stehen lassen. Ich bin sicher, Sie sind zu vernünftig als dass Ihnen so etwas passieren könnte, aber man weiß, ja nie; und da Sie ja nie viel Aufmerksamkeit erhalten haben, kann Ihnen so etwas leicht zu Kopf steigen. Deshalb, meine Liebe, vergessen Sie nicht, es gibt für Sie hier immer ein Zuhause; und wenn ich auch manchmal ein bisschen direkt bin, es kommt doch von Herzen. — Mit lieben Grüßen — Ihre Ihnen wohlgesonnene alte Freundin