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Amelia Viner

PS Neulich stand etwas über Sie in der Zeitung und über Ihre Kusine, die Viscountess Tamplin, und das habe ich ausgeschnitten und zu den anderen Zeitungsausschnitten gelegt. Am Sonntag habe ich für Sie gebetet, dass der liebe Gott Sie vor Stolz und Hochmut bewahre.

Katherine las diesen charakteristischen Brief zweimal durch, dann ließ sie ihn sinken und starrte aus dem Schlafzimmerfenster auf das blaue Mittelmeer. Sie spürte einen seltsamen Kloß im Hals. Plötzliche Sehnsucht nach St. Mary Mead überkam sie. So voll von vertrauten, alltäglichen, dummen kleinen Dingen — und trotzdem — Heimat. Sie hatte gute Lust, den Kopf auf die Arme zu betten und ganz ordentlich zu weinen.

Lenox kam in diesem Moment herein und bewahrte sie davor.

«Hallo, Katherine», sagte sie. «Hör mal — was ist denn los mit dir?»

«Nichts», sagte Katherine; sie ergriff Miss Viners Brief und stopfte ihn in ihre Handtasche.

«Du siehst ganz komisch aus», sagte Lenox. «Ja, was ich sagen wollte — ich hoffe, es macht dir nichts aus — ich habe deinen Freund, den Detektiv, angerufen, Monsieur Poirot, und ihn zum Essen mit uns eingeladen, heute Mittag in Nizza. Ich habe gesagt, du wolltest ihn sehen, weil ich dachte, meinetwegen kommt er nicht.»

«Willst du ihn sehen?», fragte Katherine.

«Ja», sagte Lenox. «Ich habe mein Herz an ihn verloren. Ich habe noch nie einen Mann mit so grünen Katzenaugen gesehen.»

«Na schön», sagte Katherine. Sie klang gleichgültig. Die letzten Tage waren eine Prüfung gewesen. Derek Ketterings Verhaftung bildete das allgemeine Tagesgespräch, und das Geheimnis des Blauen Express war von allen nur denkbaren Seiten aus durchgehechelt worden.

«Ich habe das Auto bestellt», sagte Lenox, «und Mutter irgendetwas vorgeflunkert — leider weiß ich nicht mehr genau was, aber sie merkt es sich sowieso nicht. Wenn sie wüsste, wohin wir fahren, würde sie unbedingt mitkommen wollen und Monsieur Poirot in Beschlag nehmen.»

Im Negresco erwartete Poirot die beiden Mädchen bereits. Er war voll gallischer Höflichkeit und überschüttete die Mädchen derartig mit Komplimenten, dass sie bald beide hilflos vor Lachen waren; aber trotz alledem war es kein fröhliches Essen. Katherine war in sich gekehrt und zerstreut, und Lenox wechselte zwischen schubweiser Gesprächigkeit und Schweigepausen. Als sie auf der Terrasse ihren Kaffee tranken, ging sie plötzlich auf Poirot los.

«Wie stehen die Dinge? Sie wissen, was ich meine.»

Poirot hob die Schultern. «Es geht seinen Gang.»

«Und Sie lassen alles seinen Gang gehen?»

Er sah Lenox ein wenig traurig an.

«Sie sind jung, Mademoiselle, aber es gibt drei Dinge, die man nicht beschleunigen kann — le bon Dieu, die Natur und einen alten Mann.»

«Unsinn!», widersprach Lenox, «Sie sind nicht alt.»

«Ah, das ist sehr nett von Ihnen.»

«Da kommt Major Knighton», sagte Lenox.

Katherine sah sich rasch um und wandte wieder den Kopf.

«Er ist in Gesellschaft von Mr Van Aldin», fuhr Lenox fort. «Es gibt etwas, das ich Major Knighton fragen möchte. Entschuldigen Sie mich eine Minute.»

Als sie allein waren, beugte Poirot sich vor und murmelte:

«Sie sind distraite, Mademoiselle; Ihre Gedanken sind weit weg, nicht wahr?»

«Nur in England, weiter nicht.»

Einem plötzlichen Impuls folgend, zog sie den Brief hervor, den sie am Morgen erhalten hatte, und reichte ihn Poirot.

«Die erste Nachricht überhaupt aus meinem früheren Leben; irgendwie — tut es weh.»

Er las den Brief durch und gab ihn ihr zurück.

«Sie gehen also zurück nach St. Mary Mead?», fragte er.

«Nein», sagte Katherine, «warum sollte ich auch?»

«Ah», sagte Poirot, «dann habe ich mich geirrt. Wollen Sie auch mich für einen Augenblick entschuldigen?»

Er ging hinüber zu Lenox Tamplin, die sich mit Van Aldin und Knighton unterhielt. Der Amerikaner sah alt und vergrämt aus. Er begrüßte Poirot teilnahmslos mit einem kurzen Nicken.

Als er sich abwandte, um auf eine Bemerkung von Le-nox zu antworten, nahm Poirot Knighton beiseite.

«Monsieur Van Aldin sieht krank aus», sagte er.

«Wundern Sie sich darüber?», sagte Knighton. «Der Skandal, der durch Derek Ketterings Verhaftung hervorgerufen wurde, hat allem die Krone aufgesetzt. Es war zu viel für ihn. Nun tut es ihm schon Leid, dass er Sie gebeten hat, die Wahrheit herauszufinden.»

«Er sollte nach England zurückfahren», sagte Poirot.

«Übermorgen fahren wir.»

«Das ist eine gute Nachricht», sagte Poirot.

Er zögerte und blickte über die Terrasse hin zu Katherine.

«Ich wünschte», murmelte er, «Sie könnten das Miss Grey mitteilen.»

«Was mitteilen?»

«Dass Sie — ich meine, dass Monsieur Van Aldin nach England zurückkehrt.»

Knighton schaute ein wenig erstaunt, ging aber bereitwillig über die Terrasse zu Katherine hinüber.

Poirot sah ihm mit einem zufriedenen Nicken nach und gesellte sich zu Lenox und dem Amerikaner. Nach ein paar Minuten kamen sie zu den anderen zurück. Eine Weile machten sie allgemeine Konversation, dann brachen der Millionär und sein Sekretär auf. Auch Poirot machte sich bereit zum Gehen.

«Tausendfachen Dank für Ihre Gastfreundschaft, Mesdemoiselles», rief er, «es war ein ganz reizendes Essen. Ma foi, das habe ich gebraucht!» Er wölbte die Brust und hieb dagegen. «Jetzt bin ich ein Löwe — ein Riese. Ah, Mademoiselle Katherine, Sie haben mich noch nicht so gesehen, wie ich sein kann. Sie kennen den sanften, ruhigen Hercule Poirot, aber es gibt einen anderen Hercule Poi-rot. Ich ziehe nun aus, um zu knechten, zu drohen, Entsetzen in den Herzen meiner Zuhörer zu verbreiten.»

Er sah sie selbstgefällig an, und beide wirkten gebührend beeindruckt, wiewohl Lenox sich auf die Unterlippe biss und Katherines Mundwinkel verdächtig zuckten.

«Und ich werde es tun», sagte er feierlich. «O ja, es wird mir gelingen.»

Er war kaum ein paar Schritte gegangen, als Katherines Stimme ihn dazu brachte, sich umzudrehen.

«Monsieur Poirot, ich — ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Ich glaube, Sie hatten vorhin ganz Recht mit dem, was Sie sagten. Ich fahre umgehend zurück nach England.»

Poirot schaute sie so durchdringend an, dass sie unwillkürlich errötete.

«Ich verstehe», sagte er.

«Das glaube ich nicht», sagte Katherine.

«Mehr, als Sie glauben, Mademoiselle.»

Er verließ sie mit einem seltsamen kleinen Lächeln, stieg in das wartende Auto und fuhr nach Antibes.

Hippolyte, des Comte de la Roche Diener mit dem reglosen Gesicht, war in der Villa Marina gerade damit beschäftigt, die wunderbar geschliffenen Gläser seines Herrn zu polieren. Der Comte selbst verbrachte den Tag in Monte Carlo. Als er zufällig aus dem Fenster schaute, sah Hippolyte einen Besucher rasch auf die Tür zur Diele zugehen, einen Besucher von so ungewöhnlichem Typus, dass Hippolyte, so erfahren er auch war, ihn nicht einordnen konnte. Er rief seine Frau, Marie, die in der Küche beschäftigt war, und machte sie auf den Ankommenden aufmerksam, den er ce type-lä nannte.

«Etwa schon wieder die Polizei?», fragte Marie besorgt.

«Sieh doch selbst», sagte Hyppolyte.

Marie schaute hinaus.

«Bestimmt keiner von der Polizei», erklärte sie. «Da bin ich aber froh.»

«So viel Ärger haben die uns doch gar nicht gemacht», sagte Hippolyte. «Wenn Monsieur le Comte mich nicht gewarnt hätte, wäre ich nie darauf gekommen, wer der Fremde im Weinladen eigentlich war.»