«Ich bin entzückt über eine so erfreuliche Nachricht. Ich hoffe, Sie haben den griechischen Expremier nicht ganz ruiniert.»
«Ich?» «Ich hörte, Sie hätten ihm einen wunderbaren Rubin verkauft, den gegenwärtig — ganz entre nous — Mademoiselle Mirelle trägt, die Tänzerin?»
«Ja», murmelte Monsieur Papopoulos, «ja, das stimmt.»
«Einen Rubin ganz ähnlich wie das berühmte Feuerherz.»
«Es gibt eine entfernte Ähnlichkeit», sagte der Grieche beiläufig.
«Sie haben wirklich ein Händchen für Juwelen, Monsieur Papopoulos. Ich gratuliere Ihnen. Mademoiselle Zia, ich bin untröstlich, dass Sie schon so bald nach Paris zurückfahren. Ich hatte gehofft, mehr von Ihnen zu sehen — jetzt, da meine Geschäfte beendet sind.»
«Ist es indiskret zu fragen, welcher Natur diese Geschäfte waren?», fragte Papopoulos.
«Aber ganz und gar nicht. Es ist mir gelungen, den Marquis dingfest zu machen.»
Monsieur Papopoulos’ Augen schauten sinnend ins Weite.
«Der Marquis?», murmelte er. «Warum kommt mir das bekannt vor? Aber nein — ich kann mich nicht erinnern.»
«Woher denn auch?», sagte Poirot. «Ich spreche von einem sehr bekannten Verbrecher und Juwelenräuber. Er wurde soeben wegen des Mordes an Madame Kettering, dieser englischen Lady, verhaftet.»
«Was Sie nicht sagen! Höchst interessant!»
Man tauschte höfliche Abschiedsgrüße aus, und als Poi-rot außer Hörweite war, wandte sich Monsieur Papopou-los an seine Tochter.
«Zia», sagte er mit Nachdruck, «dieser Mann ist der Teufel!»
«Ich mag ihn.»
«Ich auch», gab Monsieur Papopoulos zu. «Aber der Teufel ist er trotzdem.»
Sechsunddreißigstes Kapitel
Die Mimosenblüte war vorüber. Ihr Duft lag noch in der Luft — leicht unangenehm. Rosa Geranien rankten sich um die Balustrade von Lady Tamp-lins Villa, und von unten sandten die üppigen Nelkenbeete einen schweren, süßen Duft zum Haus empor. Das Mittelmeer war blauer denn je.
Poirot saß mit Lenox Tamplin auf der Veranda. Er hatte ihr eben die gleiche Geschichte erzählt wie zwei Tage zuvor Van Aldin. Lenox hatte mit angespannter Aufmerksamkeit, gerunzelter Stirn und düsteren Blicken zugehört.
Als er geendet hatte, sagte sie einfach:
«Und Derek?»
«Er wurde gestern freigelassen.»
«Und wo ist er hin?»
«Er hat Nizza gestern Abend verlassen.»
«Nach St. Mary Mead?»
«Ja, nach St. Mary Mead.»
Pause.
«Ich habe mich in Katherine geirrt», sagte Lenox. «Ich dachte, sie macht sich nichts aus ihm.»
«Sie ist sehr zurückhaltend. Sie traute niemandem.»
«Mir hätte sie trauen können», sagte Lenox mit einem Unterton von Bitterkeit.
«Ja», sagte Poirot ernst, «Ihnen hätte sie trauen können. Aber Mademoiselle Katherine hat einen großen Teil ihres Lebens mit Zuhören verbracht, und diejenigen, die zugehört haben, finden es nicht leicht zu sprechen; sie behalten ihre Sorgen und Freuden für sich und reden nicht darüber.»
«Ich war eine dumme Gans», sagte Lenox, «ich habe geglaubt, sie wäre in Knighton verliebt. Ich hätte es besser wissen müssen. Wahrscheinlich habe ich das geglaubt, weil — ich es gehofft habe.»
Poirot nahm ihre Hand und drückte sie freundschaftlich. «Courage, Mademoiselle», sagte er sanft.
Lenox schaute geradeaus aufs Meer, und ihr Gesicht hatte in seiner hässlichen Strenge für einen Moment etwas von tragischer Schönheit.
«Na ja», sagte sie schließlich, «es wäre nicht gut gegangen. Ich bin zu jung für Derek; er ist wie ein Junge, der nie erwachsen geworden ist. Er braucht den Madonnentyp.»
Wieder trat langes Schweigen ein. Dann wandte sich Lenox rasch und impulsiv dem Detektiv zu. «Aber ich habe Ihnen wirklich geholfen, Monsieur Poirot — jedenfalls habe ich Ihnen geholfen.»
«Ja, Mademoiselle. Sie haben mir den ersten Schimmer der Wahrheit gezeigt, als Sie sagten, dass der Mörder nicht unbedingt im Zug gewesen sein muss. Vorher hatte ich nicht gesehen, wie es gewesen sein könnte.»
Lenox holte tief Atem.
«Ich freue mich», sagte sie, «das ist wenigstens etwas.»
Aus der Ferne tönte der lang gezogene Pfiff einer Lokomotive.
«Das ist der verfluchte Blaue Express», sagte Lenox. «Züge haben etwas Gnadenloses, finden Sie nicht, Monsieur Poirot? Menschen werden ermordet und sterben, aber sie fahren einfach weiter. Ich rede Unsinn, aber Sie wissen, was ich meine.»
«Ja, ja, ich weiß. Das Leben ist wie ein Zug, Mademoiselle. Es geht weiter. Und es ist gut, dass es weitergeht.»
«Warum?»
«Weil der Zug irgendwann einmal das Ende der Reise erreicht, und dazu gibt es ein Sprichwort in Ihrer Sprache, Mademoiselle.»
«<Am Ende der Reise treffen sich die Liebendem.» Lenox lachte. «Für mich wird das nicht stimmen.»
«Doch — doch, es stimmt. Sie sind jung, jünger, als Sie selbst wissen. Vertrauen Sie dem Zug, Mademoiselle; der Lokomotivführer ist nämlich le bon Dieu.»
Wieder war das Pfeifen der Lokomotive zu hören.
«Vertrauen Sie dem Zug, Mademoiselle», murmelte Poi-rot wieder. «Und vertrauen Sie Hercule Poirot — er weiß Bescheid.»
Über dieses Buch
Im Februar des Jahres 1927 reist Agatha Christie mit ihrer siebenjährigen Tochter Rosalind auf die Kanarischen Inseln. Sie war zu dieser Zeit in schlechter Verfassung, denn die Scheidung von ihrem ersten Ehemann, Archi-bald Christie, stand bevor, und ihr fehlte die Lust am Schreiben. Nur widerwillig begann sie mit dem Roman The Mystery of the Blue Train. In ihrer Autobiographie lesen wir: «Was mich zur Eile antrieb, das war der Wunsch, besser gesagt die Notwendigkeit, ein weiteres Buch zu schreiben und Geld zu verdienen. Das war der Moment, wo ich vom Amateur zum Profi überwechselte. Ich nahm die Last eines Berufes auf mich, der darin besteht, dass man schreiben muss, auch wenn einem nicht danach zumute ist.»
Das Buch, das im März 1928 bei Collins in London herauskam, war ein großer Erfolg, die Kritiker sprachen ausnahmslos positiv über den Roman, den die Autorin selbst nie recht mochte. Die deutsche Erstausgabe erschien 1957 beim Scherz Verlag.
Die Widmung des Buches «Zwei hervorragenden Mitgliedern des O. F. D. gewidmet — Carlotta und Peter» bedarf der Erklärung. O. F. D. steht für «Order of the Faithful Dogs» («Orden der treuen Hunde»). Nach ihrer Scheidung wurde Agatha Christie von manchen «guten» Freunden im Stich gelassen. Halb ernst, halb im Spaß kam sie zusammen mit ihrer Sekretärin Charlotte Fischer, genannt Carlotta auf die Idee, Orden zu vergeben — wahre Freunde bekamen den «O. F. D. erster Klasse», andere den «Rattenorden dritter Klasse». Peter, dem das Buch gleichfalls gewidmet ist, dürfte ihr sprichwörtlich treuester Freund gewesen sein: ihr Drahthaar-Terrier.