Die Montage der großen Landungsrakete ging währenddessen schnell voran. Auf der Plattform außerhalb des Raumschiffes wimmelte es von Robotern und Kyberneten. Sie alle schleppten Materialien, transportierten Rumpfteile, handhabten Werkzeuge oder bedienten Maschinen. Zwischen ihnen glitten die Heloiden hin und her.
Über alles war helles Licht gestreut. Ein riesiger Plastikballon war um die Plattform aufgebläht worden. Er hatte die Aufgabe, mit Hilfe seiner Gasfüllung das Licht der Scheinwerfer zu zerstreuen und überall Helligkeit zu verbreiten. Das Raumschiff glich jetzt einem Doppelrumpfkreisel.
Die größte Zusammenballung von Arbeitskräften und Geräten herrschte am Heck des Atomicers. Die Triebwerkteile wurden montiert. An der Kante der Plattform schlängelte sich ein dicker Schlauch zur Rakete, durch den flüssiger Wasserstoff geleitet wurde. Der Atomicer wurde mit Treibstoff betankt.
Plötzlich erstarb jegliche Arbeit. Roboter und Heloiden wichen bis an den Rand der Plattform zurück. Aus dem Schleusentor der „Kua“ kamen in einer langen Reihe grellrote Transportroboter hervor. Ihr genauer Abstand, ihre übereinstimmenden Bewegungen und die wie Leuchtfeuer auf den Rümpfen kreisenden und rhythmisch blinkenden Lichtsignale flößten Unbehagen ein. Über den Sprechfunk war ihr Kommen angekündigt worden, und auch jetzt strahlten sie ununterbrochen die Warncode für Radioaktivität aus.
„Die Aussätzigen!“ raunte jemand. Gohati blickte sich um.
Neben ihm stand Aerona und sah auf die lange Reihe. Die rote Kette verschwand im Heckteil des Atomicers.
„Sie bringen die Stäbe mit dem Kernbrennstoff und setzen sie in den Reaktor ein“, sagte Gohati.
Die „Aussätzigen“, wie die Heloiden die Gruppe der roten Roboter nannten, wurden immer dann eingesetzt, wenn Schäden an einem der Reaktoren zu beseitigen waren oder wenn Kernbrennstoff aufgefüllt werden mußte. Das war ihre einzige Aufgabe. Der Umgang mit radioaktivem Material und mit den Brennstäben hatte sie im Laufe der Zeit selbst radioaktiv werden lassen. Eine Begegnung im Inneren des Kreiselschiffes oder gar eine Berührung mit ihnen konnte Strahlenkrankheiten hervorrufen. Die Roboter wurden genauso wie die spaltbaren Materialien getrennt und abgesondert aufbewahrt. Es lohnte nicht, sie nach jedem Einsatz zu reaktivieren. Man ließ sie ungereinigt.
Der letzte Roboter war noch nicht im Heck verschwunden, als die ersten bereits wieder auftauchten, um sich zurück in ihr Verlies zu begeben. Sie bewegten sich rasch und dennoch vorsichtig, um nirgends anzustoßen und Spuren zurückzulassen.
Kaum waren die roten Roboter im Schlund der „Kua“ verschwunden, als von allen Seiten wieder die Montageroboter und die dick vermummten Heloiden herbeieilten. Die Rumpfteile, die das Heck vervollständigten, wurden herbeigeschafft und montiert, ebenfalls die kurzen Flügel und das Leitwerk.
Tivia, die eben aus der großen Landungsrakete herausgestiegen war, meldete dem Kommandanten: „Ich bin mit der Überprüfung des Piloten-Leitstandes fertig. Es ist alles in Ordnung. Der Atomicer ist startklar.“
Dann ging sie zum Rande der langgestreckten Plattform.
Nachdenklich betrachtete sie den Atomicer, zu dessen Pilot sie für den bevorstehenden Flug bestimmt worden war. Die Spitze des langhalsigen Rumpfes war ihr zugewandt. Sie sah auf den gepanzerten Bug, hinter dem die Kabinen lagen. Ihr war, als erblicke sie die große Rakete zum erstenmal. Die Aufgabe, die ihr bevorstand, die Suche nach Sil, ließ sie dem riesigen Flugzeug mit neuen Empfindungen gegenüberstehen. Der Atomicer verlor für sie plötzlich sein totes Wesen. Er wurde zum Gefährten, auf dessen Zuverlässigkeit es ankam, um Sil zu finden und ihm Hilfe bringen zu können.
Der Plasteballon schrumpfte zusammen, und die Montageroboter räumten die Plattform. Auch die Raumfahrer schleusten sich wieder ein. In der Steuerzentrale versammelt, hörten sie stumm und bedrückt zu, was Azul ihnen niedergeschlagen zu berichten hatte.
„Wir haben jetzt mit allen drei Satelliten Verbindung.
Trotzdem ist es nicht möglich, den Weißen Pfeil zu orten. Er bleibt unauffindbar.“ Azul seufzte. „Sil hätte schon längst die beiden Meßsonden aussetzen müssen. Aber ich habe weder den Radarreflex des Raumgleiters gefunden noch die Funkzeichen der Sonden gehört.“
Gohati zögerte noch. Er ließ Azul weitersuchen. Als aber die Geräte noch immer keine Anzeichen für den Verbleib des Weißen Pfeils meldeten, entschloß er sich, den Atomicer für die Suche des Vermißten einzusetzen.
Tivia saß bereits im Pilotensessel. Seitdem der Atomicer zusammengesetzt und beladen war, hatte sie sich in seiner Steuerkabine aufgehalten. Sie war nicht mit zur Steuerzentrale zurückgegangen. Als vor ihr ein Lichtzeichen aufleuchtete, ließ sie sofort den Reaktor anlaufen.
Da kam auch schon Azul über die Startfläche und glitt in die Eingangsschleuse des Atomicers. Hinter ihm verschloß sich der Einstieg der großen Landungsrakete fest und sicher. Roboter lösten die Verblockung. Der Atomicer war frei. Langsam schob er sich von der Plattform. Der Abstand zwischen Raumschiff und Atomflugzeug wurde größer und größer. Das Bremstriebwerk flammte auf. Der Abstieg begann.
Mit hoher Geschwindigkeit zog der Atomicer niedrig über den Planeten dahin. Er folgte den Aufzeichnungen, soweit die Geräte der „Kua“ den Kurs des Weißen Pfeils registriert hatten. Jetzt überquerte er eine große Wasserfläche. Zweimal schon hatte Tivia zur Landung angesetzt, einmal auf der kleinsten der fünf Festlandsschollen und ein anderes Mal auf dem Südzipfel des langgestreckten Doppelkontinentes.
Jedesmal hatten Tivia und Azul geglaubt, am Boden den Weißen Pfeil gesehen zu haben. Doch sie hatten sich getäuscht. Unablässig suchten sie nach dem verschwundenen Sil.
Gohati meldete sich von Bord der „Kua“. Über die drei gleichmäßig um den Äquator verteilten Übertragungssatelliten konnte er jederzeit mit ihnen sprechen, als säßen sie nebeneinander im Raumschiff. „Ich halte es für ausgeschlossen, daß der Weiße Pfeil noch in der Luft ist. Er hätte der Radarkontrolle längst auffallen müssen“, sagte der Kommandant. „Sucht besonders die tiefen Falten der Gebirge ab“, riet er und fügte hinzu: „Seid vorsichtig. Unsere Beobachtungsgeräte haben starke, orkanartige Luftströmungen, Windkanäle in der Atmosphäre des Planeten festgestellt, die ihn in großen Höhen mit hoher Geschwindigkeit umkreisen, ihn wie mit einem Netz von Straßen umspannen.“
„Ob Sil in einen solchen Windkanal geraten sein könnte?“
gab Azul zu bedenken.
„Das wäre möglich“, sagte Gohati.
„Die Küste der drittgrößten Festlandsscholle kommt in Sicht“, meldete Tivia kurz darauf.
Azul spähte nach unten. Tivia ließ den Atomicer eine riesige Schleife ziehen.
Da war wieder Gohatis Stimme zu hören. „Wir empfangen Funksignale der Festlandssonden!“ rief er. „Versucht, die Meßsender zu orten!“
Azul stand schon an den Geräten und stellte sie ein. Jetzt waren die Signale der Sonden auch im Atomicer zu hören.
Azul peilte sie an. Dann drehte er sich zu Tivia um und machte eine bedeutungsvolle Geste: „Beide Funksignale kommen aus derselben Richtung“, flüsterte er.
„Bitte sofort neuen Kurs!“ verlangte Tivia. Azul gab ihr die Werte an. Das Atomflugzeug beschrieb einen leichten Bogen und wechselte von Ost- auf Nordostkurs.
Azul prüfte die Berechnungen des Ortungsgerätes immer wieder. Doch es blieb dabei. Alle Messungen kreuzten sich an einem Punkt östlich eines Meeres, das, wie die Karte zeigte, in der Mitte zwischen zwei Festlandsschollen lag. Das mußte der Standort beider Meßsender sein, und das konnte auch nur die Position… Er wagte nicht, zu Ende zu denken. Er wollte keine falschen Hoffnungen in sich aufkommen lassen. Azul zeigte wortlos Tivia den Punkt auf der Karte, von dem die Sonden ihre Meßwerte ausstrahlten.
„Die Flugstrecke bis dorthin ist sehr lang“, sagte Tivia. „Wir müssen Höchstgeschwindigkeit fliegen und wieder in die dünnen Schichten der Atmosphäre aufsteigen.“