Die „Kua“ flog nahe der Geschwindigkeit des Lichtes, nur ein Zwanzigstel langsamer, stellte er fest. Die Instrumente zeigten auch, daß der Große Abgrund keine Meteoriten und keine kosmischen Staubpartikel hatte. Das Raumschiff konnte daher gefahrlos so schnell fliegen; der Antrieb arbeitete normal; die Geschwindigkeit stieg langsam weiter an. Der Druck dieser ständigen Beschleunigung entsprach einer heloidischen Gravitationseinheit. Er ließ die Raumfahrer ihr Körpergewicht nicht schwerer als auf ihrem Heimatplaneten empfinden.
Einzelne Tonfetzen schwirrten zirpend, von längeren Pausen unterbrochen, durch die Steuerzentrale.
„Wir altern also kaum“, stellte Gohati fest. Er war zufrieden mit der lichtnahen Geschwindigkeit. Die Zeitdilatation wirkte zu ihrem Vorteil.
„Ja“, sagte Azul sinnend, wie zu sich selbst. „Seitdem wir Heloid, unseren heimatlichen Planeten, verlassen haben, vergingen für uns erst sechs Sonnenumkreisungen. Daheim aber sind unzählige Lebensalter vorüber, und Heloid hat bereits viele, viele Male seine Sonne umkreist. Unsere ehemaligen Lebensgefährten, die zurückblieben, sind längst schon alle Vergangenheit. Von unserer Heimat trennt uns nicht nur die unwiederbringliche Zeit, sondern auch der Raum, der lange Weg, die…“
„Wir haben bisher über neuntausend Lichtzeiten zurückgelegt“, unterbrach ihn Sil ernst. Das Zirpen seiner Sprache hatte sich verlangsamt. „Wir sind die erste Expedition, die im Auftrag der Galaktischen Gemeinschaft solche Entfernungen bewältigt“, sagte er stolz.
Diese nüchterne Feststellung verfehlte nicht ihre Wirkung auf Azul. Seine aufkeimende Schwermut war vorerst gedämpft.
Gohati horchte auf. Was war mit den beiden? Er versuchte zu erfahren, was sie bewegte. Doch sie gingen nicht auf seine Frage ein.
Ohne Übergang berichtete Siclass="underline" „In der Periode, in der du schliefst, Gohati, gab es einige Vorfälle. So mußten wir beispielsweise manövrieren und den Flug stärker beschleunigen, um einem Kometen auszuweichen. Ein anderes Mal durchschlug ein Partikelchen kosmischen Staubes, ein Mikrometeorit, unseren Energieschirm und streifte das Raumschiff. Eine der kleinen Düsen am großen Radius des Kreiselschiffes fiel vorübergehend aus. Später erlosch das Myonenhirn der automatischen Steuerung und Navigation.
Azul übernahm solange die Steuerung, bis der Schaden behoben und das künstliche Gedächtnis mit allen notwendigen Angaben wieder aufgefüllt war.“
„Und warum habt ihr mich geweckt?“ drängte Gohati.
Azul unterbreitete dem Expeditionsleiter seinen Vorschlag zu landen.
An der Wand leuchtete eine Sternenkarte auf. Die dunklen Schatten der drei Lebewesen wuchsen empor, streckten sich und glitten zur Karte hinüber. Die Unterhaltung der Heloiden wurde lebhafter. Ein ununterbrochener Schwall ihrer Redetöne schwang zur Kuppel des Steuerraumes empor.
„Wo befinden wir uns zur Zeit?“ fragte Gohati.
Azul, erster Astronom und Navigator der Expedition, gab Auskunft: „Wir folgen gegenwärtig einer Linie, die ungefähr sechzehn Parallaxensekunden nördlich der galaktischen Ebene verläuft. Hier sind die Sterne seltener. Südlich der Ebene stehen die Systeme dichter beieinander. Zur Zeit befinden wir uns etwa gleich weit entfernt von dem weißen Stern Sirian, dem roten Tari und dem namenlosen gelben Stern, nämlich sechs Lichtzeiten. Wir sollten uns einer dieser drei Sonnen zuwenden, um in ihrer Nähe nach erkalteten Raumkugeln zu suchen.“
Gohati sann nach. Wie beiläufig sagte er: „Wir müßten den gelben Stern einordnen und ihm einen Namen geben.“
Sil war erstaunt. Er hatte erwartet, daß Gohati sich auf das Wichtigste, auf eine Entscheidung für oder gegen die Landung konzentrieren würde. Statt dessen verblüffte er ihn mit einer solchen Nichtigkeit. Warum wollte der Kommandant diesem unbekannten und unbedeutenden Stern einen Namen geben?
Aber so war Gohati. In Augenblicken großer Gefahr oder bei wichtigen Entscheidungen tat er oft scheinbar Unwichtiges oder sagte Belangloses. Später stellte es sich stets heraus, daß das Unwichtige und Belanglose richtig oder sogar von entscheidender Bedeutung gewesen war. Gohati bewies damit immer wieder eine Überlegenheit, die ihn so hervorragend zur Führung dieser Expedition befähigte.
„Geben wir doch dem gelben Stern einen unserer Namen“, schlug Azul vor. „Wir könnten ihn ›Sil‹ nennen. Alle werden damit einverstanden sein.“
Gohati stimmte überraschend schnell zu.
Sils Schatten zeigte eine heftige Bewegung. Bis zu diesem Augenblick hatte es sich dieser Kosmonaut nicht träumen lassen, daß eines der zahlreichen Gestirne im All einmal seinen Namen tragen würde. Ich habe mich doch weder um die Expedition noch bei der Beobachtung des gelben Sterns besonders verdient gemacht, dachte er verwundert.
„Mir scheint es richtig zu sein, wenn wir im Verlauf der Expedition unsere Namen an die Sterne heften. Das Recht dazu erwächst uns aus unseren Leistungen bei der wissenschaftlichen Eroberung der sternschimmernden Weiten“, sagte Gohati.
„Das waren auch meine Gedanken“, pflichtete Azul dem Kommandanten bei.
„Und nun wollen wir beraten, zu welchem dieser drei Sterne wir uns wenden sollten, falls wir landen“, sagte Gohati. „Was schlägst du vor, Azul?“
Gewonnen, dachte Azul. Aber er empfand dennoch keine richtige Freude. Es quälte ihn, daß er sich noch nicht entschieden hatte, von seiner Raumangst zu sprechen.
„Der hellste dieser drei Sterne ist der Sirian“, begann er mechanisch. „Er leuchtet zwanzigmal so hell wie zum Beispiel der gelbe Stern.“
„Wie ›Sil‹“, verbesserte Gohati lächelnd.
„Richtig. Sirian ist aber nur zwei- bis dreimal größer. Es ließ sich noch nicht feststellen, ob in seiner Umgebung größere erkaltete Raumkugeln vorhanden sind, die für eine Landung geeignet wären. Ich würde dazu raten, den Sirian nicht anzufliegen, denn er ist ein Doppelstern. Unsere astronomischen Beobachtungsgeräte registrierten nämlich eine der gefürchteten zwergenhaften Kompressionssonnen in seiner Nähe. Der Zwergstern könnte uns unangenehm werden. Er hat sowohl eine hohe Temperatur als auch eine sehr große Dichte.
Seine Substanz ist ungewöhnlich stark zusammengepreßt. Dies bedeutet, daß auch die Gravitation nahe seiner Oberfläche enorm sein muß. Kämen wir in seine Nähe, so wären die Triebwerke unseres Raumschiffes auf die Dauer kaum in der Lage, ihm Widerstand zu leisten. Die Düsen müßten auf Hochtouren laufen und ihre volle Kraft wirken lassen. Dennoch könnte uns die weiße Zwergsonne beim Sirian einfangen und an sich ziehen. Sie würde unserem Raumschiff mit ihrer ungeheuren Anziehungskraft ein riesiges Gewicht verleihen.“
Azul verstummte. Ihm kam es zu Bewußtsein, daß er sich zu sehr in Einzelheiten verlor, die ohnehin bekannt waren. Das brachten die langen einsamen Zeiten mit sich, in denen er Steuerwache zwischen der geisterhaft anmutenden Elektronik hielt. Man verfiel dabei oft in ausführliche Gedankengänge, die leicht beim Sprechen zur Gewohnheit werden konnten. Auch seine Liebe zur Astronomie hatte ihn verleitet, sich längeren Schilderungen über die Zwergsonne hinzugeben.
Ich muß mich kürzer fassen, ermahnte er sich und setzte seinen Bericht fort.
„Auch die rote Sonne Tari ist ein doppelsterniges System.
Hierbei, handelt es sich aber um zwei ungefährliche, abgekühlte rote Sonnen. Ihre Oberflächentemperatur ist niedrig. Die beiden roten Glutbälle gehören dem Spektraltyp Me an.“ Gedrängt nannte er Zahlen, Bezeichnungen und Formeln.
„Besteht theoretisch die Möglichkeit, in diesem doppelsternigen System erkaltete Raumkugeln zu finden?“
erkundigte sich Sil.
„Ja, man muß sie allerdings auf stark gestörten Bahnen suchen, weil sie um zwei Sonnen kreisen. Kühle Sterne wie die beiden roten Taris weisen in ihrer Umgebung günstige Bedingungen für eine Flugunterbrechung auf. In ihrem Bereich ist es am einfachsten zu landen, um Urenergie zu suchen und zu bergen.“