Plötzlich ertönte auch das Rufzeichen des Weißen Pfeils aus dem Schallgeber. Es kam für alle so unerwartet und überraschend, daß mehrere Augenblicke vergingen, bevor die Heloiden im Raumschiff und im Atomicer antworteten.
„Hier ›Kua‹!“
„Hier Atomicer!“ Sie meldeten sich zugleich.
Schließlich drang Gohatis Stimme durch. „Hier ›Kua‹ auf Kreisbahn! Wir hören dich. Dein langes Schweigen machte uns große Sorgen. Der Atomicer ist zu dir unterwegs. Welche Hilfe brauchst du?“
„Hier Weißer Pfeil, bitte kommen! — Hier Weißer Pfeil, bitte kommen! — Hier Weißer Pfeil, bitte kommen! — Hier Weißer Pfeil, bitte kommen! — Hier Weißer Pfeil…“, tönte es statt einer Antwort Sils unentwegt und monoton in gleichmäßigem Rhythmus aus den Empfangsgeräten.
Tivia konnte auf dem Bildschirm sehen, wie Gohati im Raumschiff erstaunt die Funkapparatur überprüfte. Es war alles in Ordnung. Gohati versuchte es noch einmaclass="underline" „Hier Raumschiff auf Kreisbahn! Wir hören dich. Sil, bitte antworten!“
„Hier Weißer Pfeil, bitte kommen! — Hier Weißer Pfeil, bitte kommen! — Hier Weißer Pfeil, bitte…“, echote es weiter. Das Rufzeichen der Erkundungsrakete mutete wie Hohn an. Hatte Sil das Gehör verloren? Kein anderer als nur er allein konnte den Ruf eingeschaltet haben. Warum empfing er die Anfragen des Raumschiffes und des Atomicers nicht?
Azul ortete den Sender, der den Ruf des Weißen Pfeils ausstrahlte, und verglich ihn mit der Peilung der Festlandssonden.
„Die Standorte des Weißen Pfeils und der Meßsonden sind miteinander identisch“, meldete Azul an das Raumschiff. „Wir fliegen zum langen Tal östlich des Meeres der Mitte zwischen den beiden Kontinenten.“
Bald blinkte in der Ferne dieses Meer auf. Schnell schob sich die Wasserfläche heran. Der Atomicer überquerte das Meer, und schon wurden auch die beiden Gebirgsketten sichtbar.
Tivia mußte die Geschwindigkeit vermindern und ihr Atomflugzeug tiefer steuern. Azul achtete streng auf den Erider. Im Nu stoben sie über das Tal hinweg. Rasch glitten ihre Augen die Bodenfalte entlang. Aber es gelang ihnen nicht, aus dieser Höhe durch den flimmernden Dunst den Weißen Pfeil zu erkennen. Nur eines ihrer Geräte hatte für wenige Augenblicke einen hellen Reflex auf den Sichtschirm geworfen. Dieses Zeichen war eindeutig. Es konnte nur vom Weißen Pfeil herrühren.
Schnell fixierte Azul diesen Punkt auf dem Navigationsgerät des Pilotrons.
„Geschwindigkeit verringern, tiefer steuern und das lange Tal noch einmal überfliegen“, ordnete er an.
Sofort nahm Tivia die entsprechenden Schaltungen am Pilotron vor. Gehorsam neigte das Atomflugzeug seinen Bug und legte sich in eine weite Kurve. Der Flug wurde langsamer. Jetzt lag die Bodenfalte in ihrer ganzen, mehrere hundert Kilometer langen Ausdehnung unter ihnen.
„Landeplatz suchen“, stieß Azul hastig hervor.
Schon erschien erneut der Radarreflex der Erkundungsrakete. Deutlich zeichnete sich auf dem Schirm der helle Schattenriß des gepfeilten Rumpfes ab. Auch auf dem Erider war diesmal ein weißer Fleck im Tal zu erkennen. Wölkchen huschten vorbei.
„Hier Weißer Pfeil, bitte kommen! — Hier Weißer Pfeil, bitte kommen! — Hier Weißer Pfeil…“, tönte jetzt der Ruf des nahen Senders überlaut durch die Kabine der großen Landungsrakete. Sollte Sil den Atomicer noch nicht gesehen haben? Er könnte doch jetzt Sprechverbindung mit ihnen aufnehmen.
Azul zögerte, den Befehl zur Landung zu geben. Er hatte bemerkt, daß der eine der beiden Meßsender in der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Anflug seinen Standort geändert hatte.
„Das Tal noch einmal überqueren!“
Der Atomicer beschrieb einen riesigen Kreis und ging noch tiefer herab. Die Geschwindigkeit war bis auf die Warnmarke unterhalb der Schallgrenze gesunken. Das Triebwerk heulte auf, als der Riesenvogel über der Bodensenke war. Die Geschwindigkeit erhöhte sich wieder. Mit einem Knall durchbrach das Atomflugzeug die Schallmauer.
Es war keine Täuschung gewesen. Der Abstand zwischen den beiden Meßsonden unter ihnen war noch größer geworden. Die Angaben des Funkmeßgerätes waren eindeutig. Die wandernde Sonde hatte inzwischen die andere Seite des Tales erreicht.
Bedeutete dies, daß sie nicht landen sollten? Es war, als habe die wandernde Sonde einen Strich quer durch das Tal gezogen.
Azul setzte sich mit der „Kua“ in Verbindung und schilderte Gohati seine merkwürdige Beobachtung.
Gohati gab ihm folgende Informationen durch: „Haben einseitige Verbindung herstellen können. Sil ist wohlauf. Wir hören und sehen ihn. Er kann uns aber nicht antworten. Er befindet sich im langen Tal. Der Weiße Pfeil scheint beschädigt zu sein, jedoch braucht Sil eure Hilfe nicht mehr so vordringlich. Wir vermuten, daß er Lebewesen beobachtet.
Landet deshalb nicht im langen Tal, sondern geht südlich des Meeres der Mitte in der gelben Einöde nieder.“
Die beiden Heloiden im Atomicer sahen sich erleichtert an.
Azul sank aufatmend in seinen Sessel zurück, und Tivia wiederholte erlöst: „Sil ist wohlauf. Sil lebt.“
Doch der schnellfliegende Atomicer ließ ihr keine Zeit, ihre frohe Stimmung voll auszukosten. Sie steuerte ihn zurück und überquerte abermals das Meer der Mitte. Azul bestimmte den Landepunkt unweit der Küste und gab dem Pilotron die entsprechenden Navigationsdaten an. Dann schalteten sie auf die automatische Steuerung um. Wenig später setzte der Atomicer zur Landung an, senkte sich feuerspeiend zur Wüste hinab.
Dann verstummten die donnernden Düsen. Das langhalsige Atomflugzeug der Heloiden war in der gelben Einöde nahe dem Meer der Mitte gelandet. Über den Bildschirm am Leitpult und vor den dicken Kugelscheiben der Kabinen im Kopfteil des Flugzeuges wirbelten dichte Schwaden aus Sand, Staub und Rauch. Die strahlende Scheibe des gelben Sterns war verhüllt. Sie vermochte den dichten Vorhang hochgeschleuderten Wüstenbodens nicht zu durchdringen. Nur manchmal war zwischen den Staubwolken der Kreis ihres Randes dunkelrot zu sehen. Ihre sengenden Strahlen vermischten sich mit der Hitze, die vom Landeplatz des Atomicers aufstieg. Die Thermoelemente meldeten von draußen hohe Temperaturen. Doch die Atemluft in der Kabine blieb frisch. Das Kühlsystem arbeitete zuverlässig.
„Hallo, ›Kua‹! Hier Atomicer! Landung geglückt. Sind südlich des Meeres der Mitte in der gelben Einöde niedergegangen. Wir entladen gleich den Ringflügler. Werden mit ihm umgehend zum langen Tal starten und den Standort des ›Weißen Pfeils‹ anfliegen. Tivia und…“
„Hier Weißer Pfeil! Hier Sil!“ tönte es plötzlich, laut dazwischen. „Meldung an die ›Kua‹: Der blaue Planet ist bewohnt! Er trägt verstandbegabte Lebewesen! Sie nennen sich Menschen! Habe Kontakt aufgenommen. Ihre Denkweise noch einfach! Sie stehen vermutlich noch am Anfang der Zivilisation!“
Aus Sils kurzen, atemlos hervorgestoßenen Worten klang deutlich seine Freude. Er vergaß sogar, über sich zu berichten.
Gohati konnte die Begeisterung gut verstehen. Er fragte deshalb nicht gleich nach den Ursachen der Notlandung.
„Hier ›Kua‹! Hier Gohati! Wir freuen uns, daß du lebst und unverletzt bist. Ich beglückwünsche dich zu der Begegnung mit Bewohnern dieses Planeten. Wir hatten seit einiger Zeit über die Funksatelliten Verbindung zum Weißen Pfeil und sahen deine Verständigungsversuche mit dem Menschenwesen. Azul und Tivia sind zu dir unterwegs. Erwarte sie. Die gegenwärtig wichtigste Aufgabe ist, einen Landeplatz für die ›Kua‹ zu suchen. Prüft, ob sich das lange Tal dazu eignet. — Ende.“
Azul und Tivia hatten ergriffen und voller Spannung auf die Worte gelauscht. Dann sprangen sie auf und verließen schnell den Kopfteil des Atomicers. Sie eilten in den angrenzenden Laderaum, in dem der Ringflügler stand, kletterten in die runde Vollsichtkanzel dieses kleinen Flugzeuges und nahmen ihre Plätze ein.