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Ia-du-lin nahm feierlich Platz. Dann trat der Stammesfürst ein.

Er verneigte sich tief und überreichte dem Herold schweigend die Waffen, die ihm die Patrouille abgenommen hatte, als er, am Busch sitzend, eingeschlafen war. Schließlich wurde der Esel wie ein heiliges Tier hereingeführt und neben den hohen Sitz gestellt.

Ia-du-lin hob die Hand wie bei einem Zeremoniell, stieg von seinem Thron herab und nahm langsam den dreieckigen, spitzen Stein des Himmelssohnes vom Eselrücken.

Niederkniend setzte er ihn vor seinem Sitz ab.

Dann kam ein junger Krieger, der ein großes Gefäß mit Wasser schleppte, herein. Er stellte es vor Ia-du-lin nieder, streifte ihm die Sandalen ab und wusch ihm, einer Sitte des Zweistromlandes entsprechend, die Füße.

Nun konnte das Mahl beginnen. Für die drei Ältesten wurde in der Mitte des Zeltes ein großes, sauberes Stück Ochsenhaut ausgelegt, auf der gelblichgrüne, rote und schwarze irdene Gefäße mit gebratenem Fleisch, Körnerbrei, Ziegenmilch und Bier aus Spelzweizen aufgetragen wurden. Ia-du-lin brauchte nur zu bedeuten, welche Speisen er haben wollte. Der Stammesfürst stand neben seinem erhöhten Sitz und reichte ihm, seine Wünsche erfüllend, die Schälchen. Der Tamkare dehnte das Mahl absichtlich aus, um Klarheit darüber zu gewinnen, wohin diese Zeremonie führen sollte. Aber aus den sparsamen Gebärden der Stammesältesten und dem tiefen, höflich-ehrfurchtsvollen Schweigen, das alle bewahrten, ließ sich nichts entnehmen.

Als das Mahl beendet war, traten Krieger in das Zelt. Es waren alles ausgesuchte, kampferprobte Männer. Ia-du-lin erkannte es an ihren zahlreichen Narben. Sie nahmen ringsum an der Zeltwand Aufstellung.

Die Beratung begann.

„Großer Nubanda-Patesi!“ hub einer der Ältesten an. „Wir, die Krieger, unsere Weiber und Kinder und auch unser Vieh sind voller Angst und Unruhe. Heute mittag, als du dich unserem Lager nähertest, fuhr mit einem Wind ein Ungeheuer vom Himmel herab. Sein Bauch spie einen Riesen ohne Kopf aus. Du allein, o tapferer Nubanda-Patesi und oberster Priester der Ziggurat, des großen siebenstufigen Tempels, bist dem Riesen und dem Ungeheuer mutig entgegengetreten und hast seinen Zorn mit deinem heiligen Wort besänftigt. Da nannte sich der furchtbare Riese Himmelssohn. Welcher deiner Götter ist er? Erteile uns deinen Rat, o hoher Priester, welche Opfergabe wir diesem Gott bringen müssen, damit er sich wieder entferne.“

Ia-du-lin saß lange unbeweglich und blickte starr geradeaus, so als hätte er die Rede des Ältesten nicht vernommen. Er dachte aber angestrengt darüber nach, welche Antworten auf diese schwierigen Fragen zu geben waren.

Geduldig wartete die Versammlung.

Ia-du-lin war sich noch nicht schlüssig. Da hörte er es vor sich im heiligen Stein wieder ticken, knacken und surren. Das kam ihm gelegen. Obwohl es still war im Zelt, hob er plötzlich Ruhe heischend die Hand. „Der heilige Stein spricht“, sagte er und beugte sich lauschend vor. Jetzt erstarb selbst das Rascheln der Gewänder. Alle horchten atemlos. Und wirklich, ein jeder vermochte wahrzunehmen, wie es sich in dem heiligen Stein regte.

Als diese Geräusch erstarben und sich nicht wiederholten, richtete sich Ia-du-lin aus seiner gebeugten Haltung auf.

Bewegung ging durch die Reihen der Männer, und hier und da kam ein scheues, ehrfurchtsvolles Wispern und Murmeln auf.

Der Tamkare hob erneut seine Hand.

„Sil, der Himmelssohn, I-na-nuas Sohn, ist aus den Wolken herabgefahren, um den heiligen Stein zur Erde zu bringen“, verkündete Ia-du-lin. „Sil hat den heiligen Stein mir, seinem treuen Diener, übergeben, damit ich ihn heim nach E-rech führe und ihn aufstellen lasse im neuen Tempel der I-na-nua, den En-mer-kar erbauen ließ und der mit Lapislazuli und Karneolen ausgeschmückt werden wird. Überall, wo diesem heiligen Stein Unheil droht, und immer, wenn in seiner Nähe Unrecht geschieht, erscheint Sil, um die Untat zu sühnen. Eure Männer, die mich heute fesselten und mich von meinem Wege hinwegführten, sollen bestraft werden. Doch ich werde für sie bitten. Der heilige Stein hat eben zu mir gesprochen und gefordert, daß sich alle, die hier anwesend sind, morgen mittag, wenn die Sonne den Zenit erreicht, wieder hier einfinden. Der Stein wird dann abermals sprechen und die Strafe verkünden.“ Ein Raunen ging durch die Runde.

Als es wieder ruhig war, fuhr Ia-du-lin fort: „Die Opfergabe, die ihr Sil bringen müßt, soll groß sein. Führt eine eurer Herden morgen noch vor dem Mittag zu dem fliegenden Haus des Himmelssohnes. Er wird bestimmen, was mit den Tieren geschehen soll.“

Damit war Ia-du-lin am Ende. Zum Zeichen dafür erhob er sich, stieg von seinem erhöhten Sitz herab und ließ sich zu ebener Erde neben dem spitzen Stein des Himmelssohnes nieder. Die Krieger, der Ältestenrat und der Stammesfürst verließen das große Beratungszelt, sich zum Dank tief verneigend.

Der Tamkare blieb allein. Man hatte ihm bedeutet, daß er in diesem Zelt auch wohnen durfte.

Gegen Abend verließ Ia-du-lin sein Zelt. Er zeigte sich im Lager der Sandwanderer und genoß die Ehrfurcht, die man ihm überall bewies. Den Esel, der sich im Zelt niedergelassen hatte, trieb er hinaus und führte ihn auf die grünste und saftigste Weide des Hügelhanges nahe der Quelle.

Dann stieg er den Hügel hinauf und überschaute von dort aus weit das Dürrland. Die untergehende Sonne umspielte ihn mit ihren roten Strahlen. Lange stand er einsam dort oben, unbeweglich und sinnend, ob es ihm gelingen könnte, in E-rech diese Ehrungen und diese Würden zu erlangen, die ihm hier unerwartet beschert wurden. Er überlegte, ob er, gestützt von der Macht des Steines, danach trachten sollte, die Stellung eines Nubandas zu erlangen oder die eines Hohenpriesters. Ia- du-lin konnte sich nur schwer entscheiden. Er wollte es den Umständen überlassen, die er in E-rech vorfinden würde.

Vielleicht war es sogar möglich, an En-mer-kars Stelle zu treten.

Sil und Azul betrachteten neugierig auf dem Erider die Vorgänge im Lager, ohne sie deuten zu gönnen. Sil empfand große Besorgnis, als Ia-du-lin, von vielen Waffenträgern umringt, in eine der Wohnstätten eintrat und dort längere Zeit verborgen blieb. Jeden Augenblick erwartete er wieder das Verstummen der Signale der Meßsonde, und sicherlich wäre er, obwohl die Zeichen nicht aussetzten, bald dorthin aufgebrochen, um nachzusehen, was geschah, wenn ihm Azul nicht davon dringend abgeraten hätte.

Azul hoffte, daß Ia-du-lin den Menschenwesen zu erklären vermochte, wer sie seien. Morgen werde man sehen, ob sie die Angst vor ihnen allmählich verlören und sich an die Existenz des Ringflüglers gewöhnten. Sie müßten sich daher beide ganz ruhig verhalten, schlug er vor.

Sie schlossen den Ausstieg, ließen die heiße Stickluft des bläulichen Planeten absaugen, sterilisierten ihre Kabine und füllten sie dann mit heloidischer Atemluft auf. Schließlich entledigten sie sich ihrer Skaphander und setzten sich mit der „Kua“ in Verbindung, um einen ersten Bericht von ihrem Unternehmen zu geben.

Anderntags waren Sil und Azul sehr erstaunt, wie noch vor der Zenitzeit dieses Landteiles vom Lager der Menschenwesen her eine Herde von Vierbeinern auf ihr Flugzeug zugetrieben wurde. Die merkwürdigen Tiere, von denen viele gebogene Stäbe an ihren Köpfen trugen, wurden von einigen Menschenwesen vorangestoßen. Auf halbem Wege blieben die Menschen zurück. Die Tiere zogen langsam weiter und zupften dabei gelbe Stiele. Sie zerstreuten sich allmählich. Bald gerieten auch einige der Vierbeiner unter den Rumpf des Flugzeuges, und da die Sonne in zunehmendem Maße sengte, empfanden sie die Kühle des großflächigen Schattens, den der Rumpf warf. Sie ließen sich nieder. Nach und nach zogen immer mehr der Tiere herbei, so daß schließlich die ganze Herde unter dem Gefährt der Raumfahrer lag.