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Azul, der diesmal den Ring steuerte, hielt, als sie über der Stadt schwebten, nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau.

In dem Geschachtel der Wohnzellen lagen nur wenige hofartige Plätze, die kaum Raum zum Landen und Starten boten. Im hellen Mondlicht sah Azul einen größeren Platz im Zentrum. Dort setzte er den Ringflügler auf.

Ia-du-lin sprang aus der Kabine, erstaunt, schon wieder aussteigen zu können. Seine Sandalen berührten klatschend harten Boden. Er trat unter dem noch kreisenden Flügelring hervor, sich unter dem Luftstrom unwillkürlich bückend. Ja, unverkennbar, das war E-rech, das war der heilige Bezirk der Stadt mit seinen in weitem Halbkreis angeordneten fünf Tempeln. Der Mond stand hinter der Ziggurat. Die wuchtigen Konturen des Stufenturmes reckten sich in den Nachthimmel.

Das bleiche Licht des Mondes floß in langen Bahnen über den Platz, ließ hier grell eine hellgetünchte Mauer aufleuchten und versteckte dort im Halbdunkel die Ecken und Winkel.

Auch Sil und Azul waren ausgestiegen. Der weite Platz um sie erschien menschenleer. Allein bei jedem der Gebäude, im Schatten einer Treppe, einer Säule oder einer vorspringenden Ecke versteckt, waren deutlich Wärmeflecken zu erkennen.

„Wer steht vor den großen Häusern?“ fragte Sil über den Myonendolmetscher.

„Es sind Tempelwächter, die die Ruhe der Götter und die Schätze der heiligen Stätten bewachen“, antwortete Ia-du-lin. „Kommt mit mir. Ich führe euch. Nan-nar und Nin-Gal werden euch gastlich aufnehmen.“

Die beiden folgten Ia-du-lin, der auf eines der großen Gebäude zuschritt. Wer mochten Nan-nar und Nin-Gal sein, daß sie so gastfreundlich Kosmonauten aufnahmen?

Ia-du-lin sprang schnell die breiten Stufen zum Hauptportal hinauf und eilte auf den Tempeldiener zu, der das Tor bewachte. „Zwei Götter kommen. Es sind die Söhne der I-na- nua. Öffne uns, rasch!“ flüsterte er ihm zu.

Der Tempelwächter hatte mit Grausen die Vorgänge auf dem Tempelplatz beobachtet. Willenlos tat er, was man von ihm forderte. Dann stürzte er davon, die Oberpriester zu verständigen.

Ia-du-lin tastete sich durch die Dunkelheit der Tempelhallen.

Er hatte Mühe, den Weg zu finden. Wäre er hier nicht oft ein und aus gegangen und fiele nicht ab und zu ein Mondstrahl durch eine Öffnung in der Decke oder in der Mauer, hätte er nur schwer zum Hauptsaal gefunden. Die Himmelssöhne, die kleine dunkelrote Lampen trugen, bewegten sich so sicher, als sei für sie alles hell erleuchtet. Sie durchschritten Gänge und Räume. Im Hauptsaal angelangt, blieben sie vor der Statue des Mondgottes stehen, eines alten, hageren Mannes mit einer Mondsichel in der Hand. Öl-lichte erhellten spärlich die geräumige Halle.

Zwei Tempeldiener sprangen mit einem Ruf des Entsetzens auf, als lautlos zwei unbekannte Gestalten erschienen. Sie preßten sich rückwärts an die Wand. Verwundert bemerkten sie einen Menschen zwischen ihnen, und sie lauschten seiner Stimme.

„Hier bitte ich euch zu warten“, sagte Ia-du-lin zu Sil und zu Azul. „Wir sind im Tempel des Mondgottes Nan-nar. Es ist der größte Tempel in E-rech. Ich werde zu En-mer-kar gehen und ihm von euch berichten. Noch heute nacht komme ich wieder.

Zeigt euch keinem Menschen. Sie würden erschrecken und aus der Stadt in die Speere und Pfeile der Belagerer laufen. Nur die Priester dürfen euch sehen.“

„Ich sehe aber, daß auch die Priester sich vor uns fürchten“, sagte Sil. „Was werden die Menschen erst sagen, wenn sie unseren fliegenden Ring auf dem Platz vor diesem großen Haus stehen sehen?“

„Bis zum Morgengrauen wird sich Rat finden“, sagte Ia-du- lin.

Dann wandte er sich den beiden Priestern zu. „En-mer-kar wird kommen und die Söhne der I-na-nua befragen. Verhaltet euch ehrfurchtsvoll“, forderte er sie auf.

Als Ia-du-lin aus dem Portal des Tempels hinaus auf die Stufen trat, sah er, daß sich überall in weitem Rund Gruppen von Priestern versammelt hatten, ängstlich bemüht, im Schatten der Bauten zu bleiben. Sie starrten zum fliegenden Ring hinüber, dessen Flügelstummel sich immer noch langsam drehten.

Ia-du-lin erinnerte sich des wundersamen Steins, der im fliegenden Haus der Himmelssöhne geblieben war. Für das, was er noch heute nacht alles zu tun gedachte, brauchte er ihn.

Er hastete quer über den Platz auf den fliegenden Ring zu.

Kaum war ihm Ia-du-lin auf einen Steinwurf nahe gekommen, als das Gefährt plötzlich aufsummte und sich ein Stück in die Luft erhob. Erstaunt blieb Ia-du-lin stehen. Waren die Himmelssöhne doch aus dem Tempel herausgekommen und hatten noch vor ihm ihr fliegendes Haus bestiegen? Aber hinter den matt erleuchteten durchsichtigen Wänden des fliegenden Hauses regte sich nichts. An seinem Boden zwischen den drei Füßen pendelte die Klappe, die Tür dieses Hauses. Ia-du-lin ging ein Stück zurück und überlegte, was zu tun sei. Da senkte sich der Ringflügler wieder herab und stellte sich auf den Platz, langsam und ruhig den Wind fächelnd. Erfreut ging Ia-du-lin wieder auf ihn zu, und wieder erhob sich das runde Haus, heftig mit seinen Flügeln kreisend. Es stellte sich erst auf den Boden, als Ia-du-lin sich erneut entfernte.

Da kam ihm ein Gedanke. Er zog den gelben Umhang aus dem Brustausschnitt seines Kittels, warf ihn sich über und ging abermals auf das Haus der Himmelssöhne zu. Diesmal blieb es am Boden.

Ia-du-lin fand den Stein neben dem Schalenstuhl. Schnell eilte er mit ihm davon.

Am gewaltigen Ziegelwürfel der Ziggurat mit dem siebenstufigen Turm stockte sein Schritt. Dort stand eine wohlgeordnete Gruppe. Das konnten nur der Hohepriester mit den Oberpriestern sein. Ia-du-lin näherte sich der Gruppe, wie es das Zeremoniell vorschrieb. Sich tief verneigend, flüsterte er: „Hoher Gebieter! Die Söhne der I-na-nua sind in unsere Stadt gekommen. Sie haben sich mir auf dem Weg durch das Gebirge und das Dürrland gezeigt und sich Sil und Azul genannt. Sie sind im Tempel Nan-nars und harren Eurer. Ich eile zu En-mer-kar, es ihm zu berichten.“

Eine Hand schob sich aus dem Umhang des Hohenpriesters und gebot zu bleiben. „Was tragt ihr da in eurem Arm, Tamkare?“ fragte der Herr der Tempel leise, der Ia-du-lin erkannt hatte.

Wieder verneigte sich Ia-du-lin. „Es ist ein heiliger Stein, hoher Gebieter! Sil, der Himmelssohn, trug mir auf, ihn stets bei mir zu führen.“

„Bedroht jenes Unwesen mit den kurzen, kreisenden Armen unsere Heiligtümer?“ fragte der Hohepriester.

„Das ist das fliegende Haus der Himmelssöhne, mit dem sie von den Sternen herabkommen“, raunte der Tamkare. „Es schadet niemandem, aber man darf sich ihm nicht nähern, es sei denn auf Geheiß der Himmelssöhne.“ Der Hohepriester gab sich zufrieden und entließ den Tamkare mit einem kaum merklichen Wink. Ia-du-lin glitt aus dem Schatten in das helle Mondlicht hinaus. Eilends verließ er den Tempelbezirk. Er sah noch, wie sich der geordnete Zug der Oberpriester zögernd in Bewegung setzte und dem Tempel des Mondgottes zustrebte.

In den schmalen Gassen zwischen den Lehmhäusern war es still. Nur Ia-du-lins hastige Tritte hallten wider und weckten wohl jene Schläfer, die in diesen unruhigen Tagen der Belagerung bei jedem Schritt einen Unglücksboten wähnten.

Als er in die Nähe des Herrscherpalastes kam, verstellten Soldaten ihm den Weg. Ia-du-lin wurde dem Wachoffizier vorgeführt.

„Nin-Gal schickt Nan-nar einen Federpfeil“, gab Ia-du-lin leise die Parole. Schweigend führte der Offizier den fürstlichen Boten an die Palastmauer und übergab ihn der Torwache.

Ein Sklave erschien und führte ihn durch Gänge, Zimmer und Hallen, über Höfe und Treppen.

Dann stand Ia-du-lin dem Herrscher E-rechs gegenüber. Die Ratgeber und der Nubanda waren bei ihm. En-mer-kar hielt mitten in der Nacht eine Beratung ab. Es mußte schlimm um E- rech stehen. Der Herrscher hatte jetzt keinen Sinn für den Auftrag zur Ausschmückung des Tempels der I-na-nua. Andere Sorgen bedrückten ihn. Achtlos legte er die Tontafel mit der Botschaft A-rats zur Seite. Allein die Tatsache, daß der Tamkare trotz der Belagerung in die Stadt gelangt war, gab ihm zu denken.