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Nun wird sich zeigen, ob En-mer-kar noch kurze Zeit die Gunst der Götter behält oder ob Ia-du-lin seinen Platz als neuer Herrscher antritt, dachte der Hohepriester.

Warum zögern sie so lange, überlegte Ia-du-lin. Es beunruhigte ihn. Ihm war, als hörte er ihre eigenartig singende Sprache. Aber sie standen nur nebeneinander und bewegten sich kaum.

„Geachteter En-mer-kar!“ begann Sil, nachdem er das Übersetzungsgerät wieder eingeschaltet hatte. „Wir haben eben noch einmal Zwiesprache mit den Göttern gehalten. So höre denn ihren Ratschluß, den sie dir durch uns mitteilen: Die Krieger der Stadt E-rech sollen alle ihre Waffen auf einen Haufen legen. Du, ihr Herrscher, sollst diesen Männern Arbeitsgerät geben, damit sie in den Werkstätten und auf den Feldern durch Arbeit Wohlstand bringen. Gleiches werden wir Himmelssöhne auch von den Soldaten, die vor den Toren der Stadt bei den Wachfeuern stehen, verlangen. Führe uns, sobald die Sonne aufgeht, vor die Stadt zum Befehlenden der fremden Soldaten. Handelt eines der Heere dem Willen der Götter zuwider oder mißachten Soldaten ihren Ratschluß und die Forderungen der Himmelssöhne, so wird am Mittag ein Feuervogel am Himmel erscheinen und die Menschenwesen mit Schrecken peinigen.“

Ich bin gerettet. Ich behalte die Macht. Der Gal-Uku-Patesi ist besiegt, dachte En-mer-kar zufrieden.

Das ist das Ende En-mer-kars, überlegte der Hohepriester.

Die Götter nehmen ihm die Soldaten, und er wird machtlos. Ia- du-lin wird an seine Stelle treten. Er trägt schon seinen Herrschermantel.

Ia-du-lin war unzufrieden. Mit dem Rat der Himmelssöhne war seinen Plänen schlecht gedient. Sie sollten doch mit ihrem unsichtbaren Feuer die Soldaten aus Ur versengen. Jetzt aber behielt der Gal-Uku-Patesi all seine Soldaten. Wenn die Himmelssöhne weg sind, wird er neuen Streit mit E-rech suchen, dachte er.

Ia-du-lin hat recht behalten, stellte der Nubanda bei sich fest.

Er hatte vorhin im Palast vorausgesagt, der Gal-Uku-Patesi aus Ur werde morgen mit seinem Heer abziehen, wenn En-mer-kar noch heute nacht in den Tempel Nan-nars gehe.

In En-mer-kar sprang ein Gedanke auf, noch unklar, aber erfolgverheißend.

„Weise und gütige, allwissende Himmelssöhne, die ihr bei den Sternen wohnt!“ hörte er sich da schon sprechen. „Der unerforschliche Ratschluß der Götter ist Gesetz. Meine Soldaten werden von den Mauern der Stadt steigen und ihre Waffen im Hofe meines Palastes zu Bergen türmen, sobald ich von meinem Weg vor die Tore der Stadt zurückgekehrt bin.

Der Feuervogel der Götter wird nicht zu erscheinen brauchen.

Doch gewährt mir eine Bitte: Erlaubt mir, daß ich die hohe und weise Botschaft der Götter dem Heerführer der Soldaten aus Ur selbst überbringe, falls ihr, Söhne des Himmels, mir das Vertrauen dazu und auch das Geleit dorthin gebt.“

Der Gal-Uku-Patesi und die Lapislazuli

Der Gal-Uku-Patesi schritt unruhig in seinem großen Lederzelt auf und ab. Der Lärm der wachfreien Soldaten in den Zelten des Heerlagers ringsum war jetzt, weit nach Mitternacht, verstummt. Nur der Kontrollruf der Posten, die die Stadt mit ihrem Ring umschlossen, scholl, in längeren Abständen die Wachfeuer entlang. Als vor Morgengrauen der Mond versank und der Schlaf die Wachen besonders hart bedrängte, erklang ihr Ruf häufiger.

Der Gal-Uku-Patesi hatte ein energisches, starkgebräuntes Gesicht mit schmaler, langer Nase. Sein Haupthaar trug er so kurz, daß es unter dem doppelten Lederhelm, den er stets aufhatte, nicht hervorsah. Sein Nacken blieb daher frei. Sein kräftiger Hals wurde nur durch einen vollen, dunklen Bart verdeckt, der sein ganzes Gesicht umrahmte. Dabei war der Gal-Uku-Patesi kaum älter als dreißig Sommer. Der sehnige, trotz vielerlei Feste noch nicht aufgeschwemmte Körper des Heerführers war von einem nur bis zu den Knien reichenden Wollrock und von einer enganliegenden Lederweste umschlossen, aus der nackt und frei die kräftigen Arme hervorsahen. An den Füßen trug er Sandalen. Um seinen Leib zog sich eng ein Gürtel, an dem ein Beutel befestigt war. In ihm bewahrte er einen Rohrgriffel, sein Schreibgerät, auf und den kleinen Siegelzylinder aus gebranntem Ton.

Der Heerführer galt in Ur als einer der reichsten Sklavenbesitzer. Deshalb wohl trug er auch immer eine kurze, daumenstarke Lederpeitsche bei sich. Im Kampf führte er als einziger eine merkwürdige Waffe, die sonst niemand zu handhaben wußte. Es war ein mehrere Schritte langer Strick, an dessen Ende ein unregelmäßig geformter Stein mit scharfen Kanten eingebunden war, der, wenn er ihn schwang und damit seinen Feind traf, gefährliche Wunden schlug. Seine Gegner taten gut daran, ihm auszuweichen. Dieser Strick schlang sich um die Lederschilde herum und erreichte stets sein Opfer.

Widerstand dem Heerführer ein Kämpfer oder wurde er von mehreren Seiten zugleich bedrängt, griff er zum Schlagstock, einem kurzen, dicken Stock, der mit scharfen Bronzezähnen besetzt war. Er wirbelte ihn und fegte alles um sich hinweg.

Schließlich trug er noch um beide Handgelenke zwei enganliegende dicke Ringe, von denen es hieß, daß sie ihm ungeheure Kraft verliehen.

Immer noch schritt der Gal-Uku-Patesi unruhig in seinem Zelt hin und her. Erbittert dachte er, En-mer-kar, dieser Fuchs, hat sich geweigert, mir das Kriegsrecht im Zweistromland zu übergeben. Dabei war doch dieser Feldzug gut vorbereitet gewesen. Woran lag es, daß der Herrscher E-rechs sich nicht beugte, grübelte er.

Zwei Jahre hatte es gedauert, bis das Heer ausgerüstet war.

Überall hatten die Handelsleute aus Ur Häute aufgekauft, selbst bei den Sandwanderern, um daraus Schuhzeug, Helme, Brustpanzer, Schilde und Köcher zu machen. Holz der Zedern und der Tamarisken war von weit her geholt worden, um Rahmen für die Schilde, Wurfspeere und Pfeile zu fertigen.

Ochsen und Esel waren in großer Anzahl aufgezogen und zahlreiche Herden für die Soldaten zum Schlachten gegeben worden. Dann endlich, als die Sterne durch ihre Konstellation den Zeitpunkt des Handelns anzeigten, war das Heer aufgebrochen. Es erschien eines Morgens vor den Mauern E- rechs. Die Tore der Stadt waren zwar verschlossen, und die Soldaten vermochten nicht einzudringen, aber es war auch gar nicht beabsichtigt gewesen, die Stadt gewaltsam zu erobern.

Der Gal-Uku-Patesi brauchte seine Soldaten noch für andere Kämpfe. Er hatte gehofft, daß allein seine wohlgeordnet aufmarschierten und aufs beste ausgerüsteten Krieger En-mer- kar und seine Ratgeber entmutigen und einschüchtern würden.

E-rech aber hatte sich nicht schrecken lassen, und er war gezwungen gewesen, die Stadt zu belagern. En-mer-kar würde wohl morgen einen Ausfall unternehmen lassen. Schon der Wassermangel in der Stadt zwang ihn sicher dazu. Es könnte zu einer Schlacht auf offenem Felde kommen.

Der Gal-Uku-Patesi faßte schließlich den Entschluß, den Ring der Belagerung auf der dem Fluß abgewandten Seite der Stadt zu verstärken und die Wache nahe dem Ufer nur schwach zu besetzen. Auf diese Weise würde En-mer-kar vielleicht den Ausfall zum Pu-rat-tu hin durchführen, und die Soldaten aus Ur konnten dann den Feind angreifen, in den Fluß drängen oder in die Stadt zurücktreiben.

Als der Morgen graute, warf sich der Gal-Uku-Patesi auf sein Lager. Schnell schlief er ein.

Wüstes Geschrei weckte ihn. Der Heerführer sprang auf und ergriff seinen Lederhelm. Die grellen Strahlen der noch tiefstehenden Morgensonne stachen durch einen Spalt des Zelteinganges und blendeten ihn kurze Zeit. Der Gal-Uku- Patesi trat ins Freie. Seine Soldaten standen umher und starrten in die Luft. Hoch oben, noch über der belagerten Stadt, schwebte eine runde Scheibe, um die ein Ring kreiste. Der fremde, nie gesehene unheimliche Vogel senkte sich etwas herab und folgte nahe der Stadtmauer der Linie der Postenkette. Die Soldaten dort stoben nach allen Seiten auseinander. Nur im Heerlager, das etwas abseits lag, blieben die Krieger dicht beisammen.