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Erstaunt hob der Gal-Uku-Patesi seine Brauen. Die letzten leisen Worte klangen so ganz anders, ließen ihn aufhorchen und Hoffnung schöpfen. Aber lauerte in den Augenwinkeln En-mer-kars nicht Hohn und Spott? Während er noch unschlüssig stand, überlegte er. Verstohlen, musterte der Gal- Uku-Patesi die beiden fremden Gestalten. Wie, wenn sie nicht Söhne des Himmels, nicht Götter sind, dachte er. Da Feuer und Flammen ihnen gehorchten, könnten sie Boten Ner-gals, des Gottes der Unterwelt, sein. Doch selbst wenn er das beweisen könnte, wäre für ihn diesmal hier alles verloren. Er konnte froh sein, daß En-mer-kar ihn noch einmal allein sprechen wollte.

Vielleicht bot sich noch eine Möglichkeit, vor aller Welt nicht als Verlierer, sondern als gehorsamer Diener der Götter nach Ur zurückzukehren.

Der Gal-Uku-Patesi fühlte aller Augen auf sich gerichtet. Er machte eine einladende Geste zu seinem Zelt. Schweigend gingen die beiden Herrscher hinein. Drinnen standen sie sich Augenblicke stumm gegenüber und musterten einander.

Herrscher im Zweistromland soll sein, wer die geringste Not in seiner Stadt hat und in wessen Tempeln I-na-nua wohnt. I- na-nua aber wohnt in E-rech, deren Menschen ihr zu Ehren einen neuen Tempel erbauen, hatte En-mer-kar gesagt. Das allein konnte jedoch nicht die hohe Gunst der Göttin verursacht haben. Aus Berichten seiner Kundschafter wußte er genau, daß dieser Tempel innen und außen noch ganz roh war, daß dort noch keine Priester Dienst taten und daß weder Tempelfeste noch Opferfeste stattgefunden hatten. Es mußte noch etwas anderes sein, was En-mer-kar und E-rech das Wohlwollen der Götter eingetragen hatte, dachte der Gal-Uku-Patesi. Wie konnte er es nur anstellen, damit die beiden Himmelssöhne auch nach Ur kamen, fragte er sich.

Da begann En-mer-kar erneut zu sprechen. „Warum, großer Freund unseres Landes aus Ur, müssen wir unsere Kräfte gegenseitig verzehren, wo es doch genug Feinde um unser Land ringsum gibt?“ Und da er keine Antwort erhielt und wohl auch keine erwartete, fuhr er nach kurzer Pause fort zu reden.

„Deine Tatkraft würde gemeinsamen Zielen besser dienen und sich mit meiner Erfahrung gut ergänzen. Laß das Kriegsrecht bei E-rech. Ich werde noch einige Jahre regieren und dann sterben. Die Götter werden dich statt meiner zum Herrscher erheben“, sagte En-mer-kar jetzt leiser und setzte dann flüsternd hinzu: „Die Hohenpriester unseres Landes wissen, wie man so etwas besorgen muß.“ Laut sprach En-mer-kar weiter: „Damit du siehst, daß ich wirklich dein Freund sein will, es ehrlich meine und zugunsten unseres Landes mit dir gemeinsam herrschen will, sollst du auch erfahren, was die hohe Gunst der I-na-nua hervorgerufen hat. So wisse denn, ich hatte meinen klugen Tamkare Ia-du-lin über das Dürrland und die Gebirge ans Meer gen Abend zum Fürsten der Seefahrer und Kaufleute, zu A-rat, gesandt, um von ihm zur Ausschmückung des Tempels der I-na-nua Lapislazuli und Karneole zu erbeten. Ich werde A-rat hundert Esel, beladen mit gutem Korn, schicken und dafür vor allem Lapislazuli erhalten. Der Hohepriester hatte durch die Wissenschaft der Vision erfahren, daß. I-na-nua eben diesen hübschen blauen, weißgeäderten Stein am meisten, liebt. Großer Sohn der Stadt Ur und unseres Landes, laß auch du zu A-rat Lasttiere entsenden, und schmücke auch du einen Tempel zu Ehren I-na- nuas mit Lapislazuli aus. Du wirst sehr bald bemerken, daß dir die Götter die gleiche hohe Gunst erweisen wie mir und daß die Himmelssöhne im Auftrage I-na-nuas auch in deine Stadt einkehren.“

Der junge Heerführer glaubte zu fühlen, daß es En-mer-kar ehrlich mit ihm meine. Er legte dem Herrscher E-rechs, plötzlich von Dankbarkeit, Erlösung und Erleichterung bewegt, seine sonderbare und furchtbare Waffe, den Schwungstrick mit dem eingeflochtenen scharfkantigen Stein, in die Hände. „Ich danke dir für deine offenen Worte und für deine Freundschaft“, sagte er.

So traten sie beide vor das Zelt und zeigten sich den Soldaten. Allen wurde klar, daß diese beiden Herrscher zweier großer Städte Freunde geworden waren.

Der Gal-Uku-Patesi erteilte seinen Offizieren laut und vernehmlich den Befehl, die Truppen zu sammeln, die Botschaft der Götter vor allen Soldaten zu verlesen, das Lager abzubrechen und dann mit dem Abmarsch zu beginnen.

Sil und Azul beorderten ihren fliegenden Ring herab und kletterten hinein. Ihre Absicht war gelungen, das Töten war verhindert worden. Besonders Sil war mit dem Ergebnis der Begegnung dieser beiden Herrscher sehr zufrieden. Sie stiegen mit dem Ringflügler auf und sahen aus der Höhe eine Zeitlang zu, wie das Belagerungsheer abzog und auch in E-rech die Soldaten im Hof des Palastes ihre Waffen abgaben. Ausführlich schilderte Sil der „Kua“ den Erfolg ihrer „Götter- Mission“. Gohati, Tivia und die anderen beglückwünschten die beiden zum guten Ausgang ihres sonderbaren Unternehmens.

In E-rech grübelten später Ia-du-lin und der Nubanda lange darüber nach, wie En-mer-kar es zuwege gebracht hatte, aus seinem Feind einen Freund zu machen. Der Hohepriester geriet in Zweifel, ob En-mer-kars Zeit wirklich schon abgelaufen sei, und er verbrachte in den folgenden Nächten viel Zeit damit, die Stellung der Sterne von der Höhe der Ziggurat zu prüfen und die Wissenschaft der Vision zu befragen.

Drei Tage, nachdem der Gal-Uku-Patesi mit seinem Belagerungsheer abgezogen war, verlangte der Dam-kar, der oberste Handelsbeamte En-mer-kars, dringend, beim Herrscher vorzusprechen. Warum geht er nicht zum Nubanda, wunderte sich En-mer-kar. Er ließ ihn kommen.

Der Dam-kar war sehr aufgeregt. „Hoher Herrscher, unsere Lapislazuli sind in Gefahr!“ rief er, kaum daß er die Schwelle übertreten hatte. „Kaufleute unserer Stadt, die gestern abend von einer Reise zurückkehrten, berichteten von einer großen Eselskarawane, die jenseits des Pu-rat-tus stromaufwärts zieht, um große Mengen Getreides durchs Purrland gen A-rat zu schaffen. Sie werden früher da sein als wir. A-rat wird dann kein Lapislazuli mehr für uns haben oder uns weniger geben, und die Gunst I-na-nuas wird sich von unserer Stadt wenden.

Sie wird dann in Ur wohnen wollen.“

En-mer-kar hob beschwichtigend die Hand: „Ich weiß es“, sagte er. „Hat der Dam-kar vergessen, daß der Gal-Uku-Patesi und ich Freunde geworden sind und daß es daher gleich ist, wo I-na-nua wohnt und wessen Tempel mit Lapislazuli geschmückt ist?“ grollte der Herrscher. Erschrocken wollte sich der Handelsbeamte zurückziehen. Er hatte geglaubt, seinem Herren eine äußerst wichtige Nachricht gebracht zu haben, und nun lief er Gefahr, in Ungnade zu fallen.

„Bleib!“ verlangte En-mer-kar. „Wo befindet sich unser Getreidetransport für A-rat jetzt?“ fragte er.

„Hoher Herr, er ist einen Tag nach dem Ende der Belagerung auf Booten hinweggeschickt worden, den Fluß hinauf. Bei der Stadt Ma-ri nahe der Karawanenstraße soll er dann auf Esel umgeladen werden. Die Boote aber haben gegen den Strom und gegen den Wind zu kämpfen. Die Esel des Gal-Uku-Patesi werden sie überholen, wenn der Wind nicht bald umschlägt.

Herr, du befahlst, das Getreide so zu transportieren!“ erinnerte der Dam-kar, um sich vor Zorn zu schützen.

„Es ist gut“, sagte En-mer-kar. „Ich danke dir für die Nachricht. Wenn die Boote langsam vorankommen, so ist es I- na-nuas Wille. Entferne dich!“

Der Dam-kar stürzte hinaus.

Wenig später verließ En-mer-kar seinen Palast, begleitet von Offizieren und Höflingen. Sein Weg führte zum Tempelbezirk. „En-mer-kar ist der Liebling der Götter, weil er sie oft preisen geht“, sagten die Leute auf den Gassen. Heute begehrte der Herrscher in die Ziggurat, den Tempelturm, Einlaß. Die Priester, die ihm öffneten, waren erstaunt, ihn so zeitig am Vormittag im Tempelbezirk zu sehen. Eilig benachrichtigten sie den Hohenpriester. Als er kam, stiegen die beiden allein zur ersten Stufe des Tempelturmes empor, um dort in aller Abgeschiedenheit die Andacht zu verrichten.

Zu Mittag war En-mer-kar wieder im Palast.

Zu Mittag verließ aber auch ein Priester auf einem Esel die Stadt, ritt den Pu-rat-tu stromauf bis zur Furt, überquertet dort den Fluß und lenkte dann sein Reittier gen Abend in das Dürrland hinein.