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Zunächst beseitigte Sil die Störung im Energiefeld des Antriebes. Dann flog er mit Ia-du-lin und den drei ehemaligen Sklaven hinaus auf die Felder bis zu dem Dorf El-Ubaid. Bald landeten sie auf einem Feldweg. Einen Steinwurf weit entfernt arbeitete eine Gruppe von Sklaven. Sie richteten sich auf, als der Ring summend herabsank. Furchtsam sahen sie herüber.

Ihre starren, unbewegten Gesichter erhellten sich zu einem ungläubigen Staunen, als dem fliegenden Haus Menschen entstiegen. Einige brachen in Rufe der Überraschung aus, denn sie hatten ihre ehemaligen Leidensgefährten, die vor Monaten mit den Sandwanderern geflohen waren, wiedererkannt. Sie eilten aufeinander zu und begrüßten sich laut und freudig. Die drei aus der Felsschlucht im Dürrland mußten ausführlich ihre Flucht schildern. Ein dichter Kreis von Zuhörern bildete sich um sie. Die drei berichteten auch, wie sie die Himmelssöhne kennengelernt hatten.

Der Aufseher der Feldsklaven wagte nicht, einzugreifen und die Re-schus an die Arbeit zurückzuschicken. Die Hakenstöcke zum Auflockern des Bodens lagen unbeachtet umher.

Ia-du-lin stellte mißvergnügt fest, daß er heute in diesem Kreis unbeachtet blieb.

Plötzlich sprangen alle auf und starrten in den Himmel. Die drei ehemaligen Sklaven riefen: „Die Schwester der Himmelssöhne kommt!“

Sil erkannte hoch am Himmel den Weißen Pfeil. Schnell glitt er zum Ringflügler hinüber und nahm Verbindung mit dem Raumschiff auf. „Hallo, ›Kua‹, hier Ring!“ rief er.

Sinio meldete sich.

„Sinio, was ist mit dem Weißen Pfeil los? Er fliegt jetzt über dem Zweistromland und ängstigt die Menschen.“

„Merkwürdig! Tivia ist doch aufgestiegen, um den heißen Kontinent zu überfliegen und zu durchforschen.“ Sil erinnerte sich, seit einigen Tagen flog man vom Meer der toten Wasser aus mit dem Raketenflugzeug und dem Atomicer häufig fort, um Forschungen über anderen Teilen des Planeten zu betreiben. Selbst Gohati war oft unterwegs.

„Hallo, Ring! Hallo, Sil!“ schallte da schon Tivias Stimme hell und klar an sein Ohr. Es klang sehr energisch. „Ich lande“, teilte sie ihm knapp mit.

Ein Stück entfernt stach aus blauem Himmel der Flammenschein der Bremsdüsen der kleinen Erkundungsrakete herab. Sil flog mit dem Ringflügler zum Landeort. Tivia hatte schon ihre Kabine verlassen und eilte ihm entgegen. Sie schien sehr aufgeregt zu sein.

„Sie verkaufen ihre Kinder“, sagte sie, heftig atmend, als sie sich dann gegenüberstanden.

Sil verstand nicht, wovon sie sprach. Stockend fragte er: „Wer? Die Menschenwesen?“

„Ja, als Sklaven…“ Ihre Stimme drohte vor Erregung zu ersticken. Sil ahnte, wie sehr Tivia empört war. Da sagte sie auch schon: „Sie stehen zwar erst am Anfang der Zivilisation, aber daß sie so etwas noch tun, habe ich nicht geglaubt. — Wir müssen etwas dagegen unternehmen.“

„Woher weißt du es?“ fragte Sil.

„Die Tontafeln“, sagte Tivia.

„Azuls Tontafeln aus den Tempeln?“

„Ja!“

„Warum mag Azul es uns verschweigen?“ sagte Sil traurig.

„Er hat doch alle Tontafeln durchgesehen.“

„Frag ihn“, forderte Tivia.

„Sollte er nicht mehr mit uns fühlen?“ murmelte Sil. Nach einer Weile bat er: „Zeig den Text.“

„In deiner Kabine.“

Sie glitten hinüber zum Ringflügler und schwangen sich hinein. Sil hielt den Atem an, starrte auf das Leuchtband und las die darüber hinziehenden Lichtzeichen der Übersetzung: „Hiermit bestätigt der Priester Bit-Adin, getreuer Diener der Tempel zu E-rech und des Gottes der Gerechtigkeit und des Rechts, Bab-bar, der der Sohn Nan-nars und Nin-Gals ist und der zugleich auch über die schreckliche und ausdörrende Kraft der Sonnenglut verfügt, im heiligen Schatten der siebenstufigen Ziggurat, daß der Ländpächter So-ped aus dem Dorf Suma- Abu seinem Gläubiger U-ti-ka, ebenfalls aus Suma-Abu, nach der mißlichen Ernte, die schlecht war, weil So-ped den Wassergraben nicht instand hielt und pflegte, sowohl nicht das geliehene Saatgut als auch nicht das zusätzliche Drittel Getreidezins dafür zurückzugeben vermag und er deshalb seinen Ochsen im Werte von drei Sekel Silber zur Begleichung seiner Schuld und seine beiden Kinder, Tai-ma, sieben Sommer alt, und Ta-ho, neun Sommer alt, im Werte von je ein Sekel Silber zu Sklaven gibt. So-ped und seine Frau Va-ru-na bleiben Freie.“

Die Ausstiegsluke schlug mit einem lauten Knall zu. Sil verstand jetzt Tivia. Er war nun ebenso empört wie sie. Sie verkaufen ihre Kinder, um frei zu bleiben, dachte Sil bitter. Er startete so ungestüm den Ringflügler, daß Tivia gegen die Verglasung der Kabine taumelte. Jetzt erkannte Sil auch, was er zuvor aus ähnlichen Erscheinungen der alten Geschichte Heloids wußte, wo sein Gefühl sich aber gesträubt hatte, es zu glauben: Die Priester, vor allem die oberen Priester, dienten nicht, wie er anfangs angenommen hatte, der Wissenschaft und der Kultur, sondern halfen den Mächtigen dieser Welt, über die vielen unwissenden Menschen zu herrschen. Und Ia-du-lin, fragte sich Sil sogleich, wo stand Ia-du-lin? Stand er nicht auch auf der Seite des Herrschers und seiner Beamten, der Priester und Beter? Jener Priester, die sich Diener des Gottes des Rechts nannten, die aber das Unrecht förderten und Kinder verkaufen halfen? Mußte man sich nicht vor ihnen allen mehr in acht nehmen? Hatte er Ia-du-lin nicht schon zuviel vertraut?

Nach schnellem, kurzem Flug landeten sie wieder auf dem breiten Feldweg, auf dem immer noch die Gruppe der Feldsklaven, die drei Männer aus dem Dürrland und Ia-du-lin standen und ihnen erwartungsvoll entgegensahen.

Die beiden Heloiden glitten auf sie zu. Sil las das Dokument den Menschenwesen vor, und das Myonengerät gab seine Stimme laut in irdischen Worten wieder.

„Warum darf das sein?“ fragte Tivia Ia-du-lin, als Sil zu Ende gelesen hatte.

„Es geschieht täglich“, antwortete der. Er war ratlos, denn er fühlte, daß der Himmelssohn und die Himmelstochter erzürnt waren. Sollte der Priester Bit-Adin, einer der ältesten und weisesten Götterdiener, nicht streng genug gestraft haben?

„Die Gesetze, die uns die Götter gaben, verlangen kein strengeres Urteil“, fügte er entschuldigend hinzu.

Es geschieht täglich, hatte Ia-du-lin gesagt. Er fand also nichts Schreckliches dabei. Tivia und Sil sahen sich bedeutungsvoll an. Konnte denn niemand den zahllosen Kindern helfen, die vielleicht gerade in diesem Augenblick überall in diesem großen Land zwischen den zwei Strömen verkauft wurden? Warum ließen das die Väter und Mütter zu?

Warum ließen die Menschen Kinder für sich arbeiten?

Wir müssen helfen, dachte Tivia. Zugleich erkannte sie aber, daß die Besatzung der „Kua“ in dieser Sache machtlos war.

Wie sollten sie die Kinder der Menschenwesen vor solchem Unrecht schützen.

„Azul, bitte melden!“ rief Sil mehrmals über den kleinen Sprechfunksender des Skaphanders zur Stadt hinüber. Aber Azul antwortete nicht.

„Steig in unser fliegendes Haus ein und zeige uns, wo das Dorf Suma-Abu ist“, forderte Sil Ia-du-lin auf. Auch den drei Männern aus El-Ubaid gab er ein Zeichen zum Einsteigen.

Wenigstens in diesem einen Fall wollte er das Unrecht beseitigen.

Vom fliegenden Ring aus versuchte Sil noch einmal Verbindung mit Azul zu bekommen, um von ihm nähere Angaben über die Gewohnheit der Menschen, Kinder zu verkaufen, zu erhalten. Doch auch jetzt meldete sich Azul nicht.

Sie flogen langsam in geringer Höhe und folgten dabei den Wegen, die ihnen Ia-du-lin wies.

Das Dorf Suma-Abu war klein und bestand nur aus wenigen Lehmhütten, zwischen denen noch einige Schilfhütten standen.

Sie landeten. Der Gläubiger U-ti-ka war der einzige Lu-gul des Ortes. Nur er besaß hier Land und Sklaven. Selbst die Priester und En-mer-kar hatten hier keinerlei Besitz.

Sil bat Ia-du-lin, auszusteigen und sich in den Hütten nach den Kindern und den Eltern zu erkundigen.