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Ia-du-lin ging in das größte der Häuser. Der Lu-gul U-ti-ka war draußen auf den Feldern, um die Arbeit der Sklaven zu beaufsichtigen. Der Tamkare traf nur die Haus- und Stallsklaven an. An So-ped und Va-ru-na konnten sich alle gut erinnern.

Als Ia-du-lin über die kleine Leiter wieder in die Kabine kletterte, berichtete er: „Die junge Frau Va-ru-na ist im Winter still und ohne zu klagen in die Weite hinausgegangen, wie die Leute hier sagen. Sie ist aus Gram, daß ihre Kinder zu Sklaven geworden waren, gestorben. Ihr Mann, So-ped, hat lange neben der Toten gesessen und um sie getrauert. Dann hat er sie begraben und ist aus dem Dorf und aus dem Land gegangen. Es heißt, er sei zu den Sandwanderern gezogen. Die Kinder Tai- ma und Ta-ho sind noch hier und arbeiten jetzt auf dem Feld.

So-ped soll, als er fortgegangen ist, den Göttern geflucht und geschworen haben, daß er jeden Rutenhieb zurückzahlen werde, den U-ti-ka seinen Kindern versetzte. Er werde bald zurückkommen. U-ti-ka will die Kinder, sobald die Ernte vorbei ist, in ein anderes Dorf nahe der Stadt verkaufen, weil er den Vater fürchtet. Er soll sehr erregt sein, weil vor zwei Tagen am Morgen an der Stelle, an der Va-ru-na begraben liegt, eine große irdene Schale voll mit Gerstenkörnern gestanden hat. Die Sklaven erzählen, U-ti-ka sei hingerannt und habe der Schale wütend einen Fußtritt versetzt. In der folgenden Nacht aber sind die beiden Kinder hingegangen, haben die Scherben und Körner zusammengelesen und erneut auf das Grab ihrer Mutter gelegt. U-ti-ka nimmt deshalb an, daß So-ped immer noch in der Nähe ist. Er hat nicht erfahren, daß das nur die beiden Kleinen waren. Die Sklaven hatten Angst, mir das zu erzählen, und nur die Furcht vor euch, den Himmelswesen, hat sie es mir verraten lassen.“

„Kannst du schreiben?“ fragte Sil Ia-du-lin.

„Ich lernte es in der Tempelschule, Himmelssohn“, erwiderte der Tamkare.

„Geh und laß dir von den Sklaven U-ti-kas eine frische Tafel geben. Wir wollen für So-ped eine Nachricht hinterlassen.

Schreib auf: ›Die Kinder sind bei den Sandwanderern des Stammes der Nachatschäer. Gehe von der Karawanenstraße durch das Dürrland gegen Mitternacht bis zur felsigen Steppenschlucht.‹ Lege die Tafel zur Gerstenschale.“

Als Ia-du-lin den Auftrag ausgeführt hatte, flogen sie über die Felder bis nahe der Gruppe arbeitender Sklaven. „Der, der dort etwas abseits steht, das muß U-ti-ka sein“, vermuteten die drei ehemaligen El-Ubaider. Noch im Fluge zog Sil mit dem Strahlenwerfer um den erschrockenen Sklavenhalter einen feurigen Ring in den Boden. Dann setzte der Ringflügler auf.

Sil bat Ia-du-lin, zu den Sklaven hinüberzugehen, die beiden Kinder an die Hand zu nehmen und herbeizuführen. Den Männern aus El-Ubaid schlug er vor, sich unter und neben dem fliegenden Ring zu zeigen, damit Tai-ma und Ta-ho Menschen sähen und keine Angst hätten, mit Ia-du-lin herüberzukommen.

„Die Himmelssöhne sind gekommen, um euch zu holen. Sie wollen euch zu eurem Vater bringen“, sagte Ia-du-lin. Die Umstehenden hörten diese seltsamen Worte. Sie glaubten, der Vater sei inzwischen auch gestorben und die Kinder sollten nun ebenfalls in den Himmel gebracht werden.

In der Steppenschlucht wurden die siebenjährige Tai-ma und der neunjährige Ta-ho freundlich aufgenommen. Etwa ein Jahr später, als die Heloiden schon lange wieder abgeflogen waren, erschien ein fremder Mann in der Schlucht, dem, als er nahe dem Zeltlager war, zwei Kinder jubelnd entgegeneilten.

Azul fühlte sich unglücklich. Es war ihm von Nacht zu Nacht schwerer gefallen, im Ringflügler die drei oder vier Stunden Schlaf zu finden, deren er bedurfte, um neue Kraft für die Arbeit und für den Aufenthalt auf diesem Planeten zu schöpfen. Der Sternenhimmel über ihm, deutlich und klar durch die Glaskuppel der Kabine zu erkennen, zog seine Blicke mit magischer Gewalt an. Er wurde ihm immer unerträglicher und bedrückender. Häufig dachte er an die „Kua“ und fragte sich: Wie weit haben sie heute, wie weit haben sie jetzt das neue Kreiselsystem fertig? Der Zeitpunkt des Abfluges rückte wie eine erdrückende schwarze Wand auf ihn zu, unaufhaltsam und unabänderlich. Jedesmal, wenn er mit neuen Tafelkopien zum Meer der toten Wasser flog, die „Kua“ betrat und sich an das Myonenhirn setzte, vermied er es, danach zu fragen. Die Ungewißheit quälte ihn um so heftiger. Und dann nachts immer wieder dieser Sternenhimmel. Es war furchtbar. Wie war es möglich, daß er, ein Astronom, die Sterne haßte?

Azul stand dann jedesmal auf und floh in die Tempel, die für seine Augen in ein erträgliches Dämmerlicht getaucht waren.

Die Tempelwächter fürchteten seitdem die Nächte, denn sie wußten, der Himmelssohn Azul ging umher. „Er vertreibt die Dämonen, die sich in unsere Tempel eingeschlichen haben“, flüsterten sie sich zu.

In den Tempeln fühlte sich Azul geborgen. Er spürte den engen Raum um sich und nicht mehr die Unendlichkeit. Hier stachen nicht die Sterne spitz auf ihn herab. Azul war für jede Ablenkung dankbar, und so kam es, daß ihm zu Ehren des Nachts bald überall kleine Opferschalen mit Öl oder sogar Fackeln brannten. Die Beter erschienen immer häufiger und vollführten in seiner Gegenwart ihre Übungen, und Azul verharrte stundenlang geduldig, sah ihren sparsamen, eigenartigen Bewegungen und dem Spiel der riesigen Schatten zu. Seine Phantasie erhob diese Bewegungen und die Schattenspiele zu einem wundervollen Tanz, bei dem sie ihn einmal als einen geistigen Zyklopen und ein anderes Mal als Beherrscher der Naturgewalten und ein drittes Mal als den „Berg all ihrer Seelen“ verherrlichten. Jäh erwachte dann Azul aus seinem Dämmerzustand, schalt sich einen Narren und ging brüsk davon, nahe daran, sich selbst zu verachten. Bald jedoch vollführten die Priester vor seinen Augen Tempelfeste und Zeremonien. Lange Zeit glaubte er, nur stiller Beobachter zu sein, bis er schließlich entdeckte, daß im Grunde genommen er zum Mittelpunkt der nächtlichen Kulthandlungen geworden war. Da aber war es schon zu spät für ihn, sich zurückzuziehen. Denn jetzt schmeichelte es ihm schon, und er wurde unruhig, wenn eine Nacht verstrich, in der er nicht gefeiert und verehrt wurde.

Im Morgengrauen verschwand der ganze Spuk und mit ihm auch die Angst vor der Sternennacht. Mit dem ersten Sonnenstrahl war Azul wie ausgewechselt, und er vermeinte, die ganze Nacht auftragsgemäß das Wesen und den Charakter des Götterkultes auf dem dritten Planeten studiert zu haben.

Die Schärfe seines Verstandes kehrte zurück, und er vermochte wieder klar zu denken.

Als nun an jenem Nachmittag, da Sil und Tivia im Dorf Suma-Abu waren, ein Tempelfest zu Ehren des reifen Kornes stattfand, beobachtete er mit großem Interesse die vielversprechenden Vorbereitungen und dann schließlich auch den Ablauf der Zeremonien, zu denen diesmal sogar die Vertreter der weltlichen Macht in E-rech und Bewohner der Stadt mit hinzugelassen wurden. Die Festlichkeiten steigerten sich immer mehr und erreichten spät am Abend, als es schon dunkel und die Nacht hereingebrochen war, ihren Höhepunkt.

Die wogenden Massen der Menschenwesen, der harte, ununterbrochene Rhythmus der Tempelmusik, das brausende Murmeln der Beter und selbst die Opferfeierlichkeiten, das Schlachten vieler Tiere, ließen Azul neugierig zuschauen.

Zuletzt erschien En-mer-kar, begleitet von einem Musikanten, der eine wunderbare Harfe trug. Das Instrument war mit Gold, Silber, Lapislazuli und einem goldenen Stierkopf verziert. En- mer-kar stellte sich vor Azul hin. Der Hohepriester trat an ihn heran und nahm ihm das Zepter, den Stab der Macht, und seine Herrscherkrone ab. En-mer-kar, nunmehr entthront, kniete ehrfurchtsvoll nieder und murmelte ein Gebet. Da hob der Hohepriester eine Peitsche und versetzte dem Herrscher einen Streich über den Rücken. Die Menge stöhnte schmerzvoll auf.

En-mer-kar aber schwieg und hielt geduldig und ergeben aus.

Atemloses Schweigen lastete im Säulensaal. En-mer-kar erhob sich, als eine langhörnige Antilope, wie sie zuweilen hier und da auf dem Land vor einen Pflug gespannt war, hereingeführt wurde. Er tötete das Tier eigenhändig und opferte es den Göttern. Erst, als ihr Körper nicht mehr zuckte, reichte ihm der Hohepriester die Zeichen seiner Würde, Diadem und Zepter, wieder zurück. Damit war symbolisiert worden, daß die Götter ihm erneut für ein Jahr die Regierungsgewalt zugesprochen hatten.