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En-mer-kar hub an zu sprechen. All die Jahre über hatte er an dieser Stelle der Zeremonie einen fest vorgeschriebenen Text laut und deutlich hergesagt. Diesmal aber wich er davon ab.

„Die Götter und der Himmelssohn Azul haben mich, En-mer- kar, einen berühmten und gottesfürchtigen Krieger, erneut zum Herrscher über E-rech und das Zweistromland berufen. Ich bin ein durch die Götter Auserwählter, der durch die Gegenwart eines lebenden Gottes besonders erhöht wird. Ich bin ein König, ein göttlicher Sproß, ein Bruder der Götter, die mich beauftragen, das Volk zu regieren und das Land wohlhabend zu machen!“

Es war weit nach Mitternacht, als der Lärm des Tempelfestes verstummte. Da überfiel Azul die Raumangst abermals, und er beschloß, nicht zu den Raumfahrern zurückzukehren. Er hatte genug Kenntnisse, um zu wissen, wie er sich auf diesem Planeten am Leben erhalten konnte.

Vergebens ging Sil durch die Straßen und durch die Tempelhallen, Azul zu suchen, vergebens kreiste der Ringflügler bis zum Morgen über der Stadt und dem Land, fortwährend aus seiner Antenne das Signal „Azul“

ausstrahlend; vergebens auch lauschte man an den Empfängern der „Kua“ auf eine Antwort. Man vermochte nur das monotone, aus dem Äther von dem kreisenden Funksatelliten ausgesandte Zeichen zu hören: „Azul, Azul, Azul…“

Die Toten leben noch

Azul verharrte im Schatten des hohen Tempelportals. Sein Blick ging furchtsam zum sternenbesäten Schwarz des Nachthimmels empor und tastete dann suchend die Front der Monumentalbauten im Halbkreis des großen Tempelplatzes ab.

Wenn er sich bis zum Abflug der „Kua“ verbergen wollte, durfte niemand, auch kein Menschenwesen, sehen, wohin er ging. Vorsichtig glitt er die Stufen vor dem Portal hinab.

An verschiedenen Stellen des Platzes sah er die infraroten Wärmepunkte von Priestern vor den Tempeln. Sie standen fast unbeweglich nahe den Eingängen und hüteten die Ruhe und Stille ihrer steinernen Götterbilder.

Die Priester waren ungewöhnlich wachsam, denn sie fühlten sich von einer hohen Mission erfüllt und mit einer besonders wichtigen Aufgabe betraut. Azul hatte es bemerkt, als er nachts keine Ruhe mehr gefunden hatte und von Tempel zu Tempel gewandert war. Fast nie hatte er unbemerkt die Eingänge passieren können. Nun, bald würden sie auch seinen Schlaf bewachen.

Es war gut für ihn, daß ihre menschlichen Sinne die Wärmeausstrahlungen seines Körpers nicht wahrzunehmen vermochten. Sonst wäre es für ihn unmöglich gewesen, diesmal unbemerkt zu bleiben. Auch fehlte heute der helle Mondschein, der ihm die Flucht erschwert hätte. Mit Leichtigkeit konnte er das Tempelviertel verlassen. Niemand entdeckte ihn.

Die dicke Antigravitationsplatte seines Skaphanders trug ihn, ein wenig schaukelnd, durch die Gassen der Stadt, dicht an den Mauern der Häuserzeilen entlang.

Überall war es still und reglos, so, als hätte die Last der Schwärze die Menschen alle schon erdrückt, wie sie auch ihn erdrücken wollte. Ihn würde der dunkle Schlund des Kosmos nie wieder verschlingen. Er wollte, solange er noch zu leben hatte, festen Boden unter sich haben und Begrenzungen um sich wissen, an denen er Halt finden konnte. Die dienstbare Welt lebloser Automaten stieß ihn ab, ihm winkte die Dienstbarkeit lebender Menschenwesen.

Azul war an der Stadtmauer angelangt. Er mied die Tore, die bewacht und ohnehin verschlossen waren. Doch die Mauer bildete kein Hindernis für ihn. Hier half die Antigravitationsplatte. Er schaltete, verstärkte die Wirkung des Gegenfeldes, und schon hob sie ihn über die Mauer hinweg.

Sanft stieß der Skaphander jenseits der Mauer am Boden auf. Noch nie hatte Azul einen Stoß so wohltuend empfunden wie diesen hier. Er wußte, jetzt lag die Weite des Landes, eine von Wäldern, Flüssen, Bergen, Schluchten und Meeresufern begrenzte Weite, vor ihm. Nie mehr sollte ihn Uferlosigkeit schrecken können.

Mit dem infraroten Licht seiner Handlampe leuchtete Azul seinen Weg ab, der ihn jetzt quer über das Land führte.

Lehmtafeln in den Archiven der Tempel mit den Schriftzeichen der Bewohner des Zweistromlandes hatten ihm verraten, daß südöstlich der Stadt in einem stark hügligen Gelände zahlreiche Höhlen waren. Dorthin wollte er. Sie mußte er finden. Umgaben ihn erst einmal genügend dicke Erdschichten, war er sicher genug abgeschirmt, und keines der Suchgeräte würde ihn entdecken können.

Azul löste den Blick vom Weg und sah argwöhnisch aufwärts. Dort oben, irgendwo in der Finsternis, kreisten die drei Funksatelliten. Er brauchte nur seinen Standortgeber, einen winzigen Sender, einzuschalten, und schon würden die Satelliten gewissenhaft dafür sorgen, daß ein Kontrollgerät in der „Kua“ den Weg, den er jetzt nahm, aufzeichnete. Aber er hütete sich, es zu tun. Auch sein Sprechfunkgerät hatte er abgeschaltet. Sollte ihn einer der Raumfahrer rufen, würde er es nicht hören. Ob das kleine Antischwerefeld unter seinen Füßen ihn verriet?

In einigen Tagen konnte es soweit sein, daß die „Kua“ abflog. Bis dahin mußte er im verborgenen ausharren.

Azul hatte dafür gesorgt, daß der Ringflügler bald nicht mehr brauchbar sein würde. Man würde Sil mit dem Weißen Pfeil abholen und den fliegenden Ring zurücklassen müssen. Denn Gohati durfte es nicht wagen, mit der „Kua“ vom Meer der toten Wasser aufzusteigen und nochmals kurz im Zweistromland niederzugehen, um den defekten Ringflügler zu bergen und an Bord zu nehmen. Dazu war dieses Land zu sehr bevölkert. Würde der Ringflügler auf diesem Planeten zurückgelassen, hatte er alles, was zur Erhaltung seines Lebens notwendig war. Mit den Geräten, die der Ring enthielt, würde er sich alles Notwendige schaffen können.

Azul ertappte sich dabei, wie er erneut die endlose Finsternis über sich prüfend durchforschte. Dort oben hatte irgendwo auch die „Kua“ auf ihrer Kreisbahn den Planeten stetig umrundet, bevor Tivia den Landeplatz am Meer der toten Wasser fand. Dorthin mußte das Raumschiff wieder zurückkehren, bevor es — eine kleine Welt für sich, die durch ihren schnellen Flug Jahrtausende überdauerte — auf immer verschwand.

Er wollte nicht mit ihnen weiterfliegen. Was nutzten ihm die Jahrtausende? Sollten die anderen einstmals zum Heloid zurückkehren, fänden sie dort ohnehin nur eine Welt vor, die sich während ihres Expeditionsfluges stark verändert haben würde. Die Heloidenheit sähe wahrscheinlich auf die alten Raumfahrer mit ähnlichen schwer zu verbergenden Gefühlen herab wie er jetzt auf die erst am Anfang der Zivilisation stehenden Menschenwesen.

Azul passierte eine dunkle Baumgruppe. Jetzt konnte es nicht mehr weit bis zu den Höhlen sein.

Je länger er unterwegs war, um so dichter schien die Schwärze über ihm zu werden. Ihm war, als laste sie mehr als je auf ihm. Das lag wohl aber an dem schmalen, hellen Streifen am östlichen Horizont, der den neuen Tag ankündete und der den Nachthimmel noch schwärzer erscheinen ließ.

Der Boden wurde steiniger, und die ersten flachen Hügel zeigten ihre Umrisse. Die untere Kante des glockenförmigen Skaphanders stieß an einen größeren Steinblock und ließ Azul stark hin und her taumeln. Er erstieg eine der Erhebungen und hielt Umschau.

Ja, sein Ziel, das Hügelgelände, war erreicht. Es lag vor ihm, unverkennbar an den stärkeren Kontrasten der Bodenschattierungen. Doch warum sah er auf einigen Hügelkuppen Wärmepunkte? Waren es die Wachen eines Lagers von Kriegern?

Doch da fiel ihm ein, was er in den Tontafeln über diese Hügel gelesen hatte: Die Hügel waren die Grabstätten für die Lu-guls, die reichen und angesehenen Bürger der Stadt. Die Wärmepunkte konnten also nur wachende Priester sein.