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Azul fand bald eine offene, leere Höhle. Nahe dem Eingang lag ein großer Felsbrocken. Azul wälzte ihn vor den Eingang und schloß sich so ein. Der Stein verdeckte die Öffnung nur zu drei Viertel und ließ noch einen ausreichend breiten Beobachtungsspalt frei.

Hier in der Grotte empfand Azul abermals, wie wohltuend es war, feste, fühlbare Begrenzungen um sich zu haben und zu wissen, daß es nicht nur dünne Raumschiffwände waren. Diese undurchdringliche Dunkelheit bedeutete für ihn Geborgenheit.

Wie war es überhaupt möglich, daß er, ein Raumfahrer, ein verstandbegabtes Lebewesen einer technisch hochentwickelten Welt, ein Astronom, dessen Leidenschaft das All und die Sterne waren, den Kosmos plötzlich haßte? Azul mühte sich vergebens um eine Antwort. Zu stark war in ihm das Gefühl der Angst, die unerklärliche, bedrückende Furcht. Sie ließ keine klaren Gedanken zu.

Azul versuchte sich sein künftiges Leben bei den Menschen vorzustellen. Zweifellos würde er die Rolle einer Gottheit spielen müssen. Aber würde das nicht wunderbar sein, hoch geehrt, geachtet und angebetet zu sein und bei allen Festen im Mittelpunkt zu stehen? Er konnte sich dann in ihren größten und gepflegtesten Bauten aufhalten. Seine göttliche Rolle würde ihn sicherlich auch ablenken, wenn er eines Tages vielleicht doch seine heloidischen Gefährten vermissen sollte.

Einmal mußte die Erinnerung an sie verblassen, und es würde ihm dann leichtfallen, sich die Menschenwesen, die den Heloiden in manchem ähnelten, als seinesgleichen vorzustellen.

Wenn er auch ihren Götterglauben nährte und sie über seine wahre Herkunft täuschte, so konnte er das wiedergutmachen, indem er ihnen sein Wissen vermittelte. Azul war sich gewiß, daß sie ihm ein… ja, was eigentlich? Ihm fehlte das passende Wort in der Sprache der Heloiden. Auf Heloid kannte man so etwas nicht. Was war En-mer-kar? Ja richtig, ein Herrscher.

Man würde ihm also ein herrschaftliches Leben bereiten.

Im Spalt am Eingang zeichnete sich Morgendämmerung ab.

Der Eingang war gegen Westen gerichtet. Azul bedauerte das.

Im Osten zipfelte jetzt bestimmt das erste Morgenrot. Aber er konnte es nicht sehen. Dafür stand für ihn um so besser sichtbar im Westen die schwarzviolette Wand der Nacht wie ein Riese, der bereit war, jederzeit zurückzukehren und das Land mit seinem schweren Tuch erneut zu ersticken.

Diese graue Morgenstunde wurde für Azul zur Stunde seiner größten Angst. Er war sich unschlüssig, ob er bei den Menschen bleiben oder ob er zu Sil, zum Ringflügler, zur „Kua“ zurückkehren sollte, bevor es für immer zu spät war.

Schon all die Tage über, die er im Morgengrauen auf irgendeinem der Tempelhöfe verbrachte, hatte er sich am meisten vor dieser Stunde gefürchtet. Unwiderstehlich hatte das Morgenrot immer wieder seinen Blick angezogen. Es glomm licht und warm im Osten auf und ließ plötzlich die ganze Fülle des Tages aufflammen.

Um so fürchterlicher war dafür jedesmal der schwarze Riese gewesen, den er im Rücken gespürt hatte und der nicht weichen wollte.

Doch je dünner heute das Grau um ihn wurde, um so zuversichtlicher fühlte er sich.

So kommt das Leben, dachte Azul, das Leben dieses lichterfüllten Planeten, von dem er nicht in den Abgrund des Alls zurückzukehren brauchte.

Erst als ringsum von Horizont zu Horizont der Himmel überall gleich hell und lichterfüllt war, wich der Druck aus seinem Gemüt. Die Sterne waren schnell verblaßt, und begütigend wölbte sich der wunderbar reine blaue Himmelsdom über dem Land. Azul lehnte sich an den Eingang und sah durch den Spalt hinaus. Am liebsten wäre er aus seinem Versteck hervorgetreten, um seine Sehnsucht nach dem vollen Licht der Sonne zu stillen. Der Tag überstrahlte alle Furcht mit seiner Lichtfülle und löschte alle Bedenken aus. Jetzt hätte er ruhig schlafen können, um Mut und Kraft zu sammeln. Aber Azul blieb an der Spalte des Höhlenausganges stehen. Er mochte immerfort nur schauen.

Sein Blick streifte umher. Am Hügelhang gegenüber standen ein paar niedrige Büsche, nur spärlich mit grünen Blättern bewachsen. Fleckchen trockenen, dürren Grases bedeckten hier und da zwischen Geröll, Sand und festem Grund den Boden.

Im gegenüberliegenden Hügel schien auch eine Höhle zu sein.

Jedenfalls führten Räderspuren bis dicht an einen senkrechten Hangeinschnitt. Sie schienen sogar mitten in das Erdreich hineinzuführen. Je länger Azul dorthin schaute, um so deutlicher glaubte er, einen Eingang zu erkennen. Er war vielleicht erst gestern verschlossen worden, denn noch war der Lehmbewurf feucht. Man konnte sogar die Fugen zwischen den einzelnen Steinen sehen. Sie zeichneten sich als dunkle, nasse Linien und Striche unter der dünnen Lehmdecke ab.

Wahrscheinlich hatten die Menschenwesen erst gestern einen ihrer Toten dort drüben beigesetzt.

Auch vor seiner Höhle lag ein Haufen feuchter Lehm und eine Anzahl gleichmäßiger, langgestreckter und viereckiger Steine. Sollte in den nächsten Tagen hier ebenfalls ein Begräbnis stattfinden?

Azul schob den großen Felsblock vom Eingang fort, um mehr Tageslicht hereinzulassen. Er wollte die Höhle genauer untersuchen. Sie ist für nur einen Toten erstaunlich geräumig, stellte Azul fest. Den Boden hatten die Menschenwesen ein wenig geebnet, aber die Wände und die Decke waren unregelmäßig und ungeglättet. Es war trocken und warm. Trotz des voll einfallenden Tageslichtes blieb es im Hintergrund dämmrig. Azul schwankte dorthin.

Er entdeckte, daß die Höhle noch einen aufsteigenden Seitengang hatte, der unvollendet geblieben zu sein schien. Ein Vorsprung der Höhlenwand verbarg den Stollen. Die Spuren des Arbeitsgerätes waren noch deutlich zu erkennen. Ein mit Kieselstein bewehrter Holzdorn zum Lockern der Erde und ein flaches Grabgerät aus Hornstein lagen am Boden. Welchen Zweck mochte dieser schräge Stollen zu erfüllen haben?

Azul glitt zum Eingang zurück.

Erstaunt lauschte er. Kam da nicht ein monotoner Klang vieler Menschenstimmen näher?

Azul spähte hinaus, zog sich aber gleich wieder zurück.

Ein Zug von Menschen bewegte sich zwischen den Hügeln daher. Laut knarrten die hölzernen Radscheiben eines Karrens.

Den großen Felsblock vor den Eingang zu ziehen, war jetzt nicht mehr möglich. Die Menschen waren schon zu nahe. Sie würden es bemerken.

Der Zug hielt vor seinem Versteck. Azul hörte das Schnaufen der Ochsen vor dem Karren. Schnell zog er sich in den Hintergrund der Grotte zurück. Das war eine unangenehme Situation, in die er hier unversehens hineingeriet.

Vor der Höhle tauchte eine Gestalt auf. Sie wandte dem Eingang den Rücken zu. An der lang bis zu den Knöchern der Füße herabfallenden Kleidung erkannte Azul, daß es ein Priester war. Er sprach laut und tröstend auf den Zug der Trauernden und Klagenden ein, seine Arme dabei würdevoll hin und her bewegend.

Auf den Tontafeln, die das Myonenhirn der „Kua“ übersetzt hatte, war das Ritual der Bestattung ausführlich beschrieben gewesen. Fast zum Schluß war das Zumauern der Gruft geschildert worden, erinnerte sich Azul. Die letzten Sätze aber hatte das Myonenhirn nicht mehr klar übersetzen können. Ihr Sinn war verworren und rätselhaft. Würde er jetzt das Geheimnis dieser Bestattungen erfahren? Sollte er sich mit einmauern lassen? Es würde ihm leichtfallen, sich jederzeit wieder zu befreien. Auch die Gegenwart des toten Menschenwesens würde zu ertragen sein. Wichtig war einzig und allein, daß er unentdeckt blieb.

Aber wie, wenn sie nicht gekommen waren, um einen ihrer Toten beizusetzen, sondern seinetwegen? Vielleicht hatte einer der wachenden Priester auf den Hügeln ihn doch bemerkt, als er kurz vor Morgengrauen hier eingedrungen war? Vielleicht bereiteten sie ihm dort draußen eine besondere Weihe? Wie sollte er wissen, was ihnen ihr Götterglaube in solch einer Situation für Handlungen vorschrieb.

Azul zwängte sich hinter den Vorsprung in den Schräggang hinein, um sich zu verbergen.