Endlich hielt er inne, warf den Fackelstiel von sich und rief das Mädchen.
Der Blick des Menschen hatte Azul aufgewühlt. Er sah die Glut auf sich zufliegen und fühlte gedämpft die dumpfen Schläge an Helm und Skaphander. Azul ließ es regungslos geschehen. Eine große Ruhe war über ihn gekommen. Nicht weil er wußte, daß der Skaphander dem Feuer und den Schlägen standhalten würde, sondern weil er fühlte, daß diese Schläge dem galten, der er nicht war, der er aber fast geworden wäre.
Der Sohn der I-na-nua
Als die Schläge aufhörten, stand Azul noch lange unbeweglich und lauschte in sich hinein. Er fühlte sich wieder eins mit seinen Gefährten.
Dann suchte Azul im Licht seiner infraroten Handlampe alle Fackeln zusammen, die in der Höhle noch zu finden waren. Er zündete sie mit seinem Strahlenwerfer an und stellte sie ringsum an den Wänden auf.
Verwundert sahen das Mädchen und der Hagere seinem Treiben zu. Beide standen dicht nebeneinander. Sie hatten den Zorn des Gottes erwartet und geglaubt, er werde sie als Strafe für die Schläge auf der Stelle töten. Aber nichts dergleichen geschah.
Azul trat erneut auf sie zu und sagte: „Ihr braucht euch nicht durch den geheimen Gang ins Freie zu graben. Die Sternenwanderer werden bald kommen, die Mauer am Eingang niederreißen und euch in das Dürrland zu den Sandwanderern bringen. Ihr seid dann Freie und sollt keinen Göttern und keinen Reichen mehr dienen.“
Das Mädchen möge ihr Ohr an den Boden halten. Sobald sie es leise grollen höre, solle sie es sagen. Die Flamme des Feuervogels peitsche dann draußen das Land, die Sternenwanderer seien herabgekommen, und sie würden versuchen, auch dem Jüngling das Leben wiederzugeben.
Der Mann mit dem hohen Sinn und dem starken Herzen solle die sechs Frauen und den alten Mann vom Wagen weg zur Wand der Höhle führen. Er müsse dafür sorgen, daß keines der Menschenwesen die Mitte des Raumes betrete, solange die Mauer am Eingang noch stehe.
Die Hoffnung auf ein Entkommen aus diesem Grabe ließ den Mann und das Mädchen ihren Unglauben, ihre Angst und ihr Mißtrauen vergessen. Beim beruhigenden Klang der Worte verlor der Mann seinen Haß. Beide taten, was die Stimme des Sternenwanderers ihnen riet.
Erst kurze Zeit war vergangen, als das Mädchen aufsprang, dem Hageren heftig zuwinkte und auf den Boden deutete. Sie kauerten zusammen nieder und preßten ihr Ohr in den trockenen Staub des Höhlenbodens. Deutlich vernahmen sie, was das fremde Wesen ihnen vorausgesagt hatte. Auch Azul trat jetzt an die Wand der Gruft zurück und wartete auf Zeichen von draußen. Er schaltete sein Sprechfunkgerät ein.
Die Zeit verstrich. Sollte das Mädchen sich geirrt haben? Die beiden Menschen standen ihm gegenüber an der anderen Seite der Höhle, und ihre Blicke gingen zwischen der Mauer und seiner Gestalt hin und her.
„Azul“, klang es da fragend wie aus großer Ferne in seinem Helmhörer. Und noch einmaclass="underline" „Azul!“ Azul erkannte die Stimme sofort.
„Sinio! Öffne schnell die Höhle im Berg. Zerstöre die Mauer, vor der mein Standortgeber liegt. Hier sind Menschenwesen lebendig eingemauert. Die meisten von ihnen sind vergiftet.“
Die Stimme, die ihm antwortete, wurde schnell leiser und schien sich zu entfernen. Azul verstand nicht, was Sinio sagte.
Es klang wie: „Azul, du lebst noch?“
Ja, er war für sie tot gewesen. Aber jetzt gehörte er wieder zu ihnen.
Sinio starrte ungläubig auf den Hügel, an dessen Fuß er stand.
Dort im Inneren der Erde sollten Menschenwesen sein, lebendig eingemauert? Wie kam Azul zu ihnen?
Gleichviel, es mußte gehandelt werden! Abwägend betrachtete er den Hügeleinschnitt. Er erkannte eine lehmige, fast viereckige Fläche. Das mußte die Mauer sein, die den Eingang zum Inneren des Hügels versperrte.
Sinio sprang in den Durug. Nun war ihm auch klar, warum der Kybernet fast alle Hügel umsteuert hatte. Wahrscheinlich waren sie alle von Höhlen durchsetzt, und für das schwere Fahrzeug bestand die Gefahr einzubrechen.
Im Durug schaltete Sinio den Tuler, das Nachtsichtgerät, ein.
Er richtete es auf den Hangeinschnitt. Wirklich, durch die Mauer ließen sich strichförmige Wärmequellen wahrnehmen, wie sie für Lebewesen charakteristisch waren.
Vorsichtig ließ Sinio den Durug anfahren und gegen den Hügel rollen.
Hoch oben am sternenklaren Nachthimmel zog vom Horizont her ein nadelfeiner Feuerstrahl herbei, verharrte über dem Land und senkte sich dann, grell aufstrahlend, mit berstendem Heulen herab.
Gespannt starrten Azul, das Mädchen und der Hagere auf den Eingang. Würde man die Höhle öffnen?
Zuerst knirschte es. Dann bildeten sich Risse. Lehm fiel aus den Fugen. Sand und Erdreich rieselten herab, und plötzlich bauchte sich die Wand aus und fiel krachend um. Steine kollerten bis unter den Wagen. Die Fackeln flackerten heftig, leuchteten aber sogleich heller auf, als der frische Strom der eindringenden kühlen Nachtluft ihre Flamme traf.
Staubschwaden wirbelten herein. Vom Eingang zog sich rasselnd eine wuchtige dunkle Masse zurück.
Der Hagere und das Mädchen rührten sich nicht. Sie wagten nicht hinauszugehen. Zu wunderbar, was ihnen geschah.
Die sechs Frauen hoben die Köpfe. Jetzt spürten auch sie eine Veränderung in ihrer Umgebung. Sie richteten sich auf und schritten wie im Traum zum Durchbruch hin.
Blendender Flammenschein umrahmte plötzlich den Koloß vor der Höhlung. Draußen brüllte und toste es für Sekunden.
Der Weiße Pfeil kam. Azul stürzte zur Höhle hinaus. Glücklich schloß er die Augen vor dem grellen Licht. Freudig lauschte er dem vertrauten Dröhnen des Triebwerkes. Doch schnell sprangen seine Gedanken um. Hoffentlich brachte der Weiße Pfeil Medikamente und Geräte, mit denen man das Gift aus den Körpern der Menschen hier in der Höhle bannen konnte!
Der Weiße Pfeil war etwas entfernt zwischen den Hügeln niedergegangen. Seine Bremsfeuer erloschen.
Azul stand draußen in freier Nacht. Bewundernd nahm er den Glanz der Sterne in sich auf. Froh fühlte er, wie ihn ihr Funkeln nicht mehr schreckte. Die ungeheure Weite über ihm stimmte ihn feierlich. Wie schön war es doch, Raumfahrer, Wanderer zwischen den Sternen zu sein. Er gehörte zu ihnen, zu den Söhnen des Kosmos. Seine Gedanken gingen erneut zu den Menschen. Auch sie werden einmal ihre Leben fest ihrem eigenen Willen unterordnen und ihre Umwelt selbst gestalten.
Die Zeit, in der ihre schöpferischen Kräfte hervorbrechen und sich nicht mehr dem Zwang einzelner Herrscher unterwerfen werden, in der sie ihre kosmische Umwelt erforschen und ferne Welten des Lebens entdecken werden, wird auch für sie kommen, dachte Azul.
Da erinnerte er sich des Hügelhanges gegenüber. War dort nicht auch eine frisch gemauerte Wand zu sehen gewesen?
Azul sprang auf den Durug. Gerade erschien Sinio im Kabineneingang, um ihn zu begrüßen. Azul schob ihn sanft zur Seite. „Später“, murmelte er, „später.“ Er hastete zum Steuerautomaten und drückte rasch einige Tasten. „Schnell wenden“, sagte er.
Der Motor summte auf. Das Fahrzeug ruckte an, zog eine enge Schleife und rollte auf den gegenüberliegenden Hügel zu.
Azul hielt den Durug an, als er den Eingang auf dem Bildschirm des Tulers hatte. Wortlos wies er auf ihn. Der Bildschirm zeigte helle Wärmestriche. Auch dort lebten also noch Menschen, die das schleichende Gift der Priester noch nicht vollends getötet hatte.
Der Durug ruckte an, stieß gegen den Hügel vor und riß die Wand ein. Entkräftete, halbnackte Sklaven taumelten ihnen durch die Staubschwaden entgegen.