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Die Vertrauten gingen in die verschiedenen Richtungen auseinander, um ihre Aufträge auszuführen. Einige Menschen strebten schon den Toren zu. Sie schleppten Ballen, Säcke und Krüge voller Nahrungsmittel mit sich oder trieben ihr Vieh vor sich her.

Kalaeno versuchte noch einmal, dem Herrscher und dem Hohenpriester die Gefahr begreiflich zu machen.

Da erscholl plötzlich eine mächtige Stimme aus der Luft. Der Ringflügler hing über der Stadt. Tivia ließ die Menschenwesen durch den Myonendolmetscher warnen. Die Schallgeber arbeiteten mit voller Energie. „Menschenwesen, flieht zu den fernen Hügeln! Eine Wasserwand wandert auf eure Stadt zu!

Glaubt uns Sternenwanderern! Rettet euch!“

Die Windstöße fegten jetzt schon häufiger über die Stadt hinweg, und die matte Scheibe der Sonne war kaum noch hinter drohenden Dunstschleiern zu erkennen. Tief am Horizont stand ein graublauer Strich über dem Meer. Der hastige Schritt der Menschen stockte. Sie machten sich gegenseitig darauf aufmerksam und stürzten dann um so schneller vorwärts. „Das Wasser kommt!“ schrien sie. Viele warfen alles, was sie trugen, weg, um schneller laufen zu können. Sie mochten wohl die Wolkenwand, die rasch emporwuchs, für das Wasser halten. Kalaeno ließ sie in dem Glauben.

Jetzt endlich begriffen auch der Gal-Uku-Patesi und der Hohepriester die Gefahr. Sie eilten hinweg, der Gal-Uku-Patesi zum Palast, der Hohepriester zu den Tempeln, um ihre Befehle und Anweisungen zu geben. Aber kaum einer der hohen Beamten und der Oberpriester war noch in ihrer Nähe.

Kalaeno ging durch die Gassen zur Stadt hinaus. Er sah, noch war sie voller Menschen. Sie liefen ängstlich durcheinander und schienen ratlos zu sein. Erst einzelne Gruppen zogen eilig über das Land den fernen Höhen zu.

Diese Stadt ist gewarnt. Jetzt müssen wir weiter, anderen Orten helfen, dachte Kalaeno. Er rief Tivia mit dem Ringflügler herbei. Sie flogen zu den fernen Höhen und stellten dort starke Lichtstrahler auf, damit die Menschen auch im Dunkel des Orkans den richtigen Weg fanden. Dann nahmen sie auch die Vertrauten wieder an Bord. Nur A-kim blieb allein am Meeresufer zurück.

Ia-du-lin hatte die oberste Stufe der Ziggurat erklommen. Von dort hielt er Ausschau zum Meer, das grau am Horizont schäumte. Ein starker Wind riß hier oben an ihm, Ia-du-lin mußte sich schutzsuchend an die Mauerbrüstung drücken. Er war zum Tempelbezirk geeilt, hatte eine Schar Priester um sich gesammelt und ihnen im Namen der Götter geboten, die Menschen auf die Hügel am Rande des breiten Flußtales zu treiben. Aber nur wenige Priester waren gegangen, ihren Auftrag auszuführen. Die meisten von ihnen blieben und beteten. Als der Himmel dunkler wurde und am sonst so hellen Mittag die Nacht hereinbrach, liefen sie davon, ihr Leben zu retten.

Ia-du-lin war auf den Tempelturm gestiegen und grübelte.

Bald werden die Himmelssöhne zu den Sternen zurückkehren; viel zu früh, um seine Pläne wahrzumachen, um ihre Macht auf ihn zu übertragen und ihn zu einem Großen des Zweistromlandes zu machen. Nun kam also die Stunde, in der er handeln mußte, viel früher. En-mer-kar würde vor Ia-du-lins Macht, der Macht eines Auserwählten der Himmelssöhne, weichen müssen. Er, Ia-du-lin, wollte Herrscher werden. Und wenn En-mer-kar nicht freiwillig abtrat, müßte er mit dem Zorn der Himmelssöhne drohen. Sie hatten alle, obwohl die Himmelssöhne nur Gutes taten, Angst vor ihnen. Er wußte es nur zu gut. Kaum jemand hatte begriffen, wer die Himmelssöhne wirklich waren. Man muß die Menge in dem Glauben lassen, es seien wirkliche Götter. Das war von Anfang an seine Meinung gewesen.

Eine ihrer Waffen, eines ihrer unsichtbaren Feuer, müßte man haben, dachte Ia-du-lin. Damit könnte man die Widerspenstigen, zum Beispiel den Gal-Uku-Patesi, zum Gehorsam zwingen und Macht über alle Städte des Zweistromlandes bekommen. Man konnte das Zweistromland bis zum Meer der Mitte, bis zu A-rat ausdehnen. Aber noch hatte er kein unsichtbares Feuer.

Die Zeit drängte! Bald flogen die Sternenwanderer für immer fort.

Als sie heute hier ankamen, hatte sich die Ziggurat noch klar in den dunklen Fluten des Pu-rat-tu gespiegelt, vergoldet vom Schein der Sonne. In der Ferne hatte das blaue Meer geblinkt.

Jetzt war der Spiegel des Wassers trüb und verzerrt.

Was blieb ihm, dem großen Ia-du-lin, von all seinen Plänen?

Das Wasser kam und verschlang sie. Es wird auch E-rech verschlingen. Das ganze Zweistromland würde zum Meer werden, hatte der Himmelssohn Kalaeno gesagt.

Da stand er nun auf der Ziggurat, auf der obersten Stufe des Turmes, so wie es nur dem Hohenpriester zukam, wenn er das Geheimnis der Vision befragte. Diesen Augenblick hatte sich Ia-du-lin in seinen Träumen anders vorgestellt, mit vielen Menschen, viel Sonne und sehr festlich. Statt dessen jagte der Sturm heran, hatte die Erde gegrollt, rannten die Menschen schreiend aus der Stadt, und vom Meer her drohte die Flutwelle.

Ia-du-lin kniete nieder und betete zu I-na-nua. Er bat sie, En- ki zu besänftigen, damit er nur diese eine Stadt verschlinge und E-rech und die anderen Städte des Zweistromlandes verschone.

Da fiel ein leise summender Schatten über ihn. Ia-du-lin schrak auf. Der fliegende Ring hing über der Turmspitze.

„Komm, steig ein!“ hörte er Tivia rufen. „Wir müssen weiterfliegen, die nächste Stadt warnen!“ Ia-du-lin kletterte in die Kabine des Ringflüglers. Er gab sich Mühe, seine geheimen Gedanken nicht zu verraten. Aufmerksam hörte er zu, wie Kalaeno das Entstehen der Flutwelle erklärte.

Der Sturm, der jetzt mit voller Wucht einsetzte, warf sich gegen den Ringflügler und schüttelte ihn. Der Tag wurde zur Nacht. Tiefschwarzes Gewölk zog auf. Unten auf der Erde waren kaum noch Baum und Strauch zu erkennen. Blitze zuckten auf, und Regen strömte herab. Tivia hatte Mühe, den Kurs einzuhalten.

Gedämpfter Flammenschein fiel durch die Wolken und verschwand bald darauf wieder. Das war der Atomicer gewesen. Plötzlich schwirrten auch drei der eiförmigen Tepis neben dem Ringflügler einher. Der Atomicer hatte sie hergebracht und, noch in der Luft, abgesetzt. Ihre vier Schwingflügel, zwei zu jeder Seite, glichen geschickt selbsttätig die Sturmstöße aus. Gohati, Aerona und Azul steuerten sie. Die Sternenwanderer im Ringflügler und in den Tepis sprachen kurz miteinander, und dann entfernten sich die Schwingflügler nach verschiedenen Seiten. Wenige Stunden blieben nur noch bis zur Flut.

Aerona steuerte landeinwärts der nächsten Stadt zu und warnte alle ihre Bewohner vor der Flutwelle. Genaue Berechnungen hatten sie schnell ein Gelände entdecken lassen, auf das die Menschenwesen flüchten konnten. Es war nicht allzuweit von der Stadt entfernt, hob sich kaum merklich aus der Landschaft hervor und lag doch hoch genug, um nicht von der Flutwelle überspült zu werden. In aller Eile wies Aerona die Menschenwesen an, einen Damm im Geviert auf dem etwas erhöhten Geländeabschnitt zu errichten, um damit die Sicherheit dieses Zufluchtsortes zu vergrößern. Streng achtete Aerona darauf, daß nicht nur die Sklaven, sondern auch die Priester, Beamten, Händler und Soldaten dabei mitarbeiteten.

Willig folgten die Menschenwesen ihren Anweisungen.

Keuchend schleppten sie in Krügen Erde, Lehm und Steine herbei. Die Tempel und der Hof des Herrschers mußten auf ihr Geheiß ihre Vorratslager öffnen. Als die Flut den Damm schon umleckte, wateten Männer in langen Reihen herbei und brachten Krüge mit Getreide und Öl sowie an Stangen Fleisch.