Zehnmal landete Sil den Atomicer auf der Landbarriere, die das Beben zwischen den beiden Wassern errichtet hatte.
Jedesmal verließen vier rote Roboter die große Landungsrakete. Sie schleppten Sicherheitsbehälter mit Kerntreibstoffen aus den Laderäumen. War Sil mit der Rakete wieder aufgestiegen, um ein Stück weiter erneut seine zerstörende Fracht abzusetzen, begannen die zurückgebliebenen Roboter ihr Werk. Die nahmen die Kernladungen aus ihren Sicherheitsbehältern und verteilten sie in unterkritischen Mengen über das Land. Zum Schluß behielt ein jeder von ihnen selbst eine der Ladungen. Hatten sie ihre Arbeit getan, so erstarrten die Bewegungen der Roboter. Sie warteten auf ihren letzten Befehl.
Endlich waren die Laderäume leer. Die Luken schlossen sich.
Wenige Minuten nur noch, und das atomare Feuer würde den mächtigen Felsriegel hinwegreißen. Der Atomicer strebte steil empor und durchbrach die Sturmzone und die wildbrodelnden Wolkenmassen. Der blaue Himmel und das goldenhelle Licht des gelben Sterns empfingen Sil. Nie hatte er den Menschenwesen wirklich helfen können. Nicht den Sklaven, die für Fremde arbeiteten, nicht den irrenden Gläubigen, die sich fragwürdige Weisheiten einreden ließen, und nicht den Sandwanderern, die noch lange heimatlos in ihrem dürren Land umherziehen mußten, ehe sie dermaleinst besser und sorgloser leben würden. Aber jetzt, dieses eine Mal, konnten sie, die Heloiden, den Menschenwesen doch helfen und sie vor dem Untergang bewahren.
Sil sah auf die Entfernungsangabe. Gleich mußte er den roten Robotern den Zündbefehl zufunken. Da schrillte plötzlich ein Notruf. Sil sah auf, schaltete den Erider zum Ring um — und erschrak heftig. Er sah auf dem Bildschirm das Innere der Kabine des Ringes. Tivia stand im offenen Ausstieg und wehrte sich verzweifelt gegen Ia-du-lin. Er versuchte, ihr den kleinen Strahlenwerfer zu entreißen. Schon hielt er die Waffe in der Hand. Er zielte auf Tivia. Sein Finger tastete nach dem Auslöser. Ungeübt, fand er ihn nicht gleich. Dieser Augenblick genügte. Tivia warf sich zur Seite und packte dabei Ia-du-lins Handgelenk. Die Mündung des Strahlenwerfers beschrieb wilde Kreise und zeigte schließlich zum Kanzeldach. Der Skaphander behinderte Tivia. Es gelang ihr nicht, ihm die gefährliche Waffe zu entwenden. Da löste Ia-du-lin den sengenden Strahl aus. Er stach ins Kanzeldach, senkte sich, streifte zischend Tivias Skaphander und fuhr wieder hoch.
Vom Kanzeldach tropfte flüssiges Panzerglas herab.
Glühendheiße Tropfen fielen auf Ia-du-lins Schulter. Er zuckte zusammen und schrie auf. Der sengende Strahl neigte sich erneut und zerfraß sein Gesicht. Er war sofort tot. Der Strahlenwerfer erlosch und fiel zu Boden. Ia-du-lins Körper sackte zusammen und stürzte durch den Ausstieg hinaus. Der Sturm draußen erfaßte ihn und rollte seinen leblosen Leib unter dem Ringflügler hervor über das lehmige Feld. Sein gelber Schutzumhang löste sich und flatterte davon. Regenschleier verdeckten die Sicht.
Im Schein eines Bündels greller Blitze erkannte Sil auf dem Bildschirm die Tempelsilhouette E-rechs.
Ein leise klagender Laut drang an sein Ohr. Sil starrte entsetzt auf die flimmernde Glasscheibe. Tivia krümmte sich vor Schmerz. An ihrer Bewegung erkannte Sil, daß sie zu ersticken drohte. Durch einen langen, klaffenden Riß drang die Stickluft des Planeten in ihren Skaphander. Tivia mühte sich, diesen Riß zuzupressen. Aber es gelang ihr nicht. Sie taumelte und stürzte. „Tivia!“ rief Sil.
Der Erider erlosch. Sil stockte der Herzschlag. Es ist vorbei, dachte er. Niemand ist an ihrer Seite. Erspart mir dieser Planet nichts? Dankten ihm so die Menschenwesen? Warum war es gerade Ia-du-lin, der ihm das Liebste aller Welten nahm?
Unsäglicher Schmerz durchdrang Sil. Sekunden vergingen, in denen der Atomicer weiter nordwärts stürmte.
Ein winziger Hoffnungsschimmer stieg in Sil auf. Hatte Tivia nicht noch im Fallen geistesgegenwärtig über die Tasten des Pilotrons gestrichen. Hatte sich nicht, kurz bevor das Bild erlosch, die Einstiegsluke zu schließen begonnen? Hatte sie, vielleicht aus Versehen, im Fallen auch das Sendegerät gelöscht? Also kämpfte Tivia noch um ihr Leben! Saugten vielleicht die Pumpen des Ringes die Stickluft ab und preßten heloidische Luft in die Kabine?
Ein Signal glomm auf. Die roten Roboter meldeten sich. Sie verlangten den letzten Befehl. Sie erinnerten Sil an seine Aufgabe. Schon längst war der Sicherheitsabstand durchflogen. Sil tastete zum Signalknopf. Müde drückte er die Taste. Er wußte, jetzt traten die vierzig roten Roboter mit ihren unterkritischen Ladungen auf je eine der verteilten Sprengladungen zu und berührten sie. Die überkritische Masse entstand. Die ungesteuerte Kettenreaktion setzte ein. Die atomaren Blitze zuckten auf.
Sil sah sich langsam um. Es war keine rechte Freude mehr in ihm, den Menschen des Zweistromlandes geholfen zu haben.
Fern am Horizont brach das Wolkenmeer auf, wurden Dampf und Rauch in den blauen Himmel hochgeschleudert.
Blendendes Feuer schoß hervor. Ein Wald von Pilzen quoll auf.
Sil wandte sich ab. Welche Mühe hatten sie sich gegeben, die Atmosphäre dieses Planeten sowenig wie möglich radioaktiv zu verseuchen, und nun war das Erdbeben gekommen, das am Meer der toten Wasser den Kernproduktor und die Treibstofflager verschlang und das den verhängnisvollen Wall in der Meerenge hochpreßte, den jetzt die Atomexplosionen hinwegfegten. Sil dachte daran, daß dafür nun die Wassermassen gurgelnd und schäumend wie nach dem Bruch eines Staudammes südwärts durch die Bresche zu den Weltmeeren flossen. Wertvolle Zeit war gewonnen, gewonnen für das Leben Zehntausender dieser Planetenbewohner.
Aber was wurde aus ihrer Rückkehr zum Heloid, was war mit Tivia?
Sil meldete der „Kua“ mechanisch den Vollzug der Sprengung.
Sinio wurde jetzt auf dem Bildschirm sichtbar. „Kurs E- rech“, sagte er, und nach einem langen Blick auf Siclass="underline" „Tivia lebt! — Tepi eins mit Gohati ist dort Nimm sie beide über E- rech an Bord und komm schnellstens hierher!“
Die „Kua“ startete zur festgesetzten Zeit.
Kalaeno war als letzter zum Raumschiff zurückgekehrt. Er war noch einmal im Auftrag der Besatzung bei den Vertrauten gewesen, die überall im Land verstreut auf den Hügeln der Rettung unter den Menschen wirkten. Er verabschiedete sich von ihnen. „Wir kehren jetzt zurück zu den Sternen. Wir werden uns nie mehr sehen. Aber unsere Kindeskinder werden sich in ferner Zukunft wieder begegnen. Ich wünsche euch Menschenwesen Glück auf eurem Weg in eine schöne Zeit, die bestimmt für euch kommen wird. Wir steigen auf, aber wir werden noch einige Tage mit euch aus den Wolken durch die Geräte, die wir euch gaben, sprechen können“, sagte er den Vertrauten. „Achtet das Leben“, rief er ihnen noch zu. Und dann hatten sie sich nach Menschenart umarmt. Kalaeno stieg ein, und der Ring erhob sich. Lange und gedankenvoll sahen die Vertrauten dem grauen Schatten des Ringes nach, der in der Ferne über den Hügelwellen des Landes und über der Wasserebene verschwand.
Die bei der Sprengung verbrauchten Treibstoffe zwangen die Heloiden, ohne weiteren Zeitverlust mit der vollen Kraft ihrer Hauptdüse zu starten, um sich recht schnell aus dem Bann der Anziehungskraft dieses Planeten und seines gelben Sterns zu lösen. Niemand vermag zu sagen, ob die Heloiden mit ihrem Raumschiff den Rückflug angetreten haben, um im Wettlauf mit der Zeit, mit der Zeitdilatation aus dem Großen Abgrund nach Heloid zurückzukehren, oder ob sie sich zu dem Wagnis entschlossen haben, statt dessen zu den Welten des äußeren Spiralarmes zu fliegen, in der Hoffnung, sich unterwegs selbst einen neuen Produktor zu schaffen oder die Teloiden zu finden. Sollte das erste der Fall sein, so ist die „Kua“ inzwischen auf Heloid gelandet oder zumindest doch in die Nähe ihres Heimatgestirns gelangt. Sollte das letzte der Fall sein, dann hat die Expedition der Heloiden inzwischen ihr Ziel erreicht, die Welten des äußeren Spiralarmes erforscht, Kontakt mit den Teloiden aufgenommen und eine dauerhafte Radioverbindung über den Großen Abgrund hergestellt. Zur Zeit könnten sie sich auf ihrem fast lichtschnellen Rückflug befinden.