Für die Dauer des Erwachens war die Lichtdruckschleuder gedrosselt worden. Der Andruck der Abbremsung ließ nach.
Die Raumfahrer empfanden wieder die übliche heloidische Schwerkraft. Unter den normalen Bedingungen konnten sich die Organe allmählich an ihre Funktionen gewöhnen.
An Bord der „Kua“ wurde es lebhaft. Die schattenhaften Gestalten der Heloiden huschten in den Räumen hin und her.
Sie trafen sich, berieten die Landevorbereitungen und glitten wieder auseinander. Überall brannten die infraroten Wärmestrahler und erfüllten das Raumschiff mit rötlichem, warmem Licht.
Der Alltag nahm seinen Lauf, so wie es die Besatzung schon seit langem nicht anders kannte. Man absolvierte unter Tivias Beratung gymnastische Übungen, die nach solchen Perioden des Dauerschlafes besonders wichtig waren, und stärkte sich mit Pasten und Getränken. Anschließend wurde in den Laboratorien alles hergerichtet, um die unterbrochenen Forschungen wieder aufnehmen zu können.
Für die Kosmonauten gab es viel Arbeit. Zunächst werteten sie die auf dem bisherigen Flug automatisch gesammelten Meß- und Beobachtungsergebnisse aus. Auf den Sternenkarten wurden zahlreiche neue Eintragungen vorgenommen.
Verzeichnisse entdeckter Dunkelnebel und neuer Gravitations- und Spannungsfelder entstanden. Die Myonenhirne schluckten die zu speichernden Ergebnisse.
Dann begannen die Kosmonauten damit, die Vorbereitungen für die Landung zu treffen. Gohati hatte angekündigt, daß in fünfzig bis sechzig Rotationsperioden mit der Landung zu rechnen sei. Aus den Lagern wurden Ausrüstungen hervorgesucht und bereitgestellt. Vor allem überprüften die Kosmonauten die Landungsfahrzeuge gründlich: den Atomicer, die große Landungsrakete; den Weißen Pfeil, die Erkundungsrakete; den Ringflügler; den Durug, einen schweren Erkundungspanzer; die geologischen Raketen und die flinken Tepis, leichte, eiförmige Fahrzeuge mit Rädern und vier Schwingflügeln.
Mitten in einer Besprechung, die Gohati mit Tivia über die Erneuerung der Navigationskreisel abhielt, leuchtete der Informator auf und meldete: „Hier Beobachtungszentrum!
Planeten festgestellt!“
Wenige Augenblicke später stand Gohati schon am Kugellift.
Er glitt schnell zur Beobachtungsstation am hinteren Gitterturm des Kreiselschiffes. Als Gohati dort eintrat, kam ihm Azul entgegen. „Zwei Planeten sind entdeckt“, berichtete er. Beide Himmelskörper seien sehr groß, rotierten schnell und zeigten an den Polen starke Abplattungen. Der eine Planet überraschte durch einen Ring, der um ihn kreise. Vermutlich bestehe er aus vielen Satelliten, aus kleinen und kleinsten Trümmerstücken und Staubteilchen. Die Oberfläche dieser beiden Planeten müsse jedoch sehr kalt sein. Mächtige Schichten erstarrter Flüssigkeit und dicke Gasmäntel umschlossen sie.
Lebensplaneten seien es also nicht. Eine Landung dort hätte wenig Sinn.
Inzwischen waren auch die anderen Besatzungsmitglieder in das Beobachtungszentrum gekommen, außer Kalaeno, der Steuerwache hatte. Sie kauerten sich vor den verschiedenen Instrumenten und Apparaturen nieder, denn sie brannten darauf, die Planeten zu sehen oder sogar selbst weitere zu entdecken. Die Silhouette des Kommandanten schob sich von Platz zu Platz. Sorgfältig sah Gohati die einzelnen Aufzeichnungen durch.
„Die Häufigkeit des kosmischen Staubes nimmt zu!“ meldete Azul.
„Sil!“ rief Gohati. „Ionen-Triebwerke ausfahren!“
Die Zusammenstöße des Raumschiffes der Heloiden mit den Mikrometeoriten hatten mit dem weiteren Eindringen in das irdische Sonnensystem zugenommen. Für das Raumschiff bedeuteten sie keine Gefahr mehr, flogen sie doch schon längst nicht mehr lichtnahe Geschwindigkeiten. Selbst der Energieschirm war abgeschaltet worden. Die Mikrometeoriten waren zu winzig, als daß sie die dicken Außenwandungen der Rakete zu durchschlagen vermochten. Durch den Druck des Zusammenpralls glühten sie auf und verdampften. Sie schadeten nur der makellos glatten Wölbung des Photonenspiegels, der Lichtdruckschleuder, wie die Heloiden ihr Haupttriebwerk nannten.
Sil kam in die Steuerzentrale. Die schattenhafte Gestalt des Triebwerkingenieurs schob sich zum Regiepult, um die mächtige Lichtdruckschleuder gegen das elektrische Ionen- Triebwerk auszutauschen. Ein Rundspruch ertönte. Jedem Raumfahrer blieb genug Zeit, sich auf eine kurze Spanne der Schwerelosigkeit vorzubereiten, lose Gegenstände wegzuräumen und sich festzuschnallen.
Mehr und mehr drosselte Sil die Lichtdruckschleuder. Er beobachtete auf dem Erider, dem Sichtschirm, die Vorgänge außerhalb der Rakete. Noch stach der scharfgebündelte, grellweiße Lichtstrahl des Triebwerkes weit in die kosmische Dunkelheit voraus. Gewaltige Energieprozesse im Brennpunkt des Spiegels schossen die Garben aus Licht mit geballter Kraft in das All. Dieses gewaltige Feuer tauchte den Rumpf des Raumschiffes in einen glitzernden, silbernen Schein, vor dem man die Augen schließen mußte.
Plötzlich warf sich pechschwarze Finsternis über dieses Bild.
Die Lichtdruckschleuder war erloschen. Erst allmählich gewöhnten sich Sils Augen an das normale Licht der Außenbordscheinwerfer. Langsam verschwand der voranragende Gitterturm, der das Triebwerk trug, im Rumpf der Rakete. Mehr und mehr senkte sich der riesige Hohlspiegel herab. Torflügel schwangen weit zur Seite. Ein Schlund tat sich auf und verschlang das Triebwerk.
Sil gab über die Regieanlage ein Kommando. Er wußte, daß jetzt die Automaten im Schiffsrumpf aus ihren Nischen hervorkamen, um das Triebwerk auszuwechseln. Heloiden wären zu dieser schweren Arbeit nicht imstande. Allein die Hitze, die der Spiegel immer noch ausströmte, würde sie versengen. Den Robotern machte diese thermische Strahlung nichts aus. Im Gegenteil, sie sorgten noch dafür, daß der Spiegel nachbeheizt wurde, um eine zu schnelle Abkühlung und damit das Entstehen von Rissen in seiner Glanzfläche zu vermeiden.
Die Roboter verrichteten ihre Arbeit schnell und exakt. Bald leuchtete auf der Kontrolltafel das Signal „Auftrag ausgeführt“ auf. Sil gab einen neuen Befehclass="underline" „Ionen-Triebwerke montieren!“
Schwerfällig rollten auf der Montagebühne unter den Torflügeln ungefüge Teile heran. Sicher packten die Roboter zu. Wenige Griffe genügten. Im Nu waren die einzelnen Teile aus den Transportern ausgeklinkt und in den Gitterturm geschoben. Magnethalter packten zu, starke Schnellverschlüsse knackten, und schon stapften und rumpelten die Roboter in ihre Nischen zurück.
Der Gitterturm wuchs wieder aus dem Rumpf des Kreisels heraus. Er trug jetzt einen völlig andersgearteten Antrieb.
Hinter einem ganzen Komplex von Düsenbündeln schob sich der wuchtige Klotz des Ionengenerators aus dem Schatten des klaffenden Schleusentores hervor. Als der Turm weit genug voranragte, wurde sein geisterhaftes Wachstum von Sil gestoppt. Auf der Bildfläche des Eriders war zu sehen, wie sich die Torflügel wieder schlossen. Vor dem Ingenieur leuchtete das Signal „Triebwerke startklar“ auf. Düse um Düse zündete.
Draußen, am Ende des Gitterturmes, steigerte sich langsam die Kraft des bremsenden Ionenschubes. Gleichmäßig pulsten die Zeichen auf dem Maßschirm des Generators. Sanft kehrte die Schwere zurück. Unsichtbar arbeiteten die Düsen. Kein Feuerstrahl verriet ihre Tätigkeit.
Sil versank in die Betrachtung der Sternenwelt, die ihm in erhabener Schönheit vom Schirm des Eriders entgegenleuchtete. Die Sterne drängten sich jetzt nicht mehr in der eigentümlichen Weise vor und hinter dem Schiff zusammen. Mit scharfem Glanz stachen kleinste Lichtfünkchen unzählbar aus tiefster Ferne und von allen Seiten hervor, ballten sich hier zu einer schimmernden Wolke des Lichts und zerflossen dort zu einem hauchfeinen Schleier, der jäh von lichtlosen Abgründen zerrissen wurde.
Unbändig brandete in Sil das Verlangen auf, sich in dieses starre, unbewegliche Sternenmeer zu stürzen und es in traumhaft rasendem Taumel zu durchfliegen. Ohnmächtig bäumte sich sein Verstand. Es war unmöglich, die geheimnisvollen Schleier der Unendlichkeit mit einem Ruck zu zerreißen. Auch der Vorstoß der Expedition würde nur einen winzigen Zipfel der Geheimnisse, die dieser sammet-schwarze, lichtbestickte Vorhang barg, lüften können.