Doch das war sie nicht; sie waren da. In einer Limousine — derselben Limousine, die vor zwölf Stunden durch die Tore des Louvre gerast war, dieselben zwei Männer — Killer, die anderen Killern Schutz boten. Der Wagen stand fünfzig Fuß entfernt auf der linken Straßenseite, von wo aus man Villiers' Haus gut beobachten konnte. Aber waren diese zwei Männer, die eingesunken im Sitz saßen, Villiers' Villa aber aufmerksam beobachteten, waren diese zwei Männer die einzigen, die da waren? Borowski wußte es nicht mit Bestimmtheit; zu beiden Seiten der Straße säumten Fahrzeuge den Bürgersteig. Er duckte sich im Schatten eines Hauses schräg gegenüber den beiden Männern in der parkenden Limousine. Er wußte zwar; was zu tun war, aber nicht genau wie. Er brauchte ein Ablenkungsmanöver, auf das Carlos' Leute reinfallen würden.
Feuer. Aus dem Nichts. Ganz plötzlich, irgendwo in der Nähe von Villiers' Haus, und so auffällig, daß die ganze stille, verlassene, von Bäumen gesäumte Straße aufgeschreckt wurde. Aufgeschreckt… Sirenen; Explosionen. Es war möglich. Es war nur eine Frage der richtigen Mittel.
Borowski kroch wieder zurück und rannte lautlos zur nächsten Türe, wo er stehen blieb und Jackett und Mantel auszog. Dann riß er sich das Hemd vom Kragen bis zur Hüfte auf und zog dann Jackett und Mantel wieder an, schlug sich den Kragen hoch, knöpfte den Mantel zu und klemmte sich das Hemd unter den Arm. Er spähte in den nächtlichen Regen hinaus, musterte die Fahrzeuge auf der Straße. Er brauchte Benzin, aber in Paris waren die meisten Treibstofftanks versperrt.
Und dann sah er, was er sehen wollte, sah es vor sich auf dem Pflaster, an ein eisernes Tor gekettet. Es war ein Moped, größer als ein Roller, kleiner als ein richtiges Motorrad, und der Tank war wie eine kleine Blase aus Metall zwischen dem Lenker und dem Sattel. Wahrscheinlich hatte der Tankdeckel eine Kette, aber vermutlich kein Schloß.
Jason arbeitete sich an das Moped heran. Er sah sich auf der Straße um; da war niemand, keine Geräusche außer dem leisen Trommeln des Regens. Er legte die Hand auf den Tankdeckel und drehte ihn; er ließ sich ganz leicht aufschrauben. Und noch besser, die Öffnung war relativ groß, der Tank fast gefüllt. Er verschraubte ihn wieder; er war noch nicht so weit, das Hemd mit Benzin zu durchtränken. Er brauchte noch etwas.
Er fand es an der nächsten Ecke an einem Abflußschacht. Ein Pflasterstein, der sich teilweise gelöst hatte, den tausend unvorsichtige Fahrer in Jahrzehnten gelockert hatten. Er löste ihn ganz, indem er mit dem Fuß dagegen trat, und hob ihn dann auf und eilte mit einem kleinen Stein, der daneben gelegen hatte, in der Tasche und dem großen Pflasterstein in der Hand wieder zu dem Moped. Er prüfte sein Gewicht… erprobte seinen Arm. Es würde gehen; gut sogar.
Drei Minuten darauf zog er langsam das mit Benzin durchtränkte Hemd aus dem Benzintank, und der Dunst mischte sich in den Regen, die Ölreste besudelten seine Hände. Er schlang das Tuch um den Pflasterstein, wand die Ärmel ineinander, verknotete sie fest, und hielt das Wurfgeschoß bereit. Jetzt war er soweit.
Er kroch wieder zu dem Haus zurück, das an der Ecke von Villiers' Straße stand. Die beiden Männer in der Limousine saßen immer noch zusammengesunken auf dem Vordersitz und konzentrierten sich ganz auf Villiers' Haus. Hinter der Limousine standen drei weitere Fahrzeuge, ein kleiner brauner Mercedes, eine dunkelbraune Limousine und ein Bentley. Genau Jason gegenüber, hinter dem Bentley, erhob sich ein weißer Steinbau mit schwarz gestrichenen Fenstern. Aus einem Gang im Inneren des Hauses fiel schwaches Licht auf die Erkerfenster zu beiden Seiten der Treppe; hinter dem linken Fenster lag offensichtlich ein Eßzimmer; er konnte Stühle und einen langen Tisch im zusätzlichen Licht einer Rokokolampe sehen. Die Fenster des Speisezimmers mit dem herrlichen Blick auf die wohlhabende, etwas altmodische Pariser Straße würden genügen.
Borowski griff in die Tasche und holte den Stein heraus; er hatte höchstens ein Viertel der Größe des mit Benzin durchtränkten Pflastersteins, würde aber den Zweck erfüllen. Er schob sich langsam um die Hausecke, holte aus und warf den Stein über die Limousine mit den zwei Männern hinweg nach hinten.
Das Krachen hallte durch die stille Straße, und dann war ein lautes Poltern zu hören, als der Stein über die Motorhaube eines Wagens polterte und dann zu Boden fiel. Die beiden Männer in der Limousine riß es hoch. Der Mann auf dem Beifahrersitz riß die Türe auf und sprang mit einer Waffe in der Hand hinaus. Der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und schaltete dann die Scheinwerfer ein. Die Lichtkegel schossen nach vorne, spiegelten sich in dem Metall und dem Chrom des Wagens davor. Ausgesprochen dumm, das Licht einzuschalten
— das zeigte, welche Angst die Männer in Parc Monceau hatten.
Jetzt. Jason rannte über die Straße, ganz auf die zwei Männer konzentriert, die sich jetzt die Hände über die Augen hielten, um in dem grellen Licht sehen zu können. Jetzt hatte er den Kofferraum des Bentley erreicht, hielt den Pflasterstein unter dem Arm, die Streichhölzer in der linken Hand und ein paar abgerissene Streichhölzer in der rechten. Er duckte sich, riß die Streichhölzer an, legte den Pflasterstein auf den Boden und hob ihn dann an einem Hemdärmel hoch. Er hielt die brennenden Streichhölzer unter das mit Benzin durchtränkte Tuch; es stand sofort in hellen Flammen.
Er erhob sich schnell, ließ den Stein am Ärmel kreisen, sprang auf die Straße hinaus und schleuderte sein Wurfgeschoß mit aller Kraft auf das Erkerfenster und rannte weiter, als es sein Ziel traf.
Das Klirren zerspringenden Glases brach in die regendurchtränkte Stille der Straße hinein. Borowski rannte nach links über die schmale Straße, dann zu Villiers' Block zurück und fand dort wieder den Schatten, den er brauchte. Das Feuer breitete sich aus, von dem Wind angefacht, der durch das zersplitterte Fenster hineinwehte, sprang drinnen an den Gardinen empor. Binnen einer halben Minute war der ganze Raum ein Flammenmeer, das Feuer von dem riesigen Spiegel über dem Sideboard noch verstärkt. Schreie hallten, überall wurde es hinter den Fenstern hell. Eine Minute
verstrich, und das Chaos wuchs. Die Tür des brennenden
Hauses wurde aufgerissen und Gestalten erschienen — ein
älterer Mann im Nachthemd, eine Frau im Neglige mit einem Pantoffel — beide von Panik erfüllt.
Jetzt öffneten sich weitere Türen, weitere Gestalten
schossen auf die Straße, fanden den Übergang vom Schlaf ins Chaos, einige rannten auf das von lodernden Flammen erfaßte Haus zu — ein Nachbar hatte Schwierigkeiten. Jason rannte schräg über die Straße, nur eine weitere laufende Gestalt in der schnell dichter werdenden Menge. Er blieb neben dem Eckgebäude stehen, wo er erst vor wenigen Minuten angefangen hatte, und sah sich nach Carlos' Soldaten um.
Er hatte recht gehabt; die beiden Männer waren nicht die einzigen Wachen von Parc Monceau. Jetzt waren da vier Männer, die sich neben der Limousine niederkauerten und schnell und leise miteinander redeten. Nein, fünf. Ein weiterer kam über das Pflaster auf sie zu, schloß sich den vier anderen an.
Er hörte Sirenen. Sirenen, die lauter wurden, näherkamen. Die fünf Männer waren verunsichert. Entscheidungen mußten getroffen werden; sie konnten nicht alle bleiben, wo sie waren. Vielleicht diskutierten sie jetzt, wer die längste Vorstrafenliste hatte.
Übereinkunft. Ein Mann würde bleiben — der fünfte. Er nickte und ging schnell über die Straße zu Villiers' Seite hinüber. Die anderen kletterten in den Wagen, und als dann ein Löschzug der Feuerwehr die Straße heraufjagte, bog die Limousine aus ihrem Parkplatz und raste an dem roten Monstrum vorbei.