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Borowski. Jason Borowski. Der völlig unbekannte Mann, ein Name, der seit über einem Jahrzehnt begraben war, ein Stück menschlicher Schutt, den man in einem Dschungel zurückgelassen hatte. Aber er hatte existiert; auch das war Teil der Strategie.

Conklin blätterte in den Aktendeckeln, die auf seinem Schreibtisch lagen, bis er den fand, den er suchte. Er hatte keinen Titel, nur eine Initiale und zwei Nummern, und dahinter ein schwarzes X, was andeutete, daß es sich um den einzigen Aktendeckel handelte, der die Ursprünge von Treadstone enthielt.

T- 71 X. Die Geburt von Treadstone Seventy-One.

Er schlug den Aktendeckel auf und hatte beinahe Angst vor dem, was er in dem Ordner wußte.

Tag der Exekution. Tam Quan-Sektor. 25. März…

Conklins Augen wanderten zu dem Kalender auf seinem Schreibtisch.

24. März.

«O mein Gott«, flüsterte er und griff nach dem Telefon.

Dr. Morris Panov durchschritt die Doppeltüren der Psychiatrieabteilung im dritten Stock des

Marinekrankenhauses von Bethesda und trat auf den Tresen der Schwestern zu. Er lächelte der uniformierten Schwesternhelferin zu, die unter den strengen Blicken der Stationsschwester Karteikarten ordnete. Offenbar hatte die junge Lehrschwester eine Patientenkarte — wenn nicht gar einen Patienten — verlegt, und ihre Vorgesetzte war dabei, ihr klarzumachen, daß das nicht wieder passieren dürfte.

«Sie dürfen sich von Annies strenger Miene nicht täuschen lassen«, sagte Panov zu dem aufgeregten Mädchen.»Unter diesen kalten, unmenschlichen Augen steckt ein Herz aus purem Gold. Aber in Wirklichkeit ist sie vor zwei Wochen aus dem fünften Stock entkommen, und wir haben alle Angst, es jemandem zu sagen.«

Die Schwesternhelferin kicherte, während die Oberschwester verzweifelt den Kopf schüttelte. Das Telefon klingelte.

«Würden Sie das bitte nehmen«, sagte Annie zu dem jungen Mädchen. Die Helferin nickte und eilte zum Schreibtisch. Die Schwester wandte sich Panov zu.»Doktor Mo, wie soll ich denen jemals etwas in den Kopf trichtern, wenn Sie die ganze

Zeit Scherze machen?«

«Nur mit viel Liebe, Annie, meine Liebe. Mit Liebe. Aber Sie dürfen dabei Ihre Ketten nicht verlieren.«

«Sie sind unverbesserlich. Sagen Sie, wie geht es Ihrem Patienten in Fünf-A? Ich weiß, daß Sie sich Sorgen um ihn machen.«

«Die mach ich mir immer noch.«

«Ich höre, daß Sie die ganze Nacht wach geblieben sind.«

«Um drei Uhr früh war ein Film im Fernsehen, den ich mir ansehen wollte.«

«Passen Sie auf sich auf, Mo«, sagte die Schwester mütterlich,»Sie sind noch zu jung, um hier drinnen zu enden.«

«Und vielleicht schon zu alt, um noch eine andere Wahl zu haben. Aber vielen Dank.«

Plötzlich bemerkten Panov und die Schwester, daß er ausgerufen wurde. Die junge Schwesternhelferin am Schreibtisch sprach ins Mikrophon:

«Doktor Panov, bitte. Telefonanruf für — «

«Ich bin Doktor Panov«, sagte der Psychiater sanft zu dem Mädchen.»Wir wollen nur, daß niemand das erfährt. Annie Donovan hier ist in Wirklichkeit meine Mutter aus Polen. Wer ist denn dran?«

Die Hilfsschwester sah auf Panovs Ausweiskarte an seinem weißen Mantel; dann riß sie die Augen auf und erwiderte:»Ein Mister Alexander Conklin, Sir.«

«Oh?«Panov war sichtlich überrascht. Alex Conklin war im Laufe der letzten fünf Jahre einige Male sein Patient gewesen, bis sie beide übereinstimmend zu dem Schluß gekommen waren, daß seine Psyche sich dem Schreibtischdasein so gut angepaßt hatte, wie das eben möglich war. Was auch immer Conklin wollte, es war bestimmt einigermaßen wichtig, sonst hätte er nicht in Bethesda, sondern in seiner Praxis angerufen.»Wo kann ich das Gespräch führen, Annie?«

«Zimmer eins«, sagte die Schwester und wies auf die andere Seite des Korridors.»Das ist leer. Ich lasse das Gespräch durchstellen.«

Panov ging auf die Türe zu und begann sich irgendwie unbehaglich zu fühlen.

«Ich brauche ein paar sehr schnelle Antworten, Mo«, sagte Conklin mit gepreßter Stimme.

«Ich versteh' mich nicht besonders gut auf schnelle Antworten, Alex. Warum kommen Sie nicht heute nachmittag

einfach vorbei?«

«Es betrifft nicht mich. Es geht um jemand anderen. Möglicherweise.«

«Keine Spielchen, bitte. Ich dachte, das hätten wir hinter uns.«

«Das sind keine Spielchen. Es geht um einen Vier-NullFall. Ich brauche Hilfe.«

«Vier-Null? Dann sollten Sie einen Ihrer Leute einschalten. Ich habe noch nie die Art von Sicherheitsfreigabe beantragt.«

«Das kann ich nicht. Ich sage Ihnen ja, daß es ein schwieriger Fall ist.«

«Dann sollten Sie es vielleicht dem Herrgott zuflüstern.«

«Mo, bittel Ich muß nur ein paar Möglichkeiten untersuchen und bestätigen. Den Rest kann ich mir selbst zusammenreimen. Und ich hab' nicht einmal fünf Sekunden zu vergeuden. Da läuft möglicherweise ein Mann herum, der einem Phantom nachjagt und jeden, der sich ihm in den Weg stellt, beseitigt. Sein Geist ist verwirrt, und er ist ohne seinen Willen zu einem Werkzeug seines Wahnsinns geworden. Helfen Sie mir, helfen Sie ihm!«

«Wenn ich kann. Also, sprechen Sie.«

«Ein Mann wird über einen langen Zeitraum hinweg einer Situation von höchstem Streß ausgesetzt, die ganze Zeit im Untergrund. Die Tarnpersönlichkeit, die man ihm aufgesetzt hat, ist ein Lockvogel — eine gefährliche Situation, in der er einem ständigen Druck ausgesetzt ist. Der Zweck des Ganzen ist, eine Zielperson hervorzulocken und fertigzumachen, die dem Lockvogel sehr ähnlich ist, indem die Zielperson überzeugt wird, daß der Lockvogel sie bedroht… Konnten Sie mir bisher folgen?«

«Bisher schon«, sagte Panov.»Wenn ich recht verstehe, ist der Lockvogel einem dauerndem Druck ausgesetzt, er muß gewissermaßen in die Rolle eines Verbrechers schlüpfen. In welcher Umgebung hat sich das alles abgespielt?«

«In der brutalsten Umgebung, die Sie sich vorstellen können.«

«Über wie lange Zeit?«

«Drei Jahre.«

«Du lieber Gott«, sagte der Psychiater.»Ohne Pause?«

«Überhaupt keine. Vierundzwanzig Stunden täglich, dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr. Drei Jahre. In einer fremden Haut.«

«Wann werdet ihr verdammten Narren es endlich einmal kapieren? Selbst Gefangene in den schlimmsten Lagern können wenigstens sie selbst sein und mit anderen sprechen, die auch sie selbst sind — «Panov hielt inne und begann zu begreifen, was Conklin meinte.»Das ist es, worauf Sie hinauswollen, nicht wahr?«

«Ich bin nicht sicher«, antwortete der Abwehrbeamte.»Es ist alles nebelhaft, verwirrend, widerspricht sich teilweise. Meine Frage ist die: könnte ein Mann unter diesen Umständen anfangen, sich mit der Person des Lockvogels zu identifizieren und seine Eigenschaften annehmen, die künstliche Person nach und nach so absorbieren, daß er am Ende glaubt, die Person selbst zu sein?«

«Die Antwort auf diese Frage ist so offenkundig, daß es mich überrascht, Sie sie stellen zu hören. Natürlich könnte er das. Es ist sogar wahrscheinlich, daß er es tut. Das ist eine unmenschliche psychische Belastung, die kein Mensch ohne Schaden übersteht. Es ist die Hölle. Ein Schauspieler, der die Bühne nie verläßt, in einem Stück, das nie endet. Tag für Tag und Nacht für Nacht. «Wieder hielt der Arzt inne und fuhr dann vorsichtig fort:»Aber das ist in Wirklichkeit gar nicht Ihre Frage, oder?«

«Nein«, erwiderte Conklin.»Ich gehe noch einen Schritt weiter. Über den Lockvogel hinaus. Das muß ich; das ist das einzige, was noch einen Sinn abgibt.«