«Augenblick«, unterbrach Panov ihn scharf.»Sie sollten jetzt besser Schluß machen, weil ich nicht irgendeine Blinddiagnose bestätige. Nicht für das, worauf Sie hinauswollen. Kommt nicht in Frage, Charlie.«
«>Kommt nicht in Frage… Charlie.< Warum haben Sie das gesagt, Mo?«
«Wieso fragen Sie? Das ist so ein dummer Satz, ich höre ihn die ganze Zeit. Junge Leute in schmutzigen Blue Jeans sagen das an jeder Straßenecke, Nutten in meinen Lieblingslokalen.«
«Woher wissen Sie denn, worauf ich hinaus will?«fragte der Mann vom CIA.
«Weil ich die entsprechenden Bücher kenne, und Sie nicht besonders subtil vorgegangen sind. Wir haben es hier mit einem klassischen Fall paranoider Schizophrenie zu tun. Es geht hier ferner nicht nur um Ihren Mann, der die Rolle des Lockvogels übernommen hat, sondern auch um den Lockvogel,
der seine Identität auf die Person übertragen hat, hinter der er her ist. Das Ziel. Darauf wollen Sie doch hinaus, Alex. Sie wollen mir klarmachen, daß Ihr Mann drei Leute sind: er selbst, der Lockvogel und das Ziel. Und ich wiederhole — kommt nicht in Frage, Charlie. Ohne eine gründliche Untersuchung bestätige ich nichts, was dem auch nur entfernt nahe kommt. Damit würde ich Ihnen Rechte einräumen, die Sie nicht haben dürfen: drei Gründe, einen Menschen zu
beseitigen. Kommt nicht in Frage!«
«Ich verlange von Ihnen nicht, daß Sie etwas bestätigen! Ich will nur wissen, ob es möglich ist. Um Himmels willen, Mo, da gibt es einen Mann, der förmlich als Mordmaschine ausgebildet ist und der mit einer Waffe herumläuft und Leute tötet, von denen er behauptet, er hätte sie nicht gekannt, aber mit denen er drei Jahre lang zusammengearbeitet hat. Er leugnet, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gewesen zu sein, obwohl seine Fingerabdrücke das beweisen. Er sagt, Bilder drängten sich in sein Bewußtsein — Gesichter, die er nicht unterbringen kann, Namen, die er gehört hat und von denen er auch nicht weiß, wo er sie gehört hat. Er behauptet, er sei nie der Lockvogel gewesen; er sei das nie gewesen! Aber er war es! Ist das möglich? Das ist alles, was ich wissen möchte. Könnte der Streß, die Länge der Zeit und die tägliche Belastung ihn so zerbrechen? Daß er in die Rolle dreier Persönlichkeiten schlüpft?«
Panov hielt einen Augenblick den Atem an.»Möglich ist es«, sagte er mit leiser Stimme.»Wenn Ihre Fakten zutreffen, ist es möglich. Das ist alles, was ich sage, weil es zu viele andere Möglichkeiten gibt.«
«Danke. «Conklin hielt inne.»Eine letzte Frage. Sagen wir, es gäbe da ein Datum — einen Monat und einen Tag — das in der konstruierten Akte eine bestimmte Bedeutung hatte — der Akte des Lockvogels.«
«Sie müssen sich schon deutlicher ausdrücken.«
«Bitte. Es war das Datum, an dem der Mann, dessen Identität für den Lockvogel ausgewählt wurde, getötet wurde.«
«Also offensichtlich nicht ein Teil der Arbeitsakte, aber Ihrem Mann bekannt. Ist es das, was Sie sagen wollen?«
«Ja, er kannte es. Wir wollen sagen, daß er dort war. Würde er sich erinnern?«
«Nicht als Lockvogel.«
«Aber als einer der beiden anderen?«
«Wenn wir annehmen, daß die Zielperson dieses Datum auch kannte oder es im Rahmen dieser Transferenz mitgeteilt hatte, dann ja.«
«Es gibt dann noch einen strategischen Ort, wo der Lockvogel geschaffen wurde. Wenn unser Mann sich in der Umgebung dieses Ortes aufhielte und der Todestag des Lockvogels sich zum soundsovielten Male jährte, würde er sich dann zu diesem Ort hingezogen fühlen? Würde er für ihn wichtig werden?«
«Ja, wenn er mit dem ursprünglichen Ort des Todes in Verbindung stand. Denn dort ist der Lockvogel geboren worden; es ist möglich. Es würde davon abhängen, wer er in diesem Augenblick ist.«
«Angenommen, er wäre die Zielperson?«
«Und würde den Ort kennen — Dann würde er sich hingezogen fühlen, das wäre ein unbewußter Zwang.«
«Warum?«
«Um den Lockvogel zu töten. Er würde jeden töten, der ihm vor die Augen kommt, aber sein Hauptziel wäre der Lockvogel. Er selbst.«
Alexander Conklin legte den Hörer auf die Gabel, sein Beinstumpf tat ihm weh, die Gedanken gingen in seinem Kopf so durcheinander, daß er die Augen schließen mußte, um sich zu konzentrieren. Er hatte in Paris unrecht gehabt… in einem Friedhof außerhalb von Paris. Er hatte einen Mann aus den falschen Gründen töten wollen, weil die richtigen Gründe sein Begriffsvermögen überstiegen. Er hatte es wirklich mit einem Wahnsinnigen zu tun. Jemandem, dessen Gebrechen sich nicht durch zwanzig Jahre Ausbildung erklären ließen, die man allerdings verstehen konnte, wenn man an all die Schmerzen, die Verluste, die endlose Gewalt dachte… die alle keinen Sinn abgaben. Niemand wußte wirklich etwas. Es war alles sinnlos. Ein Carlos ging in die Falle, wurde heute getötet, und morgen würde ein anderer an seine Stelle treten. Warum taten wir das… David?
David. Endlich spreche ich deinen Namen aus. Wir waren einmal Freunde, David… Delta. Ich kannte deine Frau und deine Kinder. Wir haben zusammen getrunken und ein paarmal zusammen zu Abend gegessen, auf irgendwelchen fernen Stationen in Asien. Du warst der beste Beamte des Außenministeriums im ganzen Orient. Jeder wußte das. Du warst im Begriff, zu einer Schlüsselfigur in der Politik, einer menschlicheren Politik, aufzusteigen. Es war eine Chance. Und dann passierte die Katastrophe. Im Mekong war es. Dann hast du dich auf die andere Seite geschlagen, David. Wir haben alle unsere Hoffnungen begraben müssen, aber nur einer von uns wurde Delta. In Medusa. So gut kannte ich dich nicht — ein paar Drinks und ein oder zwei gemeinsame Abendessen schaffen noch keine Vertrautheit — aber nur wenige von uns werden zu Tieren. Du bist eines geworden, Delta.
Und jetzt mußt du sterben. Niemand kann sich mehr leisten, dich am Leben zu lassen. Keiner von uns.
«Lassen Sie uns bitte allein«, sagte General Villiers zu seinem Adjutanten, als er sich in dem Cafe in Montmartre gegenüber von Marie St. Jacques an den Tisch setzte. Der Adjutant nickte und begab sich an einen zehn Schritte von der Nische entfernten Tisch; er hatte seinen Vorgesetzten alleine gelassen, hielt sich aber immer noch im Hintergrund. Villiers sah Marie an, Erschöpfung lag in seinen Augen.
«Warum haben Sie darauf bestanden, daß ich hierher komme? Er wollte, daß Sie Paris verlassen. Ich habe ihm mein Wort gegeben.«
«Paris verlassen und aus dem Rennen ausscheiden«, sagte Marie, der der Anblick des abgehärmten Gesichtes des alten Mannes naheging.»Es tut mir leid. Ich will Ihnen nicht auch noch eine Last sein. Ich habe die Berichte im Radio gehört.«
«Wahnsinn«, sagte Villiers und griff nach dem Cognac, den sein Adjutant für ihn bestellt hatte.»Drei Stunden mit der Polizei, drei Stunden, in denen ich eine schreckliche Lüge leben mußte, in denen ein Mann in seiner Abwesenheit für ein Verbrechen verurteilt wurde, das einzig und alleine das meine war.«
«Die Beschreibung war so genau, unheimlich genau. Niemand wird ihn verfehlen.«
«Er hat sie mir selbst gegeben. Er saß vor dem Spiegel meiner Frau und hat mir gesagt, was ich sagen sollte, hat sein eigenes Gesicht auf höchst seltsame Art betrachtet. Er sagte, das sei die einzige Möglichkeit. Carlos könnte nur überzeugt werden, wenn ich zur Polizei ginge und die Jagd auslöste. Er hatte natürlich recht.«
«Er hatte recht«, nickte Marie,»aber er ist nicht in Paris,
Brüssel, oder Amsterdam.«
«Wie bitte?«
«Ich möchte, daß Sie mir sagen, wohin er gegangen ist.«
«Das hat er Ihnen doch selbst gesagt.«
«Er hat mich belogen.«