Der General hielt inne.»Wir haben beide… Borowski… vor Jahren gekannt. Ich nehme an, Sie wissen, von woher; Sie haben mir den Namen vorgelesen. Er war der eigenartigste Mann, der mir je begegnet ist, genauso paranoid wie jeder in diesem Verein. Er hat Missionen übernommen — Risiken —, die kein vernünftiger Mann angenommen hätte. Aber er hat nie etwas verlangt. Er war voller Haß.«
«Und das machte ihn zehn Jahre später zu einem Kandidaten für ein psychiatrisches Krankenhaus?«
«Sieben Jahre«, verbesserte Crawford.»Ich habe zu verhindern versucht, daß er für Treadstone ausgewählt wurde. Aber der Mönch hat gesagt, er wäre der Beste. Ich hatte kein Argument dagegen, wenigstens aus meiner persönlichen Erfahrung. Aber ich habe aus meinen Einwänden keinen Hehl gemacht. Psychologisch war er ein Grenzfall; wir kannten die Gründe. Jetzt liefert er uns den Beweis, daß ich recht hatte. Darauf bestehe ich.«
«Auf gar nichts werden Sie bestehen, General. Auf Ihren eiserner Arsch werden Sie fallen. Weil der Mönch recht hatte. Ihr Mann ist der Beste, mit oder ohne Gedächtnis. Er bringt Carlos her, liefert ihn vor Ihre verdammte Haustüre. Das heißt, er bringt ihn, soforn Sie Borowski nicht vorher töten.«
Crawfords scharfer Atem war genau das, was der Direktor zu hören befürchtet hatte. So fuhr er fort:»Sie können Conklin nicht erreichen, oder?«fragte er.
«Nein.«
«Er ist untergetaucht, nicht wahr? Hat seine eigenen Vorkehrungen getroffen, Gelder durch Dritte und Vierte kanalisiert, die einander nicht kennen, so daß die Geldquelle nicht aufgedeckt werden kann und alle Verbindungen zur Agency und Treadstone verborgen sind. Und jetzt gibt es bereits Fotografien in den Händen von Männern, die Conklin nicht kennt und nicht erkennen würde, wenn sie ihn überfallen. Reden Sie nicht von Erschießungskommandos. Das Ihre ist aufmarschiert, aber Sie können es nicht sehen — Sie wissen nicht, wo es ist. Aber es ist vorbereitet — ein halbes Dutzend Karabiner, die schußbereit sind, sobald der Verurteilte in Sichtweite kommt. Schildere ich das Szenario richtig?«
«Sie erwarten doch von mir keine Antwort«, sagte Crawford.
«Das brauchen Sie nicht. Sie sprechen hier mit Consular Operations; mir ist alles das nicht neu. Aber in einem Punkt hatten Sie recht. Das ist Ihr Problem, Sie haben es voll am Hals. Wir haben damit nicht das geringste zu tun. Das kann ich dem Minister versichern. Das Außenministerium kann sich nicht leisten, zu wissen, wer Sie sind. Betrachten Sie diesen Anruf als unregistriert.«
«Verstanden.«
«Es tut mir leid«, sagte der Direktor aufrichtig. Er hörte die Niedergeschlagenheit in der Stimme des Generals.»Alles fliegt einmal auf.«
«Ja. Das haben wir bei Medusa gelernt. Was werden Sie mit der Frau machen?«
«Wir wissen noch nicht einmal, was wir mit Ihnen machen werden.«
«Das ist einfach. Eisenhower bei der Gipfelkonferenz: >Was für U-Zwos?< Wir machen mit; keine vorläufige
Zusammenfassung, nichts. Wir können dafür sorgen, daß die Kanadierin in Zürich reingewaschen wird.«
«Das werden wir ihr sagen. Vielleicht hilft das. Wir werden uns ringsum entschuldigen. Und was die Frau angeht, so werden wir es mit einer beträchtlichen Entschädigung versuchen.«
«Sind Sie sicher?« unterbrach Crawford.
«Mit der Entschädigung?«
«Nein. Der Amnesie. Ganz sicher?«
«Ich habe mir dieses Band wenigstens zwanzigmal angehört, ihre Stimme gehört. Ich bin mir in meinem ganzen Leben noch keiner Sache so sicher gewesen. Übrigens, sie ist vor ein paar Stunden eingetroffen. Sie ist jetzt im Pierre-Hotel unter Bewachung. Wir bringen sie morgen früh nach Washington, nachdem wir uns darüber klargeworden sind, was wir tun wollen.«
«Einen Augenblick!«Die Stimme des Generals klang plötzlich erregt.»Nicht morgen. Sie ist hier… Können Sie mir eine Genehmigung verschaffen, sie zu sehen?«
«Schaufeln Sie sich Ihr Grab nicht noch tiefer, General. Je weniger Namen sie kennt, desto besser. Sie war mit Borowski zusammen, als er die Botschaft anrief; sie weiß über den Ersten Sekretär und inzwischen wahrscheinlich auch über Conklin Bescheid. Könnte sein, daß selbst er dran glauben muß. Halten Sie sich raus.«
«Sie haben mir gerade gesagt, ich sollte es bis zum Ende weiterspielen.«
«Nicht so. Sie sind ein anständiger Mann, und ich bin das auch. Wir sind Profis.«
«Sie verstehen nicht! Wir haben Fotos, ja, aber die sind vielleicht nutzlos. Sie sind drei Jahre alt, und Borowski hat sich verändert, drastisch verändert, deshalb hat Conklin sich ja selbst eingeschaltet — wo, weiß ich nicht —, aber jedenfalls ist er dort. Er ist der einzige, der Borowski gesehen hat, aber es war Nacht und es regnete. Die Frau ist vielleicht unsere einzige Chance. Sie war mit ihm zusammen — hat wochenlang mit ihm gelebt. Sie kennt ihn. Es ist möglich, daß sie ihn vor irgend jemand anderem erkennen wird.«
«Ich verstehe nicht.«
«Dann will ich es Ihnen ganz deutlich sagen. Zu Borowskis vielen, vielen Talenten gehört die Fähigkeit, sein Aussehen zu verändern, in einer Menge unterzutauchen, oder in einem Feld oder zwischen Bäumen — einfach unsichtbar zu werden. Wenn das, was Sie sagen, zutrifft, erinnert er sich wahrscheinlich nicht, aber wir hatten bei Medusa einen Spitznamen für ihn. Seine Männer pflegten ihn… Chamäleon… zu nennen.«
«Das ist Ihr Cain, General.«
«Das war unser Delta. Es gab keinen wie ihn. Und deshalb kann die Frau helfen. Jetzt. Beschaffen Sie mir diese Genehmigung! Lassen Sie mich sie sehen, mit ihr sprechen.«
«Indem wir Ihnen die Genehmigung geben, ziehen wir Sie in die Sache rein. Ich glaube nicht, daß wir das tun können.«
«Um Himmels willen, Sie haben gerade gesagt, daß wir anständige Männer sind! Sind wir das wirklich? Wir können sein Leben retten! Vielleicht. Wenn sie mit mir zusammen ist, und wir ihn finden, können wir ihn dort herausholen!«
«Dort! Wollen Sie sagen, daß Sie wissen, wo er hingehen wird?«
«Ja.«
«Wie das?«
«Es gibt nur diesen einen Ort.«
«Und der Zeitpunkt?«fragte der ungläubige Direktor von Consular Operations.»Sie wissen, wann er dort sein wird?«»Ja. Heute. Am Datum seiner eigenen Hinrichtung.«
Kapitel 35
Aus dem Transistorradio hallte blechern Rockmusik, und der langhaarige Fahrer des Taxis schlug mit der Hand im Takt gegen das Steuerrad und wippte zu allem Überfluß auch noch mit dem Kinn. Das Taxi schob sich auf der Einundsiebzigsten Straße in östlicher Richtung dahin, in den Stau verkeilt, der schon an der Ausfahrt des Hast River Drive begann. Es kam zu Wutausbrüchen vereinzelter Autofahrer, wenn Motoren durchdrehten und einzelne Wagen wieder ein paar Zoll nach vorne ruckten, um dann erneut minutenlang zu stehen und zu warten. Es war acht Uhr fünfundvierzig morgens, und der Straßenverkehr in New York war wie gewöhnlich ein Fiasko.
Borowski zwängte sich auf dem Rücksitz in die Ecke und starrte unter der Hutkrempe durch die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille auf die von Bäumen gesäumte Straße hinaus. Er war schon hier gewesen; das hatte sich ihm unauslöschbar eingeprägt. Er war auf diesem Pflaster gegangen, hatte die Eingänge, die Läden und die mit Efeu bedeckten Mauern gesehen — die in diese Stadt eigentlich gar nicht paßten, der Einundsiebzigsten Straße aber einen noblen Anstrich gaben. Er hatte schon früher nach oben geblickt und die Dachgärten bemerkt und sie mit einem gepflegten Garten verglichen, der ein paar Straßen entfernt war in Richtung auf den Centralpark, einem Garten, der hinter den zeitlos eleganten französischen Türen am anderen Ende eines großen… komplizierten… Raumes lag. Und jener Raum befand sich in einem hohen, schmalen Gebäude aus braunem Backstein mit einer Reihe breiter, bleiverglaster Fenster, die sich vier Stockwerke über die Straße nach oben fortsetzten. Fenster aus dickem Glas, die das Licht in feinen Schattierungen von Purpur und Blau nach drinnen und draußen brachen. Antikes Glas vielleicht, Ornamentglas… kugelsicheres Glas. Eine Backsteinvilla mit einer massiven Außentreppe, die aus seltsamen Stufen bestand. Jede Trittfläche war kreuz und quer von schwarzen Erhebungen durchzogen, die ein Ausgleiten auf nassem oder vereistem Boden unmöglich machten. Außerdem lösten die Schritte von jemandem, der hinaufging, im Inneren des Hauses