eine elektronische Warnanlage aus.
Jason kannte jenes Haus. Das Klopfen in seiner Brust wurde heftiger, als sie die Straße erreichten. Er würde das Haus jetzt jeden Augenblick sehen, und während er mit seiner Rechten das linke Handgelenk umklammerte, wußte er, weshalb Parc Monceau so viele Erinnerungen in ihm ausgelöst hatte. Jenes kleine Stückchen Paris glich diesem kurzen Straßenzug an der oberen East Side so sehr. Sah man einmal von der einen oder anderen deplazierten weiß gestrichenen Fassade oder einem ungepflegten Vorgarten ab, wäre der Unterschied überhaupt nicht festzustellen gewesen.
Er dachte an Andre Villiers. Er hatte alles niedergeschrieben, woran er sich erinnern konnte, hatte alles in die Seiten eines Heftes geschrieben, das er hastig am Charles-de-Gaulle-Flughafen gekauft hatte. Vom ersten Augenblick, an dem ein lebender, von Kugeln durchsiebter Mann in einem feuchten, schlampigen Zimmer auf der Ile de Port Noir die Augen geöffnet hatte, über die erschreckenden Offenbarungen von Marseille, Zürich und Paris — ganz besonders Paris, wo das Phantom des Meuchelmörders Gestalt angenommen hatte, wo sich herausgestellt hatte, daß er über die Erfahrungen eines Killers verfügte. Wie man es auch betrachtete, es war ein Geständnis, die Dinge, die es nicht erklären konnte, waren ebenso niederdrückend wie die tatsächlichen Vorfälle. Aber es war die Wahrheit, so wie er die Wahrheit kannte. In den Händen von Andre Villiers würde es seine Anwendung finden; für Marie St. Jacques würden die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Dieses Wissen verschaffte ihm jetzt freie Hand. Er hatte das Heft in einen Umschlag gesteckt, diesen verklebt und ihn noch vom Kennedy-Flughafen aus nach Parc Monceau geschickt. Bis das Heft Paris erreichte, war er tot oder lebendig wie noch nie; entweder er würde Carlos töten oder Carlos würde ihn töten. Irgendwo auf jener Straße — die einer anderen, Tausende von Meilen entfernten Straße glich — würde ein Mann, dessen breite Schultern auf schmalen Hüften saßen und dessen Haut olivfarben war, auf ihn Jagd machen. Das war das einzige, dessen er sich völlig sicher war; und er würde nichts anderes tun. Irgendwo auf jener Staße…
Da war es! Dort, die Morgensonne spiegelte sich in der schwarz lackierten Türe und den glänzenden Messingbeschlägen, durchdrang die dicken, bleiverglasten
Fenster, die sich wie eine breite Säule aus glänzendem, purpurnem Blau in die Höhe reckten. Er war hier, und zwar aus einem Grund — aus einem Gefühl — das er sich nicht erklären konnte. Seine Augen begannen zu tränen, und er spürte, wie ihm die Kehle schwoll. Er fühlte, daß er an einen Ort zurückgekehrt war, der ebenso Teil seiner selbst war wie sein Körper oder das, was von seinem Bewußtsein übriggeblieben war. Kein Zuhause; wenn man die elegante Villa ansah, vermittelte sie nicht Wohlbehagen, nicht Beschaulichkeit. Es war etwas anderes — ein überwältigendes Gefühl der — Rückkehr. Er war zum Anfang zurückgekehrt, dem Anfang, zum Ort des Beginns und der Schöpfung, der schwarzen Nacht und des hervorbrechenden Morgens. Irgend etwas geschah mit ihm, er umfaßte sein Handgelenk fester, mühte sich verzweifelt ab, den fast unkontrollierbaren Drang unter Kontrolle zu halten, aus dem Taxi zu springen und über die Straße auf jenes monströse stumme Gebilde aus Stein und blauem Glas zu rennen, die Treppen hinauf zustürzen und mit der Faust gegen die schwere schwarze Türe zu schlagen.
Laßt mich hinein! Ich bin hier! Ihr müßt mich hineinlassen! Könnt ihr nicht verstehen?
ICH BIN DA!
Bilder stürmten auf ihn ein, dumpfe Geräusche drangen in seine Ohren. Ein bohrender, pochender Schmerz explodierte förmlich in seinen Schläfen. Er befand sich in einem dunklen Raum — jenem Raum — starrte wie auf eine Leinwand, sah Bilder in rasender Folge auf und ab blitzen.
Wer ist er? Schnell. Du kommst zu spät! Du bist ein toter Mann. Wo ist diese Straße? Was bedeutet sie dir? Wem bist du dort begegnet? Was? Gut. Es muß ganz einfach bleiben; sag so wenig wie möglich. Hier ist eine Liste: acht Namen. Welches davon sind Kontakte? Schnell! Hier ist noch eine. Methoden, Morde, zu vergleichen. Welches sind die deinen?… Nein, nein, nein! Delta könnte das tun, nicht Cain! Du bist nicht
Delta, du bist nicht du! Du bist Cain. Du bist ein Mann
namens Borowski. Jason Borowski! Konzentriere dich! Du
mußt alles andere löschen. Du mußt die Vergangenheit
wegwischen. Sie existiert für dich nicht. Du bist nur das, was du hier bist, hier geworden bist.
O Gott. Marie hatte es gesagt.
Vielleicht weißt du nur, was man dir gesagt hat… dir immer wieder und wieder eingehämmert hat. Bis da nichts anderes mehr war — Dinge, die man dir gesagt hat… die du aber nicht nachleben kannst… weil diese Dinge fremd sind, nicht du sind.
Der Schweiß rann ihm über das Gesicht, brannte in seinen Augen, und er umklammerte sein Handgelenk, versuchte, den Schmerz, die Geräusche, die Lichtblitze zu verdrängen. Er hatte Carlos geschrieben, daß er zurückkäme, um verborgene Dokumente abzuholen, die sein…»letzter Schutz «wären. Damals war ihm der Satz schwach vorgekommen; beinahe hätte er ihn ausgestrichen. Und doch hatte sein Instinkt ihm gesagt, daß er ihn stehenlassen mußte; er war irgendwie Teil seiner Vergangenheit… Jetzt verstand er. Seine Identität lag in jenem Haus. Seine Identität. Und ob Carlos ihm nun folgte oder nicht, er mußte sie finden. Das mußte er!
Plötzlich war alles wie verhext! Er schüttelte heftig den Kopf, versuchte diese innere Stimme, die aus ihm hervorbrach, zum Schweigen zu bringen. Vergiß Carlos. Vergiß die Falle. Du mußt in dieses Haus gehen! Dort war es; dort war der Anfang!
Hör auf!
Die Ironie des Ganzen war makaber. In jenem Haus gab es keinen letzten Schutz, nur eine letzte Erklärung für seine Person. Und ohne Carlos war diese Erklärung bedeutungslos. Jene, die Jagd auf ihn machten, kannten sie und beachteten sie nicht; sie wollten seinen Tod, wollten seinen Tod, weil sie die Erklärung kannten, die er nicht kannte, aber er war so nahe… er mußte sie finden. Sie war hier.
Borowski blickte auf; der langhaarige Fahrer beobachtete ihn im Rückspiegel.»Migräne«, sagte Jason kurz angebunden.»Fahren Sie um den Block herum. Noch einmal hierher. Ich bin verabredet, aber zu früh dran. Ich sage Ihnen, wo Sie mich aussteigen lassen sollen.«
«Ist ja Ihr Geld, Mister.«
Der Backsteinbau lag jetzt hinter ihnen, war in einer kurzen, plötzlichen Lockerung des Verkehrs schnell vorübergezogen. Borowski drehte sich im Sitz herum und blickte durch das Hinterfenster auf das Haus. Er war jetzt wieder ruhig. Die Bilder verschwanden; nur der Schmerz blieb, aber auch der würde nachlassen, das wußte er. Jetzt würde das Chamäleon in ihm wach werden.
Sechzehn Minuten später hatte sich alles verändert. Der Verkehr auf der Straße war langsamer geworden, ein weiteres