schließlich genug dafür bezahlt.
«Sehen Sie diesen Mann dort unten in dem schwarzen Mantel, der vor der Türe steht?«fragte er.
«Ich sehe ihn. Er ist nicht der, den wir suchen. Er ist zu alt.«
«Gehen Sie hinüber und sagen Sie ihm, daß auf der anderen Straßenseite ein Krüppel ist, der ihn sprechen möchte.«
Borowski trat aus dem Gebrauchtkleiderladen an der Third Avenue und hielt kurz vor dem schmutzigen Schaufenster, um seine Erscheinung zu überprüfen. So würde es gehen; alles paßte zusammen. Der schwarze Strickhut bedeckte seinen Kopf bis mitten in die Stirn; die zerdrückte, mehrfach geflickte Militärjacke war ein paar Größen zu groß, das rotkarierte Flanellhemd, die weiten Khakihosen und die schweren Arbeitsschuhe mit den dicken Gummisohlen und den kräftigen abgerundeten Kappen paßten zusammen. Jetzt mußte er nur noch einen Gang finden, der zur Kleidung paßte. Den Gang eines kräftigen, etwas primitiven Mannes, dessen Körper angefangen hatte, die Auswirkungen eines Lebens körperlicher Anstrengung zu zeigen, der die tägliche schwere Arbeit als unvermeidbar akzeptierte, solange nur der Abend Belohnung in Gestalt von ein paar Dosen Bier brachte.
Er würde schon diese Gangart finden; das war kein Problem. Er mußte nur noch einen Telefonanruf erledigen; er sah schon aus der Ferne eine Zelle, unter deren verkratztem Blechtisch sogar ein zerfetztes Telefonbuch hing. Er setzte sich in Bewegung, und seine Beine wurden automatisch steifer, seine Füße drückten sein Gewicht auf das Pflaster und die Arme hingen schlaff von den Schultern, seine Finger waren leicht gespreizt, von Jahren der Plackerei gebogen. Der stumpfsinnige Gesichtsausdruck würde später kommen. Nicht jetzt.
«Belkins Umzüge und Lagerhäuser«, meldete sich eine Telefonistin irgendwo in der Bronx.
«Mein Name ist Johnson«, sagte Jason ungeduldig, aber freundlich.»Ich fürchte, ich habe da ein Problem und hoffe, daß Sie mir dabei helfen können.«
«Das will ich gern versuchen. Was kann ich für Sie tun?«
«Ich wollte gerade das Haus eines Freundes an der Einundsiebzigsten Straße besuchen — eines Freundes, der leider kürzlich starb —, um mir etwas abzuholen, was ich ihm geliehen hatte. Als ich hinkam, stand Ihr Möbelwagen vor dem
Haus. Mir ist das richtig peinlich, aber ich fürchte, daß Ihre Männer mein Eigentum wegtragen werden. Gibt es da jemanden, den ich sprechen könnte?«
«Da mußte ich Ihnen einen Sachbearbeiter geben, Sir.«
«Sagen Sie mir bitte seinen Namen?«
«Was?«
«Seinen Namen.«
«Sicher. Murray. Murray Schumach. Ich verbinde Sie.«
Es klickte zweimal, und dann war eine Weile ein tiefes Summen in der Leitung zu hören.
«Schumach.«
«Mr. Schumach?«
«Am Apparat.«
Borowski wiederholte sein Anliegen.»Ich könnte mir natürlich leicht einen Brief von meinem Rechtsanwalt besorgen, aber der betreffende Gegenstand hat nur geringen Wert — «
«Was ist es denn?«
«Eine Angel. Keine teure, aber es ist eine altmodische Rolle daran, eine von der Art, die sich nicht alle fünf Minuten verwirrt.«
«Yeah, ich weiß schon, was Sie meinen. Ich gehe immer in der Sheepshead-Bucht zum Fischen. Heute machen die wirklich keine solchen Rollen mehr. Wahrscheinlich sind das die Metallegierungen.«
«Ja, da werden Sie wohl recht haben, Mr. Schumach. Ich weiß genau, in welchem Schrank er die Angel immer aufbewahrt hat.«
«Ach, was soll's — eine Angel. Gehen Sie einfach hinein und verlangen Sie Dugan. Er ist der Vorarbeiter. Sagen Sie ihm, Sie hätten mit mir gesprochen, und ich sei einverstanden. Aber Sie müssen eine Quittung unterschreiben. Wenn er Ihnen Schwierigkeiten macht, dann sagen Sie ihm, er soll mich anrufen. Von einer Zelle aus. Das Telefon dort ist schon abgeklemmt.«
«Ein Mr. Dugan. Vielen Dank, Mr. Schumach.«
«Herrgott, ich dreh' heut noch durch!«
«Wie bitte?«
«Nichts. Irgend so ein Idiot hat angerufen und gesagt, wir sollten dort verschwinden. Und dabei ist das ein fester Auftrag mit Bargeldgarantie. Können Sie sich das vorstellen?«
Carlos. Jason konnte es sich vorstellen.
«Es ist schwierig, Mr. Schumach.«
«Petri Heil«, sagte der Mann von Belkins.
Borowski ging auf der Siebzigsten Straße in westlicher Richtung auf die Lexington Avenue zu. Drei Straßen weiter südlich fand er das, was er suchte: ein Geschäft, das alte Uniformen und Militärutensilien verkaufte. Er ging hinein.
Acht Minuten später kam er wieder mit vier braunen Decken und sechs breiten Segeltuchgurten mit Metallschnallen heraus. In den Taschen seiner Militärjacke steckten zwei ganz gewöhnliche Straßenfackeln. Er hatte sie auf der Theke liegen sehen. Sie erinnerten ihn an irgend etwas; aber er wußte nicht an was. Er schlang sich seine Käufe über die linke Schulter und marschierte weiter auf die Einundsiebzigste Straße zu. Das Chamäleon näherte sich dem Dschungel, einem Dschungel, der ebenso dicht war, wie Tam Quan, damals vor vielen Jahren.
Es war zehn Uhr achtundvierzig, als er die Ecke des von Straßen gesäumten Häuserblocks erreichte, der die Geheimnisse von Treadstone Seventy-One enthielt. Er kehrte zum Anfang zurück — seinem Anfang — und die Furcht, die er empfand, war nicht die Furcht vor körperlichem Unbill. Darauf war er vorbereitet, jede Sehne, jeder Muskel war gespannt; seine Knie und Füße, seine Hände und Ellbogen warteten auf den Augenblick, wo seine Augen die Gefahr registrierten und der Kampf beginnen konnte. Seine Furcht ging viel tiefer. Er war im Begriff, den Ort seiner Geburt zu betreten, und davor hatte er panische Angst.
Hör auf! Die Falle ist alles. Cain ist für Charlie, und Delta ist für Cain!
Der Verkehr war wesentlich dünner geworden, die Rushhour war vorüber, langsam breitete sich vormittägliche Ruhe in der Straße aus. Fußgänger schlenderten jetzt dahin, eilten nicht mehr; Autos bogen gemächlich um den Umzugswagen herum, und anstelle ärgerlicher Huptöne gab es jetzt nur noch ärgerliche Gesichter. Jason überquerte die Straße, als die Ampel auf Grün schaltete, und ging zur Treadstone-Seite hinüber; der hohe, schmale Bau aus braunem, ausgezacktem Backstein und dickem, blauem Glas war fünfzig Meter weiter unten an der Straße. Mit Decken und Gurten über der Schulter trottete ein etwas dümmlicher Taglöhner hinter einem gutgekleideten Paar schwerfällig auf das Haus zu.
Er erreichte die Betonstufen, als gerade zwei muskulöse
Männer, ein Weißer und ein Schwarzer, eine in Decken gehüllte Harfe zur Tür hinaustrugen. Borowski blieb stehen und rief den beiden etwas zu. Seine Stimme klang stockend und sein Dialekt breit.
«Hey! Wo ist Dooganl«
«Wo denkste wohl?«erwiderte der Weiße und drehte den Kopf halb zur Seite.»Der hockt irgendwo rum.«
«Der nimmt doch nichts in die Pfoten, was schwerer is' als 'n Block«, fügte der Schwarze hinzu.»Er is' ja Chef, was, Joey?«
«'n Arschlosch is' er. Was has'n da?«
«Schumach hat mich geschickt«, sagte Jason.»Er wollte noch 'n Mann hier und hat sich gedacht, ihr könntet das Zeug da gebrauchen. Hat mir gesagt, ich soll's herbringen.«
«Der schöne Murray!«lachte der Neger.»Bist du ein Neuer, Mann? Hab' dich noch nie gesehen.«
«Mhm.«
«Dann bring doch den Scheiß zum Chef«, brummte Joey und setzte sich in Bewegung.»Der kann's dann verteilen, nicht wahr, Pete?«
Borowski ging die rötlich-braunen Stufen hinauf, vorbei an den zwei Arbeitern, auf die Türe zu. Er trat ein und sah die Wendeltreppe zur Rechten und den langen, schmalen Korridor vor ihm, der zu einer weiteren Türe führte, die dreißig Fuß entfernt lag. Tausendmal war er diese Stufen hinaufgestiegen und viele tausend Male den Korridor entlanggegangen, so wie jetzt. Er war zurückgekommen, und ein unbeschreibliches Gefühl der Angst zog ihm die Kehle zusammen. Er konnte die Sonnenstrahlen sehen, die in der Ferne durch französische Türen hereinfielen. Er näherte sich dem Raum, wo Cain geboren worden war. Jenem Raum. Er klammerte sich an den Gurten fest, die er sich über die Schulter gelegt hatte, und versuchte, dem Zittern Einhalt zu gebieten, das ihn durchlief.