«Danke. Jetzt muß ich, fürchte ich, einen großen Teil dieses Geldes überweisen und brauche dazu Ihre Hilfe.«
«Gerne. Ich freue mich, Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können.«
Borowski griff nach dem Glas Perrier.
Die Stahltür von Apfels Büro schloß sich; binnen weniger Sekunden würde der Patient die geschmackvoll eingerichtete Zelle, die das Vorzimmer war, verlassen, in die Empfangshalle hinaustreten und zu den Lifts hinübergehen. Binnen Minuten würde er wieder auf der Bahnhofstraße stehen, mit einem Namen, einem riesigen Batzen Geld, immer noch ein wenig ängstlich und verwirrt sein.
Er hatte es getan. Dr. Geoffrey Washburn hatte eine Summe erhalten, die weit über den Wert des Lebens hinausging, das er gerettet hatte. Eine Telexüberweisung in Höhe von 1.500.000 Schweizer Franken war an eine Bank in Marseille adressiert worden, zugunsten eines Kennwort-Kontos. Und schließlich würde das Geld in die Hände des Arztes von Ile de Port Noir gelangen, ohne daß Washburns Name auch nur ein einziges Mal benutzt wurde. Washburn brauchte nur nach Marseille zu reisen, das Kennwort zu nennen, und das Guthaben würde ihm gehören. Borowski lächelte und versuchte sich Washburns Gesichtsausdruck auszumalen, wenn ihm das Kontoblatt übergeben wurde. Der exzentrische Alkoholiker wäre schon mit zehn- oder fünfzehntausend Pfund überglücklich gewesen; nun erhielt er fast eine Million Dollar. Das würde entweder seine Heilung oder seine Vernichtung garantieren; aber das war seine Entscheidung, sein Problem.
Eine zweite Überweisung in Höhe von 4.500.000 Franc wurde an eine Bank in Paris an der Rue Madeleine vorgenommen und dort für Jason C. Borowski gutgeschrieben. Der Betrag würde von dem Kurier der Gemeinschaftsbank, der zweimal die Woche nach Frankreich reiste, überbracht werden, dazu mehrere Unterschriftsproben des Kunden. Herr Koenig hatte seinen Vorgesetzten und dem Klienten versichert, daß die Papiere in drei Tagen in Paris sein würden.
Die letzte Transaktion war vergleichsweise bescheiden. Apfel ließ einhunderttausend Franc in großen Scheinen in sein Büro bringen. Der Auszahlungsbeleg wurde mit der Nummernunterschrift des Kontobesitzers quittiert.
Auf dem Konto bei der Gemeinschaftsbank blieben
1.400.000 Schweizer Franken, keineswegs eine geringe Summe.
Der ganze Vorgang hatte eine Stunde und zwanzig Minuten in Anspruch genommen, und die ansonsten reibungslose Prozedur war nur von einem Mißklang beeinträchtigt worden, den Koenig verursacht hatte. Er hatte Apfel angerufen, war eingelassen worden und hatte seinem Vorgesetzten einen kleinen, schwarz geränderten Umschlag gebracht.
«Une fiche«, hatte er in französischer Sprache gesagt.
Der Bankier hatte den Umschlag geöffnet, ihm eine Karte entnommen, den Inhalt studiert und beides Koenig mit dem Kommentar zurückgegeben:»Wird vorschriftsmäßig erledigt.«
Daraufhin war Koenig hinausgegangen.
«Betraf das mich?«hatte Borowski gefragt.
«Nur wenn so große Beträge freigegeben werden. Vorschrift unseres Hauses. «Der Bankier hatte beruhigend gelächelt.
Das Schloß klickte. Borowski öffnete die Tür mit der Milchglasscheibe und trat in Herrn Koenigs persönliches Reich hinaus. Zwei weitere Männer waren eingetroffen; sie saßen auf gegenüberstehenden Sesseln in der Empfangshalle. Da sie sich nicht in separaten Zellen hinter Milchglasfenstern befanden, vermutete Borowski, daß keiner der beiden Männer ein DreiNull-Konto besaß. Er fragte sich, ob sie wohl Namen geschrieben oder Nummernreihen angegeben hatten, hörte aber auf, darüber nachzudenken, als er den Lift erreichte und den Knopf drückte.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung. Koenig hatte den Kopf etwas zur Seite gelegt und beiden Männern zugenickt. Sie erhoben sich, als die Lifttür sich öffnete. Borowski drehte sich herum; der Mann zur Rechten hatte ein kleines Sprechfunkgerät aus der Manteltasche genommen und murmelte kurze Sätze in das eingebaute Mikrophon.
Der Mann zur Linken hielt die rechte Hand unter dem Stoff seines Trenchcoats verborgen. Als er sie herauszog, hatte sie eine schwarze Automaticpistole umklammert, auf deren Lauf ein durchlöcherter Zylinder gesteckt war: ein Schalldämpfer.
Die beiden Männer gingen auf Borowski zu, als er sich rückwärts in den Lift schob.
Der Wahnsinn begann.
Kapitel 5
Der Mann mit dem tragbaren Sprechfunkgerät befand sich bereits in der Kabine, als sich sein bewaffneter Begleiter mit den Schultern zwischen die sich schließenden Lifttüren zwängte, wobei die Waffe auf Borowskis Kopf zielte. Jason duckte sich nach rechts und schleuderte ohne Vorwarnung den linken Fuß vom Boden hoch, drehte sich gleichzeitig blitzschnell, so daß sein Absatz gegen die Hand des Schützen prallte. Die Pistole schoß in die Höhe und der Mann fiel zurück in den Flur. Zwei gedämpfte Schüsse fielen, bevor sich die Lifttüren zusammenschoben. Die Kugeln bohrten sich in das dicke Holz der Kabinendecke. Borowski vollendete seine Kreiselbewegung und trieb dem zweiten Mann die Schulter in den Leib. Er quetschte den Mann brutal gegen die Wand. Das Funkgerät flog polternd zu Boden. Worte drangen aus dem Lautsprechergitter:»Henri? Was ist passiert?«
Plötzlich kam Jason das Bild eines anderen Franzosen in den Sinn: Ein Mann am Rande der Hysterie, die Augen vor Entsetzen geweitet, ein verhinderter Killer, der vor weniger als vierundzwanzig Stunden aus dem >Le Bouc de Mer< hinausgerannt war, in die Dunkelheit der Rue Sarrasin. Jener Mann hatte keine Zeit vergeudet, seine Nachricht nach Zürich zu schicken: Der von ihnen Totgeglaubte lebte! Und wie er lebte. Tötet ihn!
Borowski packte den Franzosen und drückte den linken Arm gegen die Kehle des Mannes, während seine rechte Hand an dessen linkem Ohr zerrte.»Wie viele?«fragte er auf Französisch.»Wie viele sind dort unten? Wo sind sie?«
«Schau doch nach, du Schwein!«
Die Liftkabine befand sich auf halbem Weg zur Empfangshalle im Erdgeschoß.
Jason drückte das Gesicht des Mannes nach unten, riß ihm dabei fast das Ohr ab und schmetterte seinen Kopf gegen die Wand. Der Franzose schrie auf und sank zu Boden. Borowski rammte ihm das Knie gegen die Brust; er konnte das Halfter fühlen. Er riß den Mantel auf, griff hinein und holte einen kurzläufigen Revolver heraus. Der Besitz der. Waffe gab ihm das Gefühl der Sicherheit. Kurz überlegte er: Koenig. Er würde sich erinnern; soweit es Herrn Koenig betraf, gab es für ihn keine Amnesie. Er rammte dem Franzosen den Lauf der Waffe in den offenen Mund.
«Raus damit, oder ich blase dir den Schädel weg!«Der Mann stieß ein halbersticktes Geräusch aus; Borowski zog die Waffe zurück und richtete den Lauf auf die Wange.
«Zwei. Einer bei den Lifts, einer draußen auf dem Bürgersteig beim Wagen.«
«Was für ein Auto?«
«Peugeot.«
Die Liftkabine verlangsamte jetzt ihre Fahrt.
«Farbe?«
«Braun.«
«Der Mann in der Halle, was trägt er?«
«Ich weiß nicht… «
Jason hieb dem Mann den Revolver gegen die Schläfe.»Sie sollten sich erinnern!«
«Einen schwarzen Mantel.«
Die Liftkabine kam zum Stillstand. Borowski zog den Franzosen in die Höhe; die Türen öffneten sich. Zur Linken trat ein Mann in einem dunklen Regenmantel nach vorne auf sie zu, der eine seltsame, goldgeränderte Brille trug. Die Augen hinter den Brillengläsern begriffen; dem Franzosen tropfte Blut von der Wange. Er hob die unsichtbare Hand, die die Tasche seines Regenmantels verbarg, und eine Automaticpistole mit Schalldämpfer richtete sich auf Borowski.
Jason stieß den Franzosen vor sich her durch die Tür. Drei schnelle, spuckende Laute waren zu hören; der Franzose schrie, die Arme erhoben. Dann krümmte sich sein Rücken und er fiel auf den Marmorboden. Eine Frau schrie, und dann riefen ein paar Männerstimmen:»Hilfe«—»Polizei!«