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Borowski wußte, daß er den Revolver, den er dem Franzosen abgenommen hatte, nicht benutzen konnte. Er besaß keinen Schalldämpfer; ein Schuß würde ihn verraten. Er schob die Waffe in die Manteltasche, trat seitlich an der schreienden Frau vorbei und packte den Uniformierten, der die Liftanlage überwachte, an der Schulter. Er riß den verwirrten Mann herum und stieß ihn gegen den Killer in dem dunklen Regenmantel.

Die Panik in der Halle nahm zu, während Jason auf die

Glastüren des Eingangsportals zu rannte. Der Empfangschef, der ihn vor eineinhalb Stunden begrüßt hatte, schrie in ein Wandtelefon. Er hatte einen uniformierten Wächter neben sich. Der Mann hatte die Waffe gezogen und verbarrikadierte den Ausgang, die Augen wie gebannt auf ihn gerichtet. Plötzlich war es ein Problem, hier rauszukommen. Borowski wich den Augen des Wachmanns aus und rief dem Empfangschef zu:»Der Mann mit der goldgeränderten Brille, der ist es! Ich habe es gesehen.«

«Was? Wer sind Sie?«

«Ich bin ein Freund von Walther Apfel. Hören Sie mir zu! Der Mann mit der goldgeränderten Brille im schwarzen Regenmantel. Dort drüben?«

Die Erwähnung eines Vorgesetzten wirkte Wunder.

«Herr Apfel!«Der Mann vom Empfang wandte sich dem Uniformierten zu.»Los, der Mann mit der Brille, einer goldgeränderten Brille!«

«Jawohl!«Der Wachmann rannte los.

Jason lief auf die Glastüre zu. Er öffnete den rechten Flügel, sah sich um und zögerte; denn er wußte nicht, ob der Mann, der draußen neben einem braunen Peugeot wartete, ihn erkennen und eine Kugel auf ihn abfeuern würde.

Der Wachposten war an einem Mann im schwarzen Regenmantel vorbeigerannt, der langsamer ging als die von Panik erfüllten Gestalten rings um ihn und keine Brille trug. Kurz vor dem Ausgang beschleunigte er sein Tempo und strebte auf Borowski zu.

Das zunehmende Chaos auf dem Bürgersteig war Jasons Schutz. Irgend jemand hatte Alarm geschlagen; mit heulenden Sirenen rasten die Polizeiautos die Bahnhofstraße herauf. Er ging ein paar Meter nach rechts, von Fußgängern flankiert, und rannte plötzlich los, zwängte sich in eine neugierige Menschenmenge, suchte in einer Ladennische Schutz, von wo aus er die Wagen am Straßenrand beobachtete. Er sah den Peugeot, sah den Mann, der neben dem Peugeot stand, die rechte Hand in der Manteltasche. In weniger als fünfzehn Sekunden hatte der Mann im schwarzen Regenmantel den Fahrer des Wagens erreicht. Die beiden besprachen sich schnell und suchten dann die Bahnhofstraße ab.

Borowski begriff ihre Verwirrung. Er war ohne jede Panik aus dem Eingangsportal der Gemeinschaftsbank gekommen und in der Menge untergetaucht. Er war auf alle Fälle darauf vorbereitet gewesen, zu rennen, aber er war dann doch nicht gerannt, einfach aus Angst, sonst den Verdacht auf sich zu lenken. So hatte der Fahrer des Peugeot die Verbindung nicht herstellen können. Er hatte die Zielperson nicht erkannt, die man in Marseille identifiziert und zur Exekution freigegeben hatte.

Der erste Polizeiwagen hielt vor der Bank, als der Mann mit der goldgeränderten Brille gerade den Mantel auszog und ihn durch das offene Fenster des Peugeot schob. Er nickte dem Fahrer zu, der sich hinter das Lenkrad setzte und den Motor anließ. Und dann tat der Mann etwas, womit Jason am allerwenigsten gerechnet hatte. Er eilte auf die Glastüren der Bank zu und schloß sich den Polizeibeamten an, die hineinrannten.

Borowski verfolgte, wie der Peugeot vom Randstein wegschoß und die Bahnhofstraße hinunterjagte. Menschentrauben umlagerten das gläserne Eingangsportal der Bank. Schaulustige streckten die Hälse und spähten hinein. Ein Polizeibeamter kam heraus und winkte die Neugierigen zurück. Jetzt jagte ein Krankenwagen um die Ecke, die Sirene heulte, warnte alle, Platz zu machen; der Fahrer stoppte sein Fahrzeug an der Stelle, wo der Peugeot geparkt hatte. Jason konnte nicht länger zusehen. Er mußte zurück zum >Carillon du Lac<, seine Sachen packen und schleunigst aus der Schweiz verschwinden. Sein Ziel hieß Paris.

Weshalb Paris? Warum hatte er darauf bestanden, daß das Geld ausgerechnet nach Paris überwiesen wurde? Die Idee war ihm erst in den Sinn gekommen, als er in Apfels Büro saß, von den gigantischen Summen wie benommen. Sie hatten alles weit überstiegen, was er sich ausgemalt hatte. Es war so viel, daß er nur instinktiv reagieren konnte. Und sein Instinkt hatte ihn nach Paris gewiesen, so als ob das irgendwie lebenswichtig wäre. Aber weshalb?

Doch darüber nachzugrübeln war jetzt nicht die Zeit. Er sah, wie zwei Sanitäter mit einer Bahre aus der Bank kamen. Eine reglose Gestalt lag darauf. Man hatte ihr den Kopf bedeckt; das bedeutete, daß es sich um einen Toten handelte. Borowski begriff sehr wohl, daß er, wenn er nicht gewisse Fertigkeiten besessen hätte, der tote Mann auf der Bahre gewesen wäre.

Er sah ein leeres Taxi an der Straßenecke und rannte darauf zu. Er mußte Zürich sofort verlassen; eine Nachricht war aus

Marseille eingegangen, aber der tote Mann lebte. Jason Borowski lebte! Tötet ihn! Tötet Jason Borowski!

Um Himmels willen, warum?

Er hoffte, den stellvertretenden Empfangschef des >Carillon du Lac< hinter dem Tresen vorzufinden, aber er war nicht da. Dann fiel ihm ein, daß eine kurze schriftliche Nachricht an den Mann — wie hieß er doch? Stössel? Ja, Stössel — ausreichen würde. Eine Erklärung für seine plötzliche Abreise war nicht mehr erforderlich, und fünfhundert Franken würden spielend für ein paar Stunden ausreichen — und für die Gefälligkeit, die er von Herrn Stössel erbitten würde.

In seinem Zimmer warf er sein Rasierzeug in den Koffer, überprüfte die Pistole, die er dem Franzosen abgenommen hatte, schob sie wieder in die Manteltasche und setzte sich an den Sekretär, um die Notiz für Herrn Stössel zu schreiben. Er fügte einen Satz hinzu, der ihm leicht aus der Feder floß — fast zu leicht:»Ich werde mich vielleicht mit Ihnen bezüglich der Post in Verbindung setzen, die man mir wahrscheinlich ins Hotel geschickt hat. Ich hoffe, es ist Ihnen möglich, darauf zu achten und die Briefe für mich in Empfang zu nehmen.«

Sollte irgendeine Mitteilung von der geheimnisvollen Treadstone Seventy-One kommen, wollte er davon erfahren. Bei einem Schweizer Hotel konnte er sicher sein, daß das Personal zuverlässig war.

Er legte eine Fünfhundert-Franken-Note mit der Notiz in den Umschlag und klebte ihn zu. Dann nahm er seinen Koffer, verließ das Zimmer und ging den Korridor hinunter auf die Fahrstühle zu. Es waren vier an der Zahl; er drückte einen Knopf und blickte sich um. Niemand war zu sehen; eine Glocke ertönte, und das rote Licht über dem dritten Liftschacht leuchtete auf. Die beiden Metalltüren schoben sich zur Seite. Zwei Männer standen neben einer Frau mit kastanienbraunem Haar; sie unterbrachen ihre Unterhaltung, nickten Borowski zu und machten Platz, als sie den Koffer bemerkten. Als die Türen sich schlossen, setzten sie ihr Gespräch fort. Sie sprachen französisch, schnell und mit weichem Akzent. Die Frau sah zwischen den beiden Männern hin und her, lächelte und blickte dann wieder nachdenklich.»Sie reisen also morgen nach der Schlußsitzung ab?«fragte der Mann zur Linken.

«Ich weiß noch nicht. Ich warte auf Bescheid aus Ottawa«, erwiderte die Frau.»Ich habe Verwandte in Lyon, die ich gerne besuchen würde.«

«Der Exekutivausschuß findet unmöglich zehn Leute, die bereit sind, das Schlußergebnis dieser gottverdammten Konferenz in einem Tag zu formulieren«, sagte der Mann zur Rechten.»Wir werden alle noch eine Woche hier sein.«

«Brüssel wird nicht damit einverstanden sein«, sagte der erste und grinste.»Das Hotel ist zu teuer.«

«Dann ziehen Sie doch in ein anderes«, sagte der zweite und kniff ein Auge zu.»Wir warten ja schon die ganze Zeit darauf, daß Sie das tun, oder?«

«Sie sind verrückt«, sagte die Frau.»Sie sind beide verrückt