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«Warum denke ich, daß Sie auf etwas anderes hinauswollen?«

«Weil wir unter gewissem Druck eng miteinander gearbeitet haben, und das seit einigen Wochen. Sie haben meine Methode erkannt.«

«Dann habe ich also recht?«

«Ja. Ich mußte sehen, wie Sie das, was ich Ihnen gerade gesagt habe, aufnehmen würden: die chirurgische Behandlung, das Haar, die Kontaktlinsen.«

«Und habe ich Ihren Test bestanden?«

«Mit einem Gleichmut, der einen wahnsinnig machen kann. Die Zeit ist jetzt da; es hat keinen Sinn, es länger hinauszuschieben. Offen gestanden fehlt mir dazu auch die Geduld. Kommen Sie mit. «Washburn ging voraus durchs Wohnzimmer, zu der Türe an der hinteren Wand, die in seinen Praxisraum führte. Dort holte er aus einer Ecke einen uralten Projektor heraus, dessen Objektivfassung verrostet und zerbeult war.»Ich habe mir den Apparat mit den Lebensmitteln aus Marseille bringen lassen«, sagte er, während er das Gerät auf den kleinen Tisch stellte und es anschloß.»Nicht gerade der beste Apparat, aber seinen Zweck erfüllt er. Ziehen Sie bitte die Vorhänge zu.«

Der Mann ohne Namen und ohne Gedächtnis trat ans Fenster und zog die Gardinen zu. Jetzt war es dunkel im Raum. Washburn knipste die Lampe des Projektors an; an der weißen Wand erschien ein helles Quadrat. Dann schob er ein kleines Stück Zelluloid hinter die Linse.

Plötzlich tauchten in dem beleuchteten Quadrat Buchstaben auf.

GEMEINSCHAFTSBANK

BAHNHOFSTRASSE ZÜRICH. NULL-

SIEBEN-SIEBZEHN-ZWÖLF-NULL-

VIERZEHN-SECHSUNDZWANZIG-NULL.

«Was ist das?«fragte der namenlose Mann.

«Sehen Sie es sich genau an. Denken Sie.«

«Das ist irgendein Bankkonto.«

«Genau. Der gedruckte Briefkopf und die Adresse — das ist die Bank; die handgeschriebenen Ziffern stehen hier anstelle eines Namens, aber da sie ausgeschrieben sind, stellen sie die Unterschrift des Kontobesitzers dar. Die übliche Vorgehensweise.«

«Woher haben Sie das?«

«Von Ihnen. Das ist ein sehr kleines Negativ. Es war unter der Haut über Ihrer rechten Hüfte eingesetzt — chirurgisch implantiert. Die Nummern sind in Ihrer Handschrift geschrieben; das ist Ihre Unterschrift. Damit können Sie einen Safe in Zürich öffnen.«

Kapitel 2

Sie wählten den Namen Jean-Pierre. Er war so geläufig in Port Noir wie jeder andere.

Und dann wurden Bücher aus Marseille ins Haus geschickt, sechs an der Zahl, die sich in der Größe unterschieden. Vier waren in englischer Sprache, zwei in französischer. Es handelte sich um medizinische Fachbücher, die sich mit Kopf-und Hirnverletzungen befaßten und mit Querschnitten durch das menschliche Gehirn illustriert waren. Hunderte von unbekannten Fachausdrücken mußten aufgenommen und in ihrer Bedeutung verstanden werden.

Die Bände enthielten auch psychologische Studien von emotioneilen Streßsituationen, die zu Hysterie und zum Verlust der Sprechfähigkeit führen, Zustände, die auch partiellen oder völligen Gedächtnisschwund zur Folge haben können, medizinisch Amnesie genannt.

«Es gibt keine Regeln«, sagte der dunkelhaarige Mann und rieb sich die Augen in dem zu schwachen Licht der Tischlampe.»Das ist wie ein geometrisches Puzzle; Amnesie kann in einer Vielzahl von Kombinationen entstehen, mit physischen oder psychischen Reaktionen — oder ein klein wenig von beidem. Sie tritt permanent oder temporär in Erscheinung. Wie gesagt, man kann keine festen Regeln aufstellen.«

«Richtig!«sagte Washburn und nippte an seinem Whisky.»Ich glaube, wir kommen der Sache jetzt langsam näher. So wie ich denke, daß sie sich abgespielt hat.«

«Nämlich wie?«fragte der Mann interessiert.

«Sie sagten es gerade selbst: >ein klein wenig von beidem<. Nur sollte die Formulierung >ein klein wenig< besser in >massiv< geändert werden. Durch massive Schocks.«

«Massive Schocks?«

«In physischer und psychischer Hinsicht. Die Schocks hatten einen direkten Zusammenhang, waren ineinander verwoben — zwei Erlebnisketten oder Stimuli, die zusammenschmolzen.«

«Wieviel haben Sie getrunken?«

«Weniger als Sie glauben; unbedeutend. «Der Arzt griff nach einem Block.»Das hier ist Ihre Geschichte — Ihre neue Geschichte —, angefangen mit dem Tag, an dem man Sie hierher gebracht hat. Lassen Sie mich zusammenfassen: Die physischen Wunden lassen erkennen, daß die Situation, in der Sie sich befanden, mit größtem Streß für Sie verbunden war. Die Hysterie, die sich dann entwickelte, wurde dadurch verursacht, daß Sie mindestens neun Stunden im Wasser trieben, was natürlich die psychische Belastung verstärkte. Die Finsternis, die heftigen Bewegungen, wobei die Lungen kaum genug Luft bekamen — all dies hat die Hysterie gefördert. Was ihr vorausging, mußte aus der Erinnerung gelöscht werden, damit Sie mit dem Trauma fertig werden und überleben konnten. Sind Sie in der Lage, mir zu folgen?«

«Ich glaube schon. Der Kopf hat sich geschützt.«

«Nicht der Kopf, das Bewußtsein! Die Unterscheidung ist wichtig. Wir kommen später auf den Kopf zurück, aber nennen wir ihn lieber >das Gehirn<.«

Washburn blätterte in seinen Papieren.»Ich habe hier ein paar hundert Beobachtungen festgehalten, unter anderem die üblichen medizinischen Anmerkungen — Medikamente, Dosis, Zeitpunkt, Reaktion —, aber im wesentlichen befassen sich diese Aufzeichnungen mit Ihnen, dem Menschen selbst. Hier sind die Worte notiert, die Sie benutzen; die Worte, auf die Sie reagieren; die Sätze, die Sie gebrauchen, sowohl im Schlaf, als auch während Sie im Koma lagen. Selbst die Art und Weise, wie Sie gehen, wie Sie sprechen, wie Sie Ihren Körper anspannen, wenn Sie erschreckt werden oder etwas sehen, das Sie interessiert, habe ich beschrieben. Sie scheinen ein einziger Widerspruch zu sein. Unter der Oberfläche brodelt etwas Gewalttätiges, das Sie meistens unter Kontrolle haben, sich aber nicht zur Ruhe bringen läßt. Und dann ist da eine Nachdenklichkeit, die schmerzhaft für Sie zu sein scheint, und doch geben Sie dem Ärger, den jener Schmerz provozieren muß, nur selten freien Lauf.«

«Sie provozieren ihn jetzt«, sagte der Mann.»Wir sind die Worte und Sätze immer wieder durchgegangen.«

«Und wir werden damit fortfahren«, unterbrach ihn Washburn,»solange wir Fortschritte dabei erzielen.«

«Mir war nicht bewußt, daß irgendwelche Fortschritte zu verzeichnen sind.«

«Nicht in bezug auf Ihre Identität oder Ihren Beruf. Aber wir sind im Begriff herauszufinden, was für Sie am bequemsten ist, womit Sie am besten zurecht kommen. Das ist fast etwas beängstigend.«

«In welcher Hinsicht?«

«Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. «Der Arzt legte den Block weg und erhob sich. Er trat an einen Schrank, öffnete eine Schublade und entnahm ihr eine große Automaticpistole. Der Mann ohne Erinnerung erstarrte in seinem Stuhl; Washburn bemerkte die Reaktion.

«Ich habe sie noch nie benutzt und bin nicht einmal sicher, ob ich dazu imstande wäre, aber immerhin lebe ich hier am Wasser. «Er lächelte und warf die Waffe dem Mann plötzlich und ohne Vorwarnung zu. Er fing sie geschickt in der Luft auf, ohne einen Moment gezögert zu haben.»Zerlegen Sie sie; so nennt man das doch, glaube ich.«

«Was?«

«Zerlegen sollen Sie das Ding. Jetzt.«

Der Mann sah die Pistole prüfend an. Und dann huschten seine Hände und Finger lautlos und fachmännisch über die Waffe. In weniger als dreißig Sekunden war sie in ihre Bestandteile zerlegt. Er blickte auf.