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Irgendwo begrüßte ein Hahn trotzig krähend den Morgen, und Bo-litho blickte sich um.

Der Dritte Offizier kam den Hang herabgestolpert und meldete atemlos:»Sie verlegen die Artillerie im Fort, Sir. Ich habe einen Späher so weit vorgeschickt wie möglich. «Er ließ sich von seinem Kameraden ebenfalls die Flasche reichen und setzte sie an. Mit einer Grimasse schloß er:»Aber die Tore sind noch zu.»

Bolitho nickte, während sein wie eingefrorener Verstand die spärlichen Nachrichten zu verarbeiten suchte. Die erste Aufregung über die Vernichtung der Schwimmsperre und ihren Durchbruch in den Hafen mußte sich inzwischen gelegt haben, Rivers sein Selbstvertrauen allmählich zurückgewinnen.

Bolitho erhob sich steif und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Was für eine verfahrene Situation! In England würde man mit Recht die Notwendigkeit bezweifeln, daß hier Menschenleben geopfert wurden, um den Franzosen einen Vorteil zu verschaffen. Mit einem lautlosen Fluch verdrängte er diesen Gedanken; nur seine Hoffnung auf eine glückliche Zukunft mit Belinda flüsterte ihm solche Skrupel ein. Kein Wunder, daß ihn die jungen Offiziere wie Mount-steven oder Scott mit heimlichem Befremden musterten. Auch er hatte in ihrem Alter niemals an die privaten Sorgen seiner Vorgesetzten gedacht, an ihre Rücksichtnahme auf die eigene Familie, die sie vielleicht zögern ließ, wenn es ans Kämpfen ging.

Aber dann schüttelte er diese Stimmung ab. Ein Leben ohne Belinda schien ihm unerträglich. Aber ein Leben ohne Ehre konnte er ebensowenig ertragen.

Vom Ufer klang ein erschreckter Anruf herauf und dann Alldays gedämpfte, aber wütende Stimme:»Ich bin's doch, du blindes Huhn! Sei leise, oder ich brech' dir das Genick!«Er rutschte in den Graben hinunter und schielte unsicher zu den drei Offizieren herüber.

Bolitho lächelte.»Ihr habt heute nacht ein Wunder vollbracht. Das war gute Arbeit!»

Erst jetzt schien Allday zu begreifen, daß die eine der drei abgerissenen Figuren Bolitho war; weiß schimmerten seine Zähne im Halbdunkel, als er breit zu grinsen begann.

«Danke, Sir.»

Scott sagte:»Mir kam's so vor, als seid ihr auf ein Patrouillenboot gestoßen, Allday.»

Allday betrachtete ihn, schien zu überlegen, ob ein bloßer Leutnant seiner Aufmerksamkeit würdig war, aber dann antwortete er doch.»Stimmt, Sir. «Er fuhr mit der Hand quer über seine Kehle.»War aber kein Problem.»

Das ohrenbetäubende Krachen eines einzelnen Kanonenschusses ließ einige der Umstehenden erschreckt zusammenfahren. Kreischend und krächzend flatterten Vögel scharenweise vom Wasser und aus den Uferbüschen auf. Aller Augen folgten den Rauchschwaden, die vom Festungswall aufstiegen, gefolgt vom dumpfen Einschlag eines Volltreffers.

Bolitho rückte seinen Säbelgurt zurecht und sagte knapp:»Sie nehmen Achates unter Beschuß.»

Wie zur Antwort drang Lärm aus der Stadt: zunächst nur Gewehrfeuer, dann lautes Hufgetrappel auf einer gepflasterten Straße.

Also wollte Rivers' Miliz sie angreifen, ehe sie ihre Stellungen auf der Insel befestigen konnten, und eine schnell herbeigeschaffte Kanone sollte das verankerte Schiff in den Boden bohren.

«Kapitän Keen wird sich beeilen müssen«, stellte Bolitho fest.»Und wir sollten ihm etwas Zeit verschaffen.»

Schon nahm ihre nähere Umgebung und die Gruppe zusammengedrängter Seeleute im Morgengrauen deutlichere Umrisse an. Ruhig fragte Mountsteven:»Was haben Sie vor, Sir?»

«Zu verhandeln. «Und die erstaunte Reaktion des anderen scharf unterbindend, setzte er hinzu:»Ich brauche zwei Freiwillige — sofort.»

Wieder feuerte die Kanone, und Bolitho zwang sich, nicht zusammenzuzucken. Diesmal war kein Einschlag zu hören, aber bald mußte der Richtschütze sein Ziel im zunehmenden Licht gut erkennen können.

Brummig korrigierte Allday:»Nur einen Freiwilligen, Sir. Ich komme mit.»

Bolitho verließ die Deckung und wandte sich dem Weg zu, der in vielen Windungen zur Festung hinaufführte. Plante er wirklich nur einen Bluff? Jedenfalls hatte er Rivers nichts anderes zu bieten.

Mit einem schnaufenden Allday an seiner Seite und Christy, dem Bootsmannsmaatgehilfen, hinter sich, schritt Bolitho auf dem holprigen Weg rasch aus. Christy trug einen Bootshaken mit einem weißen Hemd als Parlamentärsflagge daran und pfiff leise vor sich hin. Beim Abschied hatte er noch darüber gewitzelt, daß das Hemd von einem der beiden Kadetten stammte, die ihrem Landungstrupp angehörten:»Der einzige junge Herr, der für unseren Zweck sauber genug ist.»

Bolitho wunderte sich, daß die Männer immer noch zum Grinsen aufgelegt waren.

«Halt! Keinen Schritt weiter!»

Bolitho blieb still stehen und blickte zu den Festungsmauern auf, die sich drohend über ihnen erhoben. Er glaubte, ein metallisches Klicken zu hören, und konnte sich gut vorstellen, wie ein Scharfschütze ihn ins Visier nahm, weiße Fahne oder nicht. Wieder stieg Verbitterung in ihm auf. Wen würde ihr Tod schon kümmern? Überall waren Hunderte, Tausende von Seeleuten und Soldaten gefallen, für die verschiedensten Zwecke, und wer erinnerte sich noch an sie oder an den Grund ihres Sterbens?

Er formte einen Schalltrichter mit beiden Händen.»Ich will mit Sir Humphrey Rivers sprechen!»

Die Antwort war ein höhnisches Auflachen.»Sie meinen wohl kapitulieren, Sir!»

Bolitho ballte die Fäuste. Also hatte er richtig vermutet, Rivers hielt sich da oben auf. Sonst hätten die unbekannten Gegner mit einer spöttischen Abfuhr reagiert, ihn für seinen Irrtum verhöhnt.

Allday murmelte:»Ich zeig's dem Schweinehund, von wegen kapitulieren!»

Eine andere Stimme rief:»Ach, Sie sind das, Bolitho! Ich dachte schon, wir hätten ein paar Bettler vorm Tor!»

Bolitho merkte, daß er sich entspannen konnte, jetzt, da Rivers ihm wirklich gegenüberstand.

«Bitte, sagen Sie doch — was kann ich für Sie tun, bevor ich Sie und Ihre Rabauken gefangennehme?»

Bolitho fühlte sein Herz gegen die Rippen schlagen, als sei es der einzige Teil seines Körpers, der noch spontan reagieren konnte. War es nicht schon viel heller geworden? Ohne das Sturmgewölk der vergangenen Nacht hätte bereits heller Tag geherrscht.

Irgendwo hinter der Mauer hörte er den Ruf:»Feuerbereit, Sir!»

Aber Rivers wollte die Situation ausgiebig genießen.»Einen Moment noch, Tate. Ich möchte hören, worum unser stolzer Admiral mich bittet.»

Bolitho flüsterte seinen Begleitern zu:»Sie können nicht feuern, so lange Rivers da oben ist. Er steht genau zwischen der Kanone und dem Schiff. «Laut rief er:»Ich fordere Sie auf, das Feuer einzustellen und Ihre Miliz zurückzubeordern. Sie haben keine Chance, uns zu besiegen. Und Ihre Leute müssen sich klar darüber sein, welch hohen Preis sie für den Angriff auf ein englisches Kriegsschiff zahlen werden.»

Dabei stellte er sich vor, wie seine Worte hinter den Festungsmauern von Mund zu Mund gingen. Trotzdem, Rivers' Leute waren überwiegend Einheimische, wahrscheinlich nicht viel besser als Piraten, obwohl die während des Krieges erfundene, zartfühlende Umschreibung >Freibeuter< diese Profession inzwischen fast legalisiert hatte.

Wütend schrie Rivers zurück:»Zur Hölle mit Ihnen, Bolitho! Ich habe Ihnen eine Chance gegeben, aber jetzt werden Sie für Ihre verdammte Arroganz büßen!»

Bolitho blinzelte geblendet, als die ersten Sonnenstrahlen ihm zwischen den Zinnen des Burgfrieds hindurch in die Augen stachen und den Hang über der Festung in goldenes Licht tauchten. Aufgeregte

Rufe erklangen hinter den Mauern, als auch der verankerte Zweidek-ker unten klar sichtbar wurde.

Rivers' Stimme wurde noch um einige Töne schriller:»Da liegt das Ziel, Jungs! Daß mir jede Kugel trifft! Dieser Kommandant ist ein noch größerer Narr als sein Admiral.»