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Den Ritt um die Insel brauchte Bolitho im Grunde nicht, er hatte die Stärken und Schwächen für eine Verteidigung von der Karte her im Kopf. Aber es war notwendig, daß er Keen und den anderen seinen

Widerstandswillen demonstrierte. Und seine Entschlossenheit, die Insel zu halten, bis sich eine günstigere Wendung ergab.

Seine Schenkelwunde juckte bei dem feuchtwarmen Wetter, und es verlangte ihn danach, sie zu reiben.

Warum bedrückte ihn die Aussicht auf eine Belagerung oder einen offenen Angriff? Sorgte er sich Belindas wegen oder weil der Ausgang der Schlacht ungewiß war?

Plötzlich sah er sich wieder in Sir Hayward Sheaffes stillem Dienstzimmer in London. Hier, zu Füßen der Festung und des erloschenen Vulkans, war es für ihn wie die Erinnerung an eine andere Welt. Trotzdem klangen ihm Sheaffes klare Worte immer noch in den Ohren:»Ihre Lordschaften benötigen für diese Aufgabe einen ebenso taktvollen wie tapferen Mann.»

Und dann dachte Bolitho an des kleinen Evans' Gesicht, als der namenlose Zweidecker in Flammen aufgegangen war; an den Schrecken und das Entsetzen in den toten Zügen des Trommlerbuben. Und er dachte an Duncan und die vielen anderen, die er gar nicht gekannt hatte.

Taktvoll konnte er später immer noch sein.

ХIII Ein Feiertag

Adam Bolitho stand in Jonathan Chases Bibliothek am Fenster und starrte hinaus auf die endlos heranrollenden, gischtgekrönten Brecher der Massachusetts Bay. Erst vor einer Stunde war er in Vivids Beiboot gelandet und von Chases erstauntem Agenten in Empfang genommen worden. Wie er bald merkte, hatte Vivids Rückkehr unter britischer Flagge in ganz Boston Aufsehen erregt.

Adam kam es vor, als träume er. Chase hatte ihn begrüßt, wirkte aber zurückhaltend und nahm den dicken Umschlag nur zögernd an, den Adam ihm von seinem Onkel überbrachte.

Er schauderte in der kühlen Herbstluft Neuenglands und dachte seltsam schuldbewußt an das warme San Felipe. Schlimm, daß ihm alles so unwirklich schien. Aber da stand er nun, und Chase hatte sich entschuldigt, um Bolithos Brief zu lesen; vorher hatte er noch wie beiläufig erwähnt, daß Robina sich mit ihrer Mutter in Boston aufhielt und vielleicht bald vorbeikommen würde.

Adam wandte sich um und ließ den Blick über die Gemälde und nautischen Antiquitäten des geschmackvollen Zimmers schweifen. Es war der richtige Rahmen für einen Mann wie Chase, den ehemaligen Seemann — und ehemaligen Feind — , der jetzt ganz hier verwurzelt war.

Ihre Zehn-Tages-Reise von San Felipe nach Boston war ganz anders verlaufen als die Hinfahrt, auf der er sich die Zeit im Gespräch mit Jethro Tyrrell so angenehm vertrieben hatte. Diesmal hatte er trotz der Enge an Bord kaum ein Wort mit Tyrrell wechseln können, höchstens über das Wetter und ihre Navigation.

Warum hatte sein Onkel angeboten, Vivid für Tyrrell zu erwerben, und weshalb sollte Chase sie verkaufen wollen? All das konnte er sich nicht erklären. Aber es scherte ihn auch wenig — jetzt, da er wieder in Boston war und Robina wiedersehen würde.

«Tut mir leid, daß ich Sie warten ließ.»

Chase war ein kräftig gebauter Mann, aber dennoch lautlos wie eine Katze wieder ins Zimmer gekommen.

Nun nahm er bedachtsam Platz und begann:»Ich habe den Brief Ihres Onkels gelesen und veranlaßt, daß der zweite Brief, den er beigelegt hatte, sofort zu Sam Fane in die Hauptstadt gebracht wird. «Nachdenklich musterte er den Leutnant.»Mich wundert nur, daß er Sie damit gesandt hat.»

Adam hob die Schultern; darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.

«Hm. Ihr Onkel versichert mir, daß er Politik verabscheut, dennoch scheint er sich ausgezeichnet darauf zu verstehen. «Ohne dies näher zu erläutern, fuhr Chase fort:»Wie Sie beim Einlaufen zweifellos bemerkten, haben die französischen Kriegsschiffe Boston verlassen. Gerüchte verbreiten sich eben mit Windeseile. Der französische Ad-miral schien jedenfalls nicht auf einer schnellen Rückgabe San Felipes durch die Briten zu bestehen, solange die Lage dort unten noch unklar ist.»

«Aber Frankreich und Spanien waren doch schon oft verbündet,

Sir.»

Zum ersten Mal lächelte Chase.»Frankreich würde Spanien gewiß als Bundesgenossen brauchen, wenn es wieder zum Krieg mit England käme. Falls es also über San Felipe wirklich einen Konflikt geben sollte, dann möchten die Franzosen keineswegs als die Schuldigen dastehen. Es käme ihnen sehr zupaß, wenn die britischen Schiffe sich diskret zurückziehen würden, nachdem sie alle Ansprüche Spaniens auf San Felipe tapfer zurückgewiesen haben. Dann — und erst dann — wird für den französischen Admiral der rechte Zeitpunkt sein, die Insel zu übernehmen und einen Gouverneur einzusetzen.»

Adam erwiderte:»Es scheint mir verwerflich, so mit Menschenleben zu spielen.»

Chase nickte.»Da mögen Sie recht haben, aber San Felipe ist ein hoher Einsatz. Im Krieg wie im Frieden beherrscht es einen wichtigen Schiffahrtsweg. Meine Regierung würde es lieber im Besitz eines befreundeten Landes sehen, am liebsten unter unserem eigenen Schutz. Und genau das hatte Sir Humphrey Rivers vorgeschlagen. Aber da Sie Vizeadmiral Bolithos Adjutant sind, wissen Sie das alles zweifellos. Ich merke, daß Sie diese Zusammenhänge genauso schnell durchschauen wie Ihr Onkel, also muß Ihnen auch klar sein, daß es Rivers trotz seiner Loyalitätsbezeugungen für König Georg vor allem um seinen eigenen Vorteil geht. Er brachte eine gefährliche Karte ins Spiel, als er das Schicksal der Insel mit Spanien erörterte oder — um genau zu sein — mit dem spanischen Befehlshaber in La Guaira. Geteilte Geheimnisse sind keine Geheimnisse mehr. «Chase seufzte tief auf.»Außerdem läßt sich ein Tiger nicht aufs Teilen ein.»

Chase war sich jetzt Adams voller Aufmerksamkeit sicher. Er fuhr fort:»Ich kann offen mit Ihnen sprechen, weil keiner von uns beiden auf diese Affäre entscheidenden Einfluß hat. Das spanische Interesse blieb mir nur deshalb nicht verborgen, weil ich sowohl mit dem Befehlshaber in La Guaira wie auch mit seinem Nachbarn in Caracas Geschäftsbeziehungen unterhalte. Beide waren schon immer der Ansicht, daß ihre Regierung den Anschluß an die rapide Ausweitung ihres Imperiums in Südamerika verloren hat. Woche für Woche bringen die Sklavenschiffe mehr Arbeiter für die Bergwerke und Plantagen; unterwegs begegnen sie wahrscheinlich den bis ans Schanzkleid mit Gold beladenen Galeonen, die auf dem Weg nach Spanien sind. In der Vergangenheit hat San Felipe ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dem wollen sie in Zukunft einen Riegel vorschieben.»

Adam sah im Geiste plötzlich Achates im Hafen von San Felipe vor sich, halb abgetakelt für Reparaturen, die Mannschaft überfordert mit Arbeiten, die das Ge schick erfahrener Werfthandwerker verlangt hätten.

«Dieser Zweidecker.. «rief er aus.

Chase lächelte grimmig.»Den Sie versenkt haben? O ja, Leutnant, darüber haben mir meine Informanten alles berichtet. Das war die Intrepido, frisch überholt in Cadiz und stark genug bewaffnet, um es mit jedem Narren aufzunehmen, der ihr in die Quere kommen wollte. Ein Freibeuter, ein gekaufter Abenteurer — nennen Sie ihn, wie Sie wollen. Aber ihr Kommandant hatte Anweisung, jeden Widerstand zu brechen und die Insel in Besitz zu nehmen. Später sollte ein beamteter Gouverneur installiert und die spanische Flagge gehißt werden, wobei weder von den Briten noch von den Franzosen nennenswerte Gegenmaßnahmen erwartet wurden. Ihrer Regierung wäre es peinlich gewesen, wegen dieser aussichtslosen Sache noch mehr Zeit und Menschenleben zu opfern, und auch die Franzosen würden sich nicht dagegen sperren, weil sie sich damit Spanien für künftige Zwecke zum Schuldner machen konnten. «Er lehnte sich bequem in seinem Stuhl zurück und schloß:»Erklärt das nicht alles?»