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Trotz der heftigen Schiffsbewegungen und der unbehaglichen Nässe hätte Bolitho jubeln mögen; ihn erfüllte eine Begeisterung, die er seit seinen Tagen als junger Kommandant nicht mehr gekannt hatte.

Das graue Gesicht des Atlantiks — wie sehr unterschied es sich doch von den Gewässern um San Felipe: gefurcht von wilden Seen, deren helle, brechende Kämme ihn anfletschten wie gelbe, scharfkantige Zähne, reckte es sich ihm trotzig entgegen.

Achates wetterte den unerwarteten Sturm unter Breitfock und gerefften Marssegeln ab und hielt sich bei den rauhen Bedingungen recht tapfer. Trotzdem, in der kurzen Zeit, seit er an Deck gekommen war, hatte Bolitho den Bootsmann und seine Gang losgerissene Beiboote wieder festzurren gesehen, immer im Kampf mit dem überkommenden Wasser, das sie von den Füßen zu reißen drohte; genauso mußten Kanonen neu gesichert werden oder Männer aufentern, um gebrochene Teile des Riggs zu reparieren.

Auch Keen hielt sich an Deck auf. Der Sturm zerrte an seinem Ölzeugmantel, als er, über den Kompaß gebeugt, sich schreiend mit dem Master unterhielt.

Seit ihrem Auslaufen von San Felipe hatte das Wetter sie ständig genarrt. Zunächst war die Brise eingeschlafen, sobald die Insel hinter den Horizont gesunken war. Tagelang hatten sie in der Flaute gedüm-pelt, ehe sie wieder Segel setzen und die vielen Seemeilen zurückgewinnen konnten, die sie verdriftet waren.

Jetzt standen sie weit draußen im Atlantik und bekamen die andere Seite zu spüren. Trotz der vielen Reparaturen, von denen manche mangels einer Werft nur behelfsmäßig ausgeführt waren, hatte sich das Schiff bisher behauptet. Zum Glück für uns alle, dachte Bolitho grimmig, denn das nächste Land waren die Bermudas, etwa zweihundert Meilen weiter nordwestlich.

Hier kam wieder eine. Bolitho hielt den Atem an, als die See übers Luvschanzkleid kochte und ein paar Seeleute wie Treibholz wegschwemmte, ehe sie sich irgendwo festklammern konnten. Er blickte zu den Rahen auf, wo die gerefften Segel im diffusen Licht wie Metallplatten schimmerten.

Auf dem Achterdeck paßten geduckte Schemen den rechten Moment ab, ehe sie von einem Handlauf zum nächsten sprangen. Einige dieser Gestalten bemerkten den Admiral auf der Luvseite und zweifelten wohl an seinem Verstand, weil er das sturmumtoste Deck seiner ruhigen, trockenen Kajüte vorzog.

Das Gesicht tropfnaß von Gischt, kam Keen herangewankt.

«Mr. Knocker sagt, das kann höchstens noch einen Tag so bleiben, Sir. «Er duckte sich vor einer Wasserwand, die auf das Achterdeck krachte und über die Niedergangsleitern zu beiden Seiten wieder abfloß.

«Wie wird Sir Humphrey mit all dem fertig?»

Keen spähte zum Großmast, wo zwei Männer einen Bunsch neuer Leinen klar zum Hochhieven machten, weil an der Großmarsrah etwas gebrochen war. Dann entspannte er sich leicht, als er sah, daß sie sich rechtzeitig zu den Wanten flüchteten und sich anklammerten, ehe die nächste überkommende See sie von Bord waschen oder gegen eine Kanone schmettern konnte.

Schreiend antwortete er:»Prächtig, Sir. Er schreibt die meiste Zeit.»

Bolitho drückte das Kinn in den Kragen, als Gischt und Spritzwasser von der Hütte auf ihn herabprasselten. Also bereitete Rivers seine Verteidigung vor. Oder er verfaßte seinen Letzten Willen. Wahrscheinlich hielt er sich so beschäftigt, um die Meilen zu vergessen, die Achates' zerschrammter Kiel unerbittlich verschlang.

Der Wachoffizier hangelte sich Hand über Hand an der Querreling heran und rief:»Zeit für die erste Kurzwache, Sir!»

Keen grinste in den Sturm.»Mein Gott, dabei sieht's eher aus wie Mitternacht.»

Bolitho überließ ihn sich selbst und tastete sich nach achtern unter die Hütte, wo es relativ ruhig war; hier dämpfte massives Eichenholz das Getöse von See und Sturm.

Aber in der Kajüte ging der Hexentanz wieder los: Spritzwasser schoß durch die verschalkten Fenster in Luv, die Hängelampen kreiselten wild unter der Decke, und das Mobiliar tat sein Bestes, um sich aus Ozzards Sturmlaschings zu befreien.

Der Steward erschien in der Tür zur Pantry und klammerte sich haltsuchend an den Rahmen. Bolitho wollte ihn um ein heißes Getränk bitten, ließ es aber, als er sah, wie grünlich-blaß Ozzards Gesicht war.

«Wie geht's Allday?»

Ozzard schluckte.»Liegt in seiner Hängematte und ruht sich aus. Vorher hat er einen großen Becher…«Aber allein der Gedanke an Rum war zuviel für Ozzard; er drehte sich würgend um und floh in die Pantry zurück.

Bolitho ging in seinen Schlafraum und packte das Fußbrett seiner Koje, in der Allday beinahe gestorben wäre. Dann wartete er ab, bis das Deck sich wieder zu heben begann, und hievte sich voll angekleidet auf sein Lager.

Es war ihm verhaßt, so am Rande des Geschehens bleiben zu müssen, wenn das Schiff seinen Kampf mit dem naturgegebenen Feind austrug. Sich bei dieser Gelegenheit kaum wichtiger als ein Passagier zu fühlen, war ein Aspekt seines Admiralsranges, mit dem er sich nur schwer abfand.

Trotzdem blieb er angekleidet und ließ nur die Schuhe zu Boden poltern. Den Schatten, die in einem makabren Tanz über Schotten und Decke huschten, zog er eine Grimasse. Ob nun Passagier oder nicht, wenn das Schiff unterging, sollte die Besatzung ihren Admiral nicht in Unterhosen sehen.

Aber in dieser Nacht verausgabte der Sturm seine Kraft; gegen Morgen drehte der Wind, obwohl immer noch sehr stark, nach Süden, so daß Keen mehr Segel setzen lassen konnte und seine Männer sich an die Beseitigung der Sturmschäden machten. In den Zwischendecks wurde gepumpt, getrocknet und aufgeklart, und als zum Frühstück gepfiffen wurde, stieß der Kombüsenschornstein wieder seine üblichen, fettig schwarzen Rußwolken aus.

Bolitho saß am Tisch, trank dampfenden Kaffee und kaute auf dünnen Schweinefleischscheiben, die in Zwiebackkrümeln hellbraun geröstet waren. Auf See war das eines seiner Lieblingsgerichte, und niemand konnte es besser zubereiten als Ozzard.

Trotz des ungünstigen Wetters und ihrer dadurch bedingten Verzögerung sollten sie Kap Lizard, die Südwestspitze Englands, in vierzehn Tagen in Sicht bekommen.

Es überraschte ihn selbst, daß er sich bei diesem Gedanken so unsicher, so nervös fühlte. Voraus lag alles, wonach er sich gesehnt, was er sich erhofft hatte, und trotzdem war ihm zumute wie einem schüchternen Seekadetten.

Er erhob sich und trat vor den Spiegel, der über seinem Schreibpult hing. Schließlich war er um ein Jahr älter geworden. Die Strähne, die über sein rechtes Auge fiel und die tiefe Narbe verdeckte, war zwar noch rabenschwarz, aber trotzdem argwöhnte er, daß irgendwo graue Haare sein mußten. Er zuckte die Schultern. Immerhin war er der jüngste Vizeadmiral der britischen Marine — wenn man von Old Nel absah, natürlich.

Aber auch das war ihm kein Trost. Er hatte 46 Jahre auf dem Buckel und eine um zehn Jahre jüngere Frau. Angenommen.

Fast dankbar fuhr Bolitho herum, als Keens Eintreten ihn aus seinen Gedanken riß.

«Nehmen Sie sich Kaffee, Val, wenn. «Jetzt fiel ihm Keens grimmige Miene auf, und er fragte:»Probleme?»

Keen nickte.»Der Ausguck hat Wrackteile gesichtet, Sir, in Nordost«, berichtete er.»Wahrscheinlich ein Opfer des letzten Sturms.»

«Möglich. «Bolitho schlüpfte in seinen ausgeblichenen Dienstrock.»Doch nicht die Kurierbrigg, die vor uns ausgelaufen ist?»

«Nein, Sir. So weit könnte sie nicht getrieben sein. «Gespannt beobachtete Keen seinen Admiral.»Wenn wir über Stag gehen, um die Wrackteile zu untersuchen, verlieren wir wertvolle Zeit, Sir.»

Bolitho biß sich auf die Lippen. Er hatte schon einmal ein treibendes Boot gefunden, in dem nur noch ein Mann am Leben gewesen war, umgeben von lauter Leichen. Auch dachte er an den kleinen Evans in seinem Kutter, mit Verwundeten und Toten als Bordkameraden. Wie fühlte man sich als letzter Überlebender?