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Vielleicht zum hundertsten Male ließ Midshipman Ferrier sein Glas sinken; seine Augen brannten, so angestrengt hatte er nach dem ansegelnden 74er ausgespäht. Kaum zu glauben, daß er noch vor ganz kurzer Zeit an daheim gedacht hatte, an die Chance, die das Offiziersexamen ihm bot. Je näher diese hohe Segelpyramide mit ihrer Doppelreihe schwarzer Kanonenrohre kam, desto blasser wurden seine Hoffnungen. Inzwischen sorgte er sich am meisten um die Frage, ob er vor dem Kommenden bestehen oder versagen würde.

Er sah Bolitho vorbeigehen, ins Gespräch mit seinem Neffen vertieft, der über eine Bemerkung seines Onkels lächelte. Als Ferrier wieder das Fernglas hob, waren seine Ängste zerstreut.

Im unteren Batteriedeck spähte Midshipman Owen Evans ins Halbdunkel, bis er Leutnant Hallowes ausgemacht hatte, der die 26 Kanonen befehligte; dann rannte er zu ihm mit der Nachricht des Kommandanten.

Hallowes hörte den Kadetten an und antwortete nur lakonisch:»Hol mich der Teufel, Walter, aber wir greifen zuerst die Fregatte an.»

Sein Gehilfe, der Fünfte Offizier, brach in Gelächter aus, als hätte Hallowes einen tollen Witz gemacht.

Evans verharrte kurz am Fuß der Niedergangsleiter und ließ den Blick über die rot gestrichenen Bordwände schweifen, über die schweißnassen Oberkörper der Männer an den offenen Stückpforten; alle trugen die Halstücher schützend über die Ohren gebunden, denn in diesem engen Raum konnte das Krachen der Vierundzwanzigpfün-der einen Menschen binnen Minuten taub machen.

Plötzlich gewahrte Evans, daß seine Hand auf dem hölzernen Handlauf so unkontrolliert zitterte, als hätte sie einen eigenen Willen.

Foord, der Fünfte Offizier, sah den Jungen zögernd am Niedergang stehen und blaffte:»Schlag da bloß keine Wurzeln, Kerl! Du wirst gleich Meldungen die Menge zum Austragen kriegen. «Foord hatte selbst als Midshipman auf Achates gedient und war erst neunzehn Jahre alt. Etwas leiser fügte er hinzu:»Was ist denn, Mr. Evans?»

Evans starrte zu ihm auf.»Nichts, Sir. «Aber in seinem Kopf gellte immer wieder der Satz: Ich werde fallen, ich werde fallen.

Seufzend sah Foord ihm nach, als er die Leiter hinaufhastete; dachte wahrscheinlich immer noch an Duncans Tod, der Junge.

Unter Foords Füßen, im Orlopdeck, umkreiste der Chirurg Tuson langsam seinen Operationstisch und musterte die glitzernden Reihen der Sonden und Sägen, die bereitstehenden Eimer, den Lederriemen, der den Verwundeten zwischen die Zähne geschoben wurde. Und den großen Krug Rum, mit dessen Hilfe die Agonie erträglicher gemacht werden sollte. Hinter dem Lichtkreis der langsam schwingenden Lampen warteten seine Gehilfen wie Harpyien, die Fäuste unter den noch sauberen Schürzen verborgen.

Tuson ging in sein schmales Lazarett und starrte blicklos die Pritschen an, den Schrank mit Rum und Brandy. Er spürte, daß er die Fäuste geballt hatte, daß sein Mund bei dem Gedanken an den ersten Schluck nach so langer Zeit ganz trocken wurde.

Da hörte er Schritte und sah, daß Korporal Dobbs ihn an seinem aufgepflanzten Bajonett vorbei zweifelnd musterte. Der Schiffsprofos hatte Dobbs zum Gefangenenwärter bestimmt, aber jetzt wurde er als Marinesoldat auf seinem Posten an Deck gebraucht.

Auch Sir Humphrey Rivers stand an der Tür, den Kopf unter dem niedrigen Decksbalken gebeugt.

Unbehaglich meinte Dobbs:»Konnte einen so hohen Herrn wie ihn nicht gut in der Zelle lassen, Sir.»

Tuson nickte. Für den Fall, daß das Schiff unter ihren Füßen sank, ergänzte er in Gedanken.

«Und ich kann ihn ja auch nicht zu den Welschen sperren, die wir nach dem Schiffbruch geborgen haben«, fuhr Dobbs fort.

Tuson sah Rivers an.»Wenn Sie hier bleiben, Sir Humphrey, finden Sie es vielleicht noch ungemütlicher.»

Rivers entgingen nicht die schwankenden Schatten, die wie Vorboten des Verhängnisses in allen Ecken und Winkeln lauerten.

«Immer noch besser, als allein zu sein. «Er nickte dem Arzt zu.»Danke, ich weiß Ihr Angebot zu schätzen.»

Erleichtert, weil er seiner Verantwortung ledig war, rannte der Korporal fast zur Niedergangsleiter.

Plötzlich begannen Flaschen und Krüge auf den Regalen zu klirren, als achtern ein Kanonenschuß krachte.

«Was machen die oben?«rief Tuson aus.

Rivers lächelte kalt.»Eine Heckkanone hat gefeuert.»

Tuson massierte sich die Finger.»Dann haben Sie Ihr altes Handwerk also noch nicht vergessen?»

Rivers hängte seinen reichbestickten Rock an einen Haken.»Das kann keiner so leicht vergessen.»

Tief unten im breiten Bauch des Schiffes, in seinem eigenen privaten Vorratslager, verschränkte der Steward Tom Ozzard die Arme vor der Brust und begann, wie im Schmerz vor und zurück zu pendeln.

Im Schein der einzigen Petroleumlampe sah er rund um sich Bo-lithos Besitztümer gestapelt, hastig und nicht gerade schonend abgestellt, was Ozzard empörte. Tisch und Stühle, alle beste Handwerksarbeit, der prachtvolle Weinkühler, das Schreibpult und die Koje waren wie alles oberhalb des Orlopdecks abgeschlagen und nach unten gebracht worden, als das Schiff gefechtsklar machte. Auf beiden Batteriedecks war Achates jetzt vom Bug bis zum Heck offen und leer, damit die Stückmannschaften unbehindert feuern, die Pulveräffchen mit neuen Kartuschen und Kugeln so schnell wie möglich aus dem Magazin rennen konnten.

Ozzard hatte gehört, wie die Boote ausgeschwungen und zu Wasser gelassen wurden; jetzt hingen sie achtern im Schlepp. Sobald das Gefecht begann, würden die Schleppleinen gekappt werden; die Boote trieben dann ab, bis der Sieger — wer immer das sein mochte — sie wieder einfing. Aber es mußte sein, die Boote waren auf ihren Stellings an Deck eine zusätzliche Gefahr, denn sie barsten nach einem Treffer in tausend tödliche Splitter.

Ozzard starrte die verriegelte Tür an und schauderte zusammen. Hier unten, wo er den Wein aufbewahrte und in solchen Augenblicken Zuflucht suchte, war es kühl.

Wie Allday hatte auch er das Privileg, im Privatlager des Vizeadmirals zu gehen oder zu kommen, wie es ihm beliebte. Und obwohl er Bolitho für seine Stellung dankbar war, fürchtete er sich hier in der Bilge, der tiefsten Stelle des Rumpfes. Aber er akzeptierte diese Furcht wie etwas, an das er sich schon seit langem gewöhnt hatte. Er wußte, daß unter ihm nur noch der Kiel war und darunter der abgrundtiefe Ozean.

Ozzard verkrampfte sich, als ein zweiter Kanonenschuß die Planken erzittern ließ. Trotzdem, dieser klang weit entfernt und nicht sehr gefährlich. Später wollte er sich vielleicht an Deck wagen. Aber da krachte es wieder, und Ozzard beschloß, noch zu warten.

Abgeschirmt von der beengten Welt der Zwischendecks, begab sich Bolitho auf die Poop und hielt Ausschau nach dem französischen 74er. Er hatte mehr Segel gesetzt und die Distanz zu Achates verkürzt, aber noch keinen einzigen Schuß abgefeuert. Ihm schien, daß er leicht den Kurs geändert hatte und jetzt fast parallel zu ihnen lief. Im Gegensatz zu ihm war die kleine Fregatte mit dem Wind herangekommen und hatte gehalst, um dann in Lee, achteraus von Achates, ihre Position einzunehmen.

Er sagte:»Eröffnet das Feuer. «Sein Befehl wurde ans Batteriedeck weitergegeben, Ruder wurde gelegt, und das Schiff ging zögernd so hoch an den Wind, wie es nur konnte.

Die hinter ihre Finknetze geduckten Seesoldaten flüsterten miteinander, wetteten vielleicht um die nächsten Treffer.

Old Crocker war wirklich ein Meister seines Fachs. Schon mit dem ersten Schuß hätte er die Fregatte beinahe entmastet. Nun hatte er sich eingeschossen, hatte es» im Urin «wie jeder gute Stückmeister, der erst Maß nahm; und vor allem: Auch der französische Kommandant mußte das inzwischen begriffen haben.

Die Fregatte schoß mit einer Bugkanone auf Achates, aber der Einschlag lag viel zu kurz und verursachte nur trotziges Hohngeschrei bei den Briten.