XVIII Ruhe den Tapferen
Immer noch, selbst in den letzten Sekunden vor dem Rammstoß, feuerten die beiden Schiffe aufeinander, wenn auch nur mit einigen wenigen Kanonen. Aber es war, als hätten die Besatzungen die Kontrolle über sich verloren oder als achteten sie, vom pausenlosen Kanonendonner betäubt, auf nichts mehr, was außerhalb ihrer eigenen höllischen Welt lag. An Deck oben war die Luft zu einem todbringenden Element geworden, erfüllt vom Feuer der Musketen und Pistolen, die vor allem auf die Offiziere und Wachgänger des Achterdecks gerichtet waren.
Vor Bolithos Augen verengte sich die Lücke zwischen den beiden Schiffen immer mehr, die von den Rümpfen eingefangene See schwappte an den Bordwänden hoch und verwandelte sich in Dampf, wo sie auf die glühenden Kanonenrohre traf.
Kugeln hämmerten in Decksplanken oder Hängemattsnetze; oben in der Takelage peitschte mörderischer Schrothagel den Rauch und überzog Freund wie Feind mit rot schimmernden Arabesken aus Blut.
Keen klammerte sich mit einer Hand an die Querreling und preßte die andere gegen die Rippen, mit dem Stoff seines Uniformrocks den Blutstrom aus der Wunde stillend. Aber sein Gesicht war totenbleich, und er reagierte nicht mehr, wenn die Kugeln zu seinen Füßen ins Deck schlugen oder Männer neben ihm fällten.
Adam riß den geschwungenen Säbel aus der Scheide und rief:»Da kommen sie!»
Mit blitzenden Augen beobachtete er, wie die Rümpfe so hart zusammenstießen, daß noch mehr Trümmer aus der Takelage fielen und beide Schiffe immer enger verflochten.
Allday warf sich mit der Schulter gegen Bolitho, stieß ihn beiseite und schrie, das Entermesser hoch über seinem Kopf schwingend:»Die haben's auf Sie abgesehen, Sir!»
Tatsächlich waren schon die ersten französischen Enterer von Argo-nautes Bugspriet an Deck gesprungen, als die Spiere über das Vorschiff knirschte, dabei Rigg und Abwehrnetze zerreißend, während der Seegang beide Rümpfe anhob und immer dichter zusammenschob.
Eine Musketensalve der Briten fällte jedoch die meisten Enterer, ehe sie die Netze ganz weghacken konnten, und der Rest wurde mit Piken aufgespießt, obwohl er schon im Rückzug begriffen war.
Hauptmann Dewar zog seinen schweren Säbel.»Auf sie, Soldaten!»
Doch damit hatte er seinen letzten Befehl auf Erden gegeben; eine Kugel riß ihm die untere Gesichtshälfte weg und warf ihn die Niedergangstreppe hinunter an Deck. Fassungslos starrte Hawtayne, sein Leutnant, die Leiche an, als weigere er sich, den Tod seines Vorgesetzten zu akzeptieren.
Endlich raffte er sich auf und rief:»Folgt mir!»
Bolitho sah die roten Uniformen durch den Rauch zum Vorschiff stürzen, wobei einige fielen, andere aber zum letztenmal ihre Musketen abfeuerten, ehe sie mit den Bajonetten gegen die zweite Welle der Enterer vorgingen, die wie vom Himmel gefallen an Deck landete.
Es nützte nichts, der Feind war in der Überzahl. Bolitho hörte schon französisches Jubelgeschrei, das jedoch noch einmal in Fluchen und Angstgebrüll überging, als der Schrot einer Drehbassensalve ihre Reihen wie mit einer blutigen Sense ummähte.
Er sah Midshipman Evans neben der Niedergangsleiter kauern.
«Unter Deck mit Ihnen!«befahl er.»Sagen Sie ihnen, sie sollen weiterfeuern! Auf Befehl des Admirals!»
Das Feuer konnte beide Schiffe in Brand setzen, war aber ihre einzige Chance.
Aus dem Augenwinkel sah Bolitho französische Seeleute drüben in die Besanwanten klettern; das vom Rauch getrübte Sonnenlicht schimmerte matt auf Hieb- und Stichwaffen, während die Angreifer darauf warteten, daß Wind und Seegang ihr Achterschiff näher an Achates heranschoben. Bald mußte ihnen aus den unteren Decks Verstärkung erwachsen.
Bolitho verzog das Gesicht, als unten einige seiner Vierund-zwanzigpfünder noch einmal in die Bordwand des Franzosen feuerten. Rauch, Funken und Splitter wirbelten über das Seitendeck und rissen einige feindliche Enterer über Bord, die zwischen den Rümpfen zermalmt oder unter Wasser gedrückt wurden.
Aber schon rannten Franzosen auf dem Seitendeck nach achtern, obwohl Bolitho entgangen war, wie sie sich durchgeschlagen hatten. Einer davon, ein Leutnant, hackte einen Matrosen nieder, bevor er nach unten auf das Batteriedeck springen konnte, und einige Kugeln zischten schon zum Achterdeck hinauf, wo Knocker mit seinen Männern am Ruder stand, einem Häuflein Überlebender auf ihrem Floß vergleichbar.
Der französische Offizier entdeckte Keen an der Reling und machte einen Ausfall; entsetzt gewahrte Bolitho, daß Keen vor Schmerzen die Augen geschlossen hatte und nichts zu seiner Rettung tat.
Bolitho stieß einen lauten Ruf aus, und als der Blick des Leutnants zu ihm hin zuckte, hieb er ihm den alten Säbel in den Hals. Noch während der Franzose mit einem gurgelnden Schrei, der in Blut erstickte, vornüber taumelte, schlug Allday mit dem Entermesser zu und fällte ihn wie ein Waldarbeiter einen jungen Baum.
Stahl klirrte gegen Stahl, als sich die britischen Matrosen auf dem Achterdeck sammelten, taub und blind für das Gemetzel ringsum und nur darauf bedacht, die Stellung zu halten und nicht unter diese grausamen Schneiden und stampfenden Füße zu geraten.
Bolitho sah Adam den Ausfall eines zweiten französischen Leutnants parieren und wollte hin zu ihm, wollte zu Hilfe eilen. Doch selbst im Lärm und Schlachten des Handgemenges blieb ihm nicht verborgen, mit welcher Geschicklichkeit Adam focht, wie gut er den Schwung des schwereren Angreifers gegen diesen selbst lenkte. Schon drängte er nach, rückte, bei jedem Ausfall mit dem rechten Fuß aufstampfend, vor und zwang seinen Gegner aufs Vorschiff zurück.
«Vorsicht!«gellte Alldays Schrei.
Bolitho fuhr herum und sah einen französischen Unteroffizier mit der Pistole auf ihn zielen. Da sauste Stahl vor seinen Augen nieder, die Pistole polterte an Deck und explodierte, immer noch von der abgetrennten Hand des Franzosen umklammert.
Einen blutigen Schnitt quer über die Stirn, ein Entermesser in der einen und einen schweren Belegnagel in der anderen Hand, keuchte Tyrrelclass="underline" »Das war knapp!«Dann warf er sich, ein hinkender Riese, mitten ins Handgemenge, ließ seine Waffen wirbeln und brüllte Anfeuerndes in jedes Ohr, das ihn noch hören konnte.
Im unteren Batteriedeck war das Klirren und Scharren über den Köpfen erschreckend anzuhören: als sei ein irrer Mob außer Rand und Band geraten.
Midshipman Evans tastete sich durch den Rauch und suchte die Leiter zum Oberdeck. Er rutschte in Blutlachen aus und wäre fast über die Leiche eines Stückmeisters gefallen. Als er sich wieder aufrichtete, sah er einige Gestalten durch eine offene Stückpforte hereinklettern, deren Kanone aus Munitionsmangel aufgegeben worden war.
Das war der Feind!
Die Erkenntnis lähmte ihn, verschlug ihm den Atem, und er wollte fliehen, wollte sich verkriechen vor dem Gräßlichen, das ihn umgab. Aber ein verwundeter Matrose taumelte neben ihm von seiner Kanone zurück, beide Hände auf eine klaffende Bauchwunde gepreßt, in den hervorquellenden Augen das helle Entsetzen.
Zwei Franzosen sahen ihn und holten nach ihm aus. Der Matrose stürzte und versuchte mit ausgestreckten Fingern, Evans' Fuß zu erreichen.
«Hilfe!«krächzte er.»Hilf mir, um Gottes willen!»
Evans war erst dreizehn Jahre alt, aber für den Verwundeten bedeuteten sein blauer Uniformrock und die weißen Kniehosen Macht und vielleicht Sicherheit vor Tod und Verzweiflung.
Also zog Evans seinen kurzen Dolch und richtete die Spitze auf die Franzosen.
Rutschend kamen die beiden zum Stillstand, vielleicht ernüchtert beim Anblick ihres kindlichen Gegners.
Wie ein heller Lichtfleck tauchte Crockers weißer Haarschopf im Halbdunkel auf. Er schwang einen Ladestock mit beiden Händen, hieb damit auf die Franzosen ein und warf sie auf die Knie. Ein weiterer Matrose sprang herzu und bereitete ihnen mit blitzendem Entermesser ein schnelles Ende.