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Jetzt hatten sie eine Chance, wenn auch nur eine verschwindend kleine.

Vom Vorschiff erscholl ein scharfes Kommando, gefolgt von knatterndem Musketenfeuer. Ungläubig starrte Bolitho nach vorn, fühlte sich erinnert an den Morgen auf San Felipe, als Hauptmann Dewar so kaltblütig den rechten Augenblick abgewartet hatte, ehe er in die Inselkavallerie feuern ließ. Aber jetzt lag Dewar tot, mit weggeschossenem Unterkiefer, und Dutzende von Füßen trampelten über seine Leiche, wenn der Kampf vor- und zurückflutete. Auch hatten seine Soldaten nicht auf den richtigen Moment gewartet, sondern schon die ganze Zeit todesmutig gekämpft.

Und doch, irgendwie, hatten sie auf dem Vorschiff Front zum Feind gemacht. Bolitho erkannte Hawtaynes Hut über dem Qualm und hörte seine schrille Stimme kommandieren:»Zweite Reihe vor! Legt an — Feuer!»

Die Salve krachte mit verheerender Wirkung in die dichtgedrängten französischen Enterer.

Doch zum Nachladen blieb den Briten keine Zeit.

Bolitho sprang die Leiter zum Batteriedeck hinunter, ohne auf den Schmerz in seinem verwundeten Bein zu achten, und rannte über die Trümmer und Gefallenen hinweg nach vorn, den Blick auf die zurückweichenden Feinde gerichtet.

Hawtayne rief:»Rückt vor!«, und die aufgepflanzten Seitengewehre glitzerten im matten Sonnenlicht, als die Soldaten zur Attacke schritten.

Ein junger französischer Offizier lief herbei, um Bolitho abzufangen. Er war etwa so alt wie Adam, auch ebenso schwarzhaarig und gut aussehend. Als Stahl gegen Stahl klirrte, zuckte in Bolitho mit betäubendem Schock die Erkenntnis auf, daß sein Neffe höchstwahrscheinlich längst tot war.

Der junge Offizier verlor die Balance, als Bolitho seinen Säbel beiseite schlug. Für den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich seine Pupillen in begreifendem Entsetzen, dann lag er schon am Boden. Bolitho zog den Säbel zurück und merkte, daß seine Leute an ihm vorbei nach vorn drängten; ihr Geschrei klang jetzt, da die Rollen plötzlich vertauscht waren, wieder stark und zuversichtlich.

Leutnant Scott winkte mit seinem Säbeclass="underline" »Enterer vor!»

Jubelnd, fluchend, todesmutig wälzte sich die Flut menschlicher Leiber hinüber auf das andere Schiff.

Bolithos Säbel hackte abermals einen französischen Offizier aus dem Weg, aber der Arm wollte ihm fast nicht mehr gehorchen. Wie lange konnten sie noch durchhalten?

Jetzt stand er auf dem Seitendeck von Argonaute und wurde von der Woge seiner Männer nach achtern mitgerissen: zur Poop, denn wer sie hatte, hatte das Schiff.

Kaleidoskopartig stiegen Bilder vor Bolithos Auge auf: Adams Gesicht, als er ihm das Mädchen aus Boston zu beschreiben versuchte; Tyrrells verzweifelter Stolz, mit dem er sich nach einem Land einschiffte, das er noch nie betreten hatte. Der kleine Evans, der das brennende spanische Schiff beobachtete oder ihm wie ein Schatten überallhin folgte. Und Allday, der ihn auch dann noch schützen wollte, als ihn seine eigene schreckliche Wunde lahmte.

Gebrüll und Geschrei erscholl explosionsartig auf dem breiten Achterdeck, Männer flogen wie blutige Bündel nach allen Seiten, als eine mörderische Kartätschenladung mitten in sie hineinfuhr.

Bolitho wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß aus den Augen und starrte zum Poopdeck hinauf.

Narrten ihn seine Augen? Aber nein, er hatte nicht den Verstand verloren, da oben stand wirklich Adam mit einem anderen Offizier und einigen Männern der Achates. Das Rohr der Drehbasse rauchte noch, es war abwärts gerichtet auf die dichten Reihen der Verteidiger und ihrer Offiziere. Die Kartätschenladung hatte dieselbe verheerende Wirkung erzielt wie die Salve der Marineinfanterie.

Leutnant Scott vergaß ganz seine gewohnte Selbstbeherrschung, schlug Bolitho auf die Schulter und schrie:»Bei Gott, das ist der Flaggleutnant, Sir! Der junge Teufel hat ihnen den Rest gegeben!»

Damit rannte er seinen Leuten nach, blieb aber noch einmal kurz stehen und sah zu seinem Vizeadmiral zurück; es war nur ein Blick, aber er sagte mehr als tausend Worte.

Trotzdem, der Feind war immer noch in der Überzahl, und jetzt mußte jeden Moment ein Anführer auftauchen, einer, der seine Leute um sich scharen und zum Gegenangriff führen würde.

Bolitho musterte seine keuchenden, abgekämpften und zum Teil verwundeten Männer, die sich auf ihre Entermesser und Piken stützten. Noch einem Gefecht waren sie nicht gewachsen.

Leutnant Trevenen kam heranmarschiert und tippte mit dem Säbelgriff grüßend an seinen Hut: Achates' jüngster Leutnant, den Rivers als Geisel genommen hatte. Die Augen in seinem schmutzigen Gesicht leuchteten, als er berichtete:»Die Franzosen haben die Flagge gestrichen, Sir. «Er verstummte verlegen, als sich Seeleute und Soldaten näher herandrängten, dann versuchte er es noch einmaclass="underline" »Mr. Knocker hat eine Nachricht geschickt. «Die Stimme versagte ihm, er senkte den Blick, während ihm die blanken Tränen über die rußigen Wangen liefen.

Leise sagte Bolitho:»Sie haben sich sehr gut gehalten, Mr. Treve-nen. Bitte fahren Sie fort.»

Der Leutnant sah ihn an.»Mr. Knocker läßt Ihnen sagen, daß sich von Süden her ein Schiff nähert. Eins von unseren 74ern.»

Bolitho schritt durch die Umstehenden davon, hörte sie jubeln und einander auf die Schultern schlagen und fühlte sich wie ein unbeteiligter Zuschauer.

Am großen Ruderrad stieß er auf den französischen Admiral. Er war am Arm leicht verwundet und wurde von zwei Offizieren gestützt.

So standen sie einander gegenüber, Auge in Auge.

Schließlich sagte Jobert wie beiläufig:»Ich hätte es wissen müssen, als ich Ihr Schiff erkannte. «Er setzte zu einem Schulterzucken an, aber der Schmerz hinderte ihn daran.»Sie sollten mir eine Insel übergeben. «Ungeschickt nestelte er an seinem Säbel.»Und jetzt übergebe ich Ihnen dies.»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Nein, M'sieu. Sie verdienen, ihn zu behalten.»

Damit wandte er sich ab und schritt zum Schanzkleid hinüber, während ihm Jubel- und Hurrageschrei in den Ohren gellte.

Viele Hände packten zu und halfen ihm auf das trümmerübersäte Deck von Achates hinüber, wo er als erstes Fähnrich Ferrier und Bootsmann Rooke gewahrte, die strahlend ihre Hüte schwenkten.

Wenn sie doch nur damit aufhören würden!

Er ließ den Blick über die stummen Gestalten schweifen, die auf dem Batteriedeck hingestreckt lagen. Wie war es bestellt um die Ruhe dieser Tapfersten von allen? Und wie um die Verwundeten, die jetzt im Orlopdeck den Preis für seinen Sieg entrichteten?

Er wandte sich um, als er Alldays schleppenden Schritt näherkommen hörte, und sah, daß sein alter Bootsführer Joberts Flagge über der Schulter trug.

Bolitho packte ihn am Arm.»Alter Halunke! Wirst du denn nie tun, was man dir sagt?»

Alldays Atem ging pfeifend, aber er schüttelte grinsend den Kopf.»Kaum, Sir. Alter Hund lernt keine neuen Tricks.»

Mit feuchten Augen trat Bolitho an die Reling, wo Keen in einem abgesplitterten, blutbefleckten Stuhl lehnte, während Tuson seine Wunde untersuchte.

Heiser sagte Keen:»Wir haben's also geschafft, Sir. Wie ich höre, ist das Schiff, das auf uns zuhält, ein 74er. «Und mit dem Schatten eines Lächelns:»Auf ihm können Sie Ihre Flagge setzen und lange vor uns zu Hause sein.»

Die Jubelrufe wollten immer noch nicht verstummen, stellte Bolitho fest. Drei gegen einen hatte es gestanden. Aber sie hatten gesiegt, und das würde man bald in ganz England erfahren.

Leise sagte er:»Nein, Val. Meine Flagge bleibt auf Ihrem Schiff. Wir segeln gemeinsam nach Hause. Und zwar«, schloß er mit einem melancholischen Lächeln,»auf dem alten Käthchen.»

Epilog

Bolithos Heimkehr wurde ein größeres Fest, als er während der langen Monate seiner Abwesenheit zu hoffen gewagt hätte. Und doch, wie vorausgeahnt, stimmte es ihn auch traurig. Das Abschiednehmen in Plymouth war ebenso bewegend wie der Willkomm, als die narbenbedeckte, arg mitgenommene Achates den Anker hatte fallen lassen; ihre Prise, die Argonaute, wurde sofort ins Trockendock übernommen.