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Als Krista vom See zurückkehrte, stellte sie fest, dass ihr Mann und ihre Tochter beide auf dem Sofa eingeschlafen waren. Es sollte noch eine gute Stunde dauern, bis sie wieder aufwachten. Zu diesem Zeitpunkt erreichte der Sturm, der jetzt wesentlich heftiger als am Morgen tobte, seinen Höhepunkt. Ein ohrenbetäubender Donnerschlag weckte Vater und Tochter, die wie aus einem Mund erschrocken aufschrien.

7

»Wen willst du anrufen?«

Sie waren bereits zu Bett gegangen, obwohl es erst 22 Uhr 30 war. Scott lehnte an der Kopfstütze des Bettes, Krista hatte sich dem Telefon zugewandt und hielt den Hörer in der Hand. Kath war in ihrem Zimmer und schlief. Ehe Scott unter die Bettdecke gekrochen war, hatte er einige Valium-Tabletten eingenommen. Ihm war klar, dass das Valium nicht viel gegen die Schmerzen ausrichten würde, aber er hoffte, es würde ihm wenigstens das Einschlafen erleichtern. Bei dem, was sein Körper gerade durchmachte, half momentan nur Ruhe.

»Caroline«, erwiderte Krista. »Ich hab's heute Nachmittag schon mal versucht, aber sie hat nicht abgenommen. Ich wollte ihr nur Bescheid sagen, dass Kath und ich an diesem Wochenende doch nicht zu ihr nach Boston kommen.«

»Warum nicht?«, wollte Scott wissen, aber er kannte die Antwort bereits.

»Du weißt genau, warum. Ich kann dich doch in diesem Zustand nicht alleine lassen.«

»Hör zu, Kris. Leg wieder auf und lass uns für eine Minute darüber reden, ja?« Sie gab nach. »Es gibt nicht den geringsten Grund, warum du nicht fahren solltest. Mir geht's jetzt wieder gut. Ich werde zwar noch ein paar Tage Schmerzen haben, aber das ist auch alles. Am Montag bitte ich Steve Franklin, sich mal meine Hüfte anzusehen ...«

»Du wirst am Montag ganz bestimmt nicht zur Arbeit fahren«, sagte Krista. »Herrje, Bowman, ich kann's einfach nicht fassen. Da liegst du hier, wärst fast ertrunken und denkst schon wieder an die Arbeit? Ich dachte, wenn du überhaupt irgendwas unternimmst, dann machst du die Woche frei und kommst am Dienstag vielleicht nach Boston nach. Mit dem Flieger. Natürlich nur, wenn es dir bis dahin wieder besser geht.«

Daher also wehte der Wind!

»Ich hab ja überhaupt nichts von Arbeit gesagt«, bemerkte Scott »Wenn ich mich am Montag auch nur halb so mies fühle wie heute, werde ich bestimmt nicht arbeiten gehen. Ich hab nur gesagt, dass ich Steve mal einen Blick auf meine Hüfte werfen lasse.« Steve Franklin war mit Scott befreundet und orthopädischer Chirurg. »Ich kann die Woche nicht frei nehmen, Schatz, das haben wir doch bereits geklärt. Es liegt einfach zu viel an!«

Er zog sie nahe zu sich heran, wobei sie sich ein bisschen sträubte. »Warte mit deiner Entscheidung noch bis morgen, ja? Wenn du unbedingt willst, dann ruf Caroline an, aber sag ihr, du kommst wie geplant. Ihr könnt euch nach wie vor eine richtig schöne Zeit machen. Ja?« Krista nickte widerwillig. »Und falls ich irgendwie Hilfe brauche, bitte ich Gerry rüber, aber ich bin mir sicher, dass ich gut klarkomme. Mir tun nur die Muskeln weh.« Er grinste. »Jedenfalls genehmige ich mir morgen 'ne nette kleine Budweiser-Therapie zur Schmerzbetäubung ... Es gibt wirklich keinen Grund, sich um mich zu sorgen.«

Krista war zwar nicht ganz überzeugt, gab sich aber geschlagen. Sie drehte sich zur Seite und rief bei Caroline an.

Danach schlief sie in derselben Körperhaltung, Scott den Rücken zugewandt, gleich ein.

Um Mitternacht zeigte das Valium endlich Wirkung. Scott konnte zwar nicht richtig schlafen, aber immerhin fühlte er sich geistig und körperlich sehr benommen, wie unter Watte. In Anbetracht der Umstände war das für ihn fast schon so etwas wie Entspannung. Krista, die neben ihm schlummerte, schlief sehr unruhig, wahrscheinlich träumte sie. Vom Flur, der zu Kaths Zimmer führte, war kein Laut zu hören. Das ganze Haus schlief.

Draußen machten sich die letzten Ausläufer des Sturms als leiser, böiger Wind bemerkbar, der gelegentlich auffrischte. Bei diesen plötzlichen Luftzügen bauschten sich die zarten Vorhänge vor dem offenen Nordfenster und tanzten so auf und ab, dass die Gardinenhaken klirrten. Hin und wieder ächzten die Metallverbindungsstücke des Landestegs in einsamer Verzweiflung. Irgendwo da draußen auf dem See antwortete ein Haubentaucher mit seinem Schrei.

Doch Scott nahm keines dieser Geräusche wahr. Die Wellen ... Er hörte nur die Wellen. Sie rollten heran, brachen sich, strichen über die Fässer, streichelten das Ufer wie geübte Fingerspitzen, hämmerten auf ihn ein, griffen nach ihm ... Das Geräusch erinnerte ihn an die Algen, die sich im Totentanz gewiegt hatten. Wie unter einem Zwang lauschte er dem gleichförmigen, hypnotischen Rhythmus.

Eingelullt von der Geräuschkulisse, schlief er irgendwann ein. Und glitt abwärts, immer weiter abwärts.

Auf dem Grund angekommen, tauchte er mit den Füßen voran in eine Lache schwarzen Wassers. Aber es war gar kein Wasser, sondern Treibsand, ein modriger, klebriger Morast, in dem er jetzt schon bis zur Taille steckte und von Sekunde zu Sekunde schneller versank. Um ihn herum breitete sich eine formlose, graugrüne Masse aus, ein Nebel, der so dick war, dass er wie flüssig wirkte.

Jetzt durchbrachen Schritte die Stille - gemächliche, lockere Schritte, die einen bestimmten Takt einhielten. Scott brüllte etwas durch den flüssigen Nebel, doch aus seiner Kehle drang kein Laut, nur ein großer Luftstrom, der hoch in die Dunkelheit blubberte. Vergeudeter Sauerstoff.

Die Schritte verwandelten sich in ein gespenstisch blasses Gesicht mit blutroten Augen, das körperlos im trüben Licht zu schweben schien. Das koboldhafte Grinsen dieses Gesichtes wirkte irgendwie vertraut. Es trieb auf ihn zu, schien durch irgendeine Schutzschicht aus Schlamm zu dringen ... und wurde zu Kaths Gesicht, das übermütig grinste.

Aber ihre Augen waren immer noch rot... rot, stumpf und voller Hass.

Als er blinzelte, war es wieder seine Kath, die wunderbare Kath mit den blauen Augen, die ihren orangeweiß gestreiften Badeanzug trug. Sie bewegte sich auf den Morast zu, beugte sich herausfordernd zu ihm herüber und lächelte.

»Hallo, Daddy«, sagte sie mit einer Stimme, die nicht ihr gehörte. »Du wirst da drin sterben.«

Von Kaths Hand baumelte die gelbe Minolta. Lachend hielt sie ihm die Kamera vor die Augen. Als gleich darauf das Blitzlicht aufflammte, war weit über ihm die Unterseite des Landestegs in jeder Einzelheit zu erkennen.

»Hilf mir, mein Liebling«, sagte Scott, während grelle Punkte auf seiner Netzhaut tanzten. »Um Himmels willen, hilf mir!«

Aber Kath grinste nur, beugte sich noch weiter über das morastige Loch und reichte ihm die Kamera. »Hier, Daddy. Jetzt kannst du mich fotografieren.«

Scott spuckte Treibsand aus. Er spürte, wie er zwischen seinen Zähnen knirschte. Ihm war klar, dass der Treibsand ihn bald verschlingen würde.

Doch er nahm die Kamera und hielt sie sich vor die Augen.

Und als das Blitzlicht durch den Dunstschleier drang, sah er durch den Sucher, dass es nicht seine Tochter war, die er fotografierte, sondern irgendetwas anderes. Etwas mit blutleerer weißer Haut, silbernem Haar... und hasserfüllten roten Augen. Er kannte diese Augen. Sie wirkten wie die eines Tieres, das wie gebannt im grellen Scheinwerferlicht eines näher kommenden Wagens sitzen bleibt.

Als sich der kühle Treibsand bis in seine Nasenlöcher vortastete, ließ er die Kamera fallen. Sie trieb davon, in die graugrüne Masse über seinem Kopf. Da er kaum noch Luft bekam, hob er das Kinn aus dem Morast, der mittlerweile schon in seine Ohren drang.