Während er auf der Toilette saß und ewig lange pinkelte, platzte Krista herein und ließ ihm das Badewasser ein. Genauso plötzlich verschwand sie auch wieder, um bald darauf mit einem Tablett zurückzukehren, auf dem ein Becher mit heißem Kaffee und mit Ei überbackene Toastscheiben standen. Sie half ihm ins Wasser, dessen Hitze gerade noch erträglich war, und stellte das Tablett am Wannenrand ab.
»Wund?«, fragte sie und zauste mit den Fingern an seinen Brusthaaren.
Scott nickte, wahrend er den Toast gierig verschlang. Plötzlich hatte er einen Bärenhunger. »Und das ist noch untertrieben«, fügte er hinzu, nachdem er das Brot mit Kaffee hinuntergespült hatte.
Krista begann, die Wadenmuskeln an Scotts rechtem Bein durchzukneten. Er genoss es so, dass er die Augenlider auf Halbmast sinken ließ. Hastig brachte er sein Frühstück hinter sich und streckte sich danach so aus, dass das Wasser ihm bis zum Kinn reichte.
»Gestern Nacht hast du mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, mein Lieber«, sagte Krista, wahrend sie sich einen riesengroßen Badehandschuh überstreifte und die Muskeln an seinem Oberschenkel zu bearbeiten begann.
Fragend sah er sie an. »Was meinst du damit?«
»Erzähl mir bloß nicht, dass du dich nicht daran erinnern kannst. An den Albtraum? Du hast dich im Bett aufgesetzt, bist fast aufgestanden und hast mich dann gebeten, das Fenster zu schließen.«
Scott schüttelte den Kopf. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war Kristas Anruf bei Caroline in Boston, und selbst davon wusste er nur noch Bruchstücke. Das Valium, dachte er wieder, kramte in seinem Gedächtnis und versuchte, sich irgendetwas von dem, was nach dem Anruf geschehen war, vor Augen zu rufen. »Ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Kaum zu glauben.« Krista unterbrach ihre Massage kurz. »Ich meine, immerhin hast du doch im Bett gekniet und mich direkt angesehen, als du mich gebeten hast, das Fenster zuzumachen.«
Scott erklärte ihr, die Amnesie sei eine der Nebenwirkungen von Valium, insbesondere, wenn man es in einer Stress-Situation einnehme. Vor allem deswegen sei Valium auch ein beliebtes Beruhigungsmittel vor Narkosen und Operationen. Krista nickte geduldig, aber ohne sonderliches Interesse.
»Und wie steht's mit deiner Reise nach Boston?«, fragte Scott gleich darauf.
»Ich weiß noch immer nicht, ob ich überhaupt fahren soll.«
Krista blickte auf ihre angewinkelten Knie. »Es wäre schrecklich, wenn dir hier irgendetwas zustoßen würde, während du ganz allein bist. Du könntest hinfallen oder ...«
»Oder was?«, fragte Scott, ohne ernsthaft eine Antwort zu erwarten. »Hör mal, ich mach dir ein Angebot: Falls du fahren möchtest, kannst du den Volvo nehmen.«
Kristas Gesicht strahlte so auf wie das eines Kindes am Weihnachtsmorgen, verdüsterte sich aber genauso schnell wieder. »Versuchst du etwa, mich loszuwerden, Scott Bowman? Hast du eine Affäre?«
Eine Sekunde lang dachte Scott, sie meine es ernst. Er wollte ihr gerade sagen, wie lächerlich er die Frage fand, als Krista kicherte und ihn nass spritzte. »Ist das mit dem Volvo wirklich dein Ernst?«, fragte sie mit sonnigem Lächeln.
»Würde ich je spaßen, wenn's um den Volvo geht? Jedenfalls gefallt es mir gar nicht, wenn ich mir vorstelle, dass du die ganze weite Strecke mit dem Chevette fährst, ob neu oder nicht. Falls du mit der verdammten Karre einen Unfall hättest ...« Er beugte sich hinüber, um sie zu küssen, wobei Badewasser auf ihre Hose spritzte. »Einverstanden? Ich möchte, dass du fährst.«
Das war eine glatte Lüge. Er freute sich überhaupt nicht darauf, allein zu Hause zu bleiben; es würde das erste Mal seit ihrem Einzug sein. Nicht, dass er Angst oder so etwas hatte ... Er war einfach höchst ungern allein, das war seine ganz persönliche Neurose.
Dennoch fuhr er mit den Verhandlungen fort: »Die Reise wird euch beiden gut tun. Falls ich irgendetwas brauche, ruf ich Gerry an. Und die Andersons sind ja auch nur fünf Minuten entfernt. Heute geht's mir sowieso schon viel besser.«
Krista zog skeptisch die Augenbrauen hoch.
»Abgemacht?«, fragte Scott locker.
»Abgemacht«, erwiderte Krista, nachdem sie ein Weilchen überlegt hatte. »Ich fahre.«
Inzwischen war es Mittag geworden. Sie standen bei dem voll geladenen Volvo, Scott im Bademantel, Krista in Shorts und kurzem, gelben Trägerhemdchen. Ebenso belustigt wie verblüfft stellte Scott fest, dass seine beiden Frauen so viele Klamotten und weiß Gott was eingepackt hatten, dass sie damit wohl bis ins nächste Jahrhundert auskommen würden. Es war ein klarer, heißer Tag, ideal für die Fahrt in einem klimatisierten Sportwagen.
»Und vergiss nicht...«, sagte Scott, während Krista sich zum Rücksitz beugte, um die Kühltasche sicher zu verstauen, »dass du beim Tanken ...«
»... nur Super nehmen darfst«, ergänzte Krista. Bereits zum dritten Mal ging Scott mit ihr sein Zwanzig-Punkte-Programm für Pflege und Wartung des Volvo durch. Wenn es um den Wagen ging, verhielt sich Scott wirklich wie ein altes Waschweib.
»Ich werd schon gut für dein Baby sorgen«, sagte Krista. »Okay?«
Scott gab ihr einen Klaps auf den Hintern. Er fühlte sich schon viel besser, das Bad hatte Wunder gewirkt und ihn gelockert. »Wo ist denn Kath?«
Kristas Lächeln schwand. Auf ihrer Stirn tauchte dieselbe steile Falte auf, die auch Kath verunzierte, wenn sie sich Sorgen machte. »Unten am Anlegesteg. Sie verhält sich immer noch ein bisschen ... komisch, weißt du. Ich glaube, dein Unfall ist ihr ziemlich nahe gegangen. Ich geh sie holen.«
»Nein, lass mich gehen.«
Als er zu ihr stieß, saß sie mit angezogenen Beinen, das Kinn auf die Knie gestützt, auf dem Anlegesteg. Sie trug eine hübsche, bräunliche Kombination aus Shorts und einem kurzärmeligen Hemd. Und sie weinte.
Scott spürte, wie etwas in seiner Brust ihm zu schaffen machte. Er setzte sich neben sie, nahm sie in die Arme und wiegte sie hin und her. »Was ist los, mein Flickenpüppchen?«
Kath sah mit nassen Augen zu ihm empor, lächelte schwach und brach in ein tränen- und spuckefeuchtes Kichern aus.
Seit ihrem fünften Lebensjahr hatte niemand mehr Flickenpüppchen zu ihr gesagt.
»Weißt du noch, warum ich dich früher so genannt hab?«
»Weil ich mir ständig die Klamotten zerrissen hab und Mom sie dauernd flicken musste?«
»Genau.« Er drückte sie fest an sich. »Also, Frau Doktor, was ist los?«
Nachdem sie einen Augenblick still nachgedacht hatte, als fürchte sie, der nächste Satz könne irgendwie peinlich sein, sprach Kath ihre Frage schließlich aus: »Kommst du auch klar, Daddy? Ich meine, wenn wir weg sind?«
»Aber natürlich, Liebes. Mir geht's wieder gut. Es ist alles ausgestanden, mein Liebling.«
»Versprichst du mir, nicht schwimmen zu gehen, bis ich wieder da bin?«
Kaths liebevolle Worte lösten in seinem Inneren Bilder aus, bei denen es ihn eiskalt überlief, so dass er unwillkürlich schwieg. Eigentlich hatte Scott seine Tochter beruhigen, ihr die kindlichen Ängste nehmen wollen. Doch das sanfte Schaukeln des Anlegestegs brachte ihn aus dem Gleichgewicht und schlug ihm so auf den Magen, dass er nervös zuckte. Als er über das Wasser blickte, glaubte er da draußen irgendetwas auszumachen, das sich bewegte. Etwas Dunkles, Unförmiges. So plötzlich, als habe jemand ein Streichholz entzündet, flackerte furchtbare Angst in ihm auf.