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Umgeben von Ordnung und gesammeltem Wissen, war Bateman in seinem Büro ganz und gar in seinem Element. Auf seinem Schreibtisch, der auf jeder Seite von wahren Mauern aus Lehrbüchern und Publikationen flankiert wurde, befanden sich lediglich eine Schutzunterlage, eine ausziehbare Leselampe und ein leerer Ablagekorb für Postein- und -ausgange. Der Rest der riesigen, glänzenden Schreibtischplatte war leer.

Wie ein stummer Diener stand daneben eine kleine, schwarze Tafel, die makellos sauber gewischt war. Vom Platz an diesem Schreibtisch aus präsidierte Bateman wie ein Landesfürst über die Abteilung. Man hätte ihm glatt zugetraut, dass er eine funkelnagelneue Guillotine in petto habe.

So sehr Scott den Snobismus des Chefs der Psychiatrie im Umgang mit den Kollegen auch verabscheute, musste er doch einräumen, dass Bateman in seinem Beruf Hervorragendes leistete. Als Wunderkind, das mit cum laude in Harvard promoviert hatte, war er seinen Kollegen, was die klinische Psychiatrie betraf, tatsächlich haushoch überlegen. In dieser Hinsicht war er wirklich phänomenal. Außerdem hatte Bateman ein besonderes Interesse am Paranormalen, und das schloss ungewöhnliche Dinge, Ereignisse und Menschen ein.

Es war eine Nebenbeschäftigung, die er so gerissen in seine Forschung hineingeschmuggelt hatte, dass der Etat sie abdeckte. Seine Vorliebe für die Parapsychologie war einer der Hauptgründe dafür, dass seine Kollegen ihn für ein wenig verschroben hielten. Auf einem Bücherregal über Batemans Kopf führten zwei einschlägige Werke die Reihe von zehn oder zwölf Abhandlungen an - allesamt in Leder gebunden - die Bateman auf diesem Gebiet verfasst hatte.

Scott hatte seinem Chef bereits von dem Vorfall im See berichtet und auch erwähnt, wie er darauf gekommen war eine Verbindung zwischen der ersten Zeichnung des Alten und der eigenen Person herzustellen.

»Da ist ja wirklich eine tolle Entdeckung«, stellte Bateman mit echter, fast jungenhafter Begeisterung fest. »In Anbetracht dessen, was Sie zweifelsfrei bestätigen können, haben wir hier einen Fall von echter Präkognition, der kaum zu widerlegen sein dürfte.« Er strich sich über den bleistiftdünnen Schnauzbart.

Scott schob ihm weitere Blätter zu, die er auf der Schreibtischunterlage ausbreitete. Ehe er sie betrachtete, richtete er Blatt für Blatt mit den perfekt manikürten Fingern so aus, dass die Zeichnungen eine gerade Reihe bildeten.

»Wenn mich nicht alles täuscht«, sagte Scott und deutete auf den ersten Cartoon einer neuen Serie, »ist das hier das Flugzeug der Air Canada, das vor wenigen Wochen in Uplands verunglückt ist. Falls Sie sich erinnern: Es ist noch während des Starts am Ende der Rollbahn explodiert.«

»Ja, fürchterliche Katastrophe. Mehr als dreihundert Tote. Die Zeichnungen sind verblüffend.«

»Und das hier«, Scott deutete auf ein anderes Blatt, »ist das Restaurant am Sussex Drive. Erinnern Sie sich daran? An den Bombenanschlag der Terroristen im letzten Monat?«

»Ja, schrecklich.« Bateman nickte. »Der alte Junge hat also die ganze Zeit über versucht, uns etwas mitzuteilen.«

»Jedenfalls sieht es ganz danach aus.« Scott war die Ehrfurcht deutlich anzumerken. »Dabei hatten wir doch angenommen, dass er von all dem im Radio gehört und erst danach die Zeichnungen fabriziert hat. Fast unglaublich, dass er diese Katastrophen in Wirklichkeit vorhergesehen hat.

Mein Gott, ich wünschte, das hätte ich schon vor meinem Tauchgang gewusst.«

Scott schwieg nachdenklich. Genau wie Krista war er ein realistischer Mensch. Was Dinge wie das Hellsehen, außersinnliche Wahrnehmungen, Telekinese und ähnlichen faulen Zauber betraf, war er stets ein Skeptiker gewesen. Aber das hier ... war allzu fantastisch, um es als belanglos abzutun. Erneut rief er sich die Begegnung mit dem Zeichner am Freitagnachmittag ins Gedächtnis. Als die Krankenschwester vorbeigekommen war, um Scott mitzuteilen, Krista sei am Apparat, hatte er offensichtlich ein schnelleres Tempo vorgelegt Der alte Kerl hatte tatsächlich versucht, ihn mit seinen Zeichnungen vor dem Tauchgang im See zu warnen.

Scott deutete auf den zweitletzten Cartoon der Serie, die sich auf sein Erlebnis auf dem Seegrund bezog. Darauf waren die bösartigen, roten Augen zu sehen, die von unten heraufspähten, und die Reptilienklaue, die nach dem Knöchel griff. »Und was ist damit?«, fragte er. »Warum, glauben Sie, will er uns weismachen, dass im See irgendein Ungeheuer haust?«

»Vielleicht hängt es mit dem zusammen, was Sie vorhin über diesen Mann gesagt haben, wenn es auch nur eine Hypothese ist. Vermutlich war er irgendwann einmal ein Profi-Zeichner. Ich könnte wetten, dass er für Horror-Comics oder irgendwelche Magazine gearbeitet hat.« Bateman strich sich über den Schnauzbart. »Falls das stimmt, dann ist die Idee, dass irgendein gewalttätiges Monster sein Unwesen in Ihrem See treibt, nur eine Ausschmückung. Sozusagen die Glasur, ein Überbleibsel aus seinem früheren Berufsleben als Comic-Zeichner. Die simple Botschaft, die er zu vermitteln versucht - he, Doktor, Sie werden da unten ertrinken —, hat er in die Theatralik eines Groschenhefts gekleidet, denn dafür hat er von jeher ein Gespür. Wenn Sie nach einer einfachen Botschaft suchen, müssen Sie nur hinter die Tünche des Horror-Comics blicken.«

Scott nickte. Wenn man das ungestüme Talent des Alten berücksichtigte, schien diese Deutung plausibel. »Sind Sie jemals auf Ähnliches gestoßen?«

»Es gibt jede Menge Literatur darüber«, erwiderte der ältere Psychiater und deutete mit großspuriger Geste auf die Bücherregale in seinem Rücken. »Zahllose Abhandlungen, über alles und jedes, deren Verfasser von der Existenz solcher Phänomene ausgehen. Das reicht von der Präkognition bis zu so verrückten und wunderbaren Dingen wie der Pyrokinese oder der Hirnkontrolle mittels Telepathie. Aber nein, persönlich habe ich so etwas wie das hier noch nie erlebt, nicht aus erster Hand.

Angesichts der psychischen Fähigkeiten, die Ihr Mann offensichtlich besitzt«, fuhr Bateman in dozierendem Ton fort, »macht die Tatsache, dass er im klinischen Sinne senil ist, das alles noch viel interessanter. In den Siebzigerjahren haben die Franzosen ein Experiment mit Ratten durchgeführt, denen sie Zahlen zuordneten. Per Computer wurden dann diejenigen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, die geopfert werden sollten. Eine Ratte pro Tag. Die Wissenschaftler haben die überlebenden Ratten beobachtet und nach Anzeichen auffälligen Verhaltens gesucht. Sie konnten statistisch signifikant beweisen - außerdem war das Experiment jederzeit reproduzierbar dass kleinere Gruppen von Ratten, jeweils fünf oder sechs, tatsächlich auffällige Verhaltensmuster entwickelten. Und mehr als die Hälfte der Ratten, die mit dem Sterben als Nächste dran waren, gehörte zu der jeweiligen Kleingruppe.

Außerdem hat sich in den Siebzigern eine russische Forschungsgruppe mit Versuchen an Kaninchen befasst. Zu einem festgesetzten Zeitpunkt wurden kleine Kaninchen in einiger Entfernung zu ihren Eltern getötet. Auch bei diesem Experiment konnten die Forscher einen bestimmten Grad von psychischer Perzeption nachweisen. Denn unmittelbar vor oder zu dem Zeitpunkt der Tötung wurden viele Elterntiere auffällig unruhig.

Worauf ich hinauswill, ist Folgendes: Offenbar hat der Mensch größere Probleme als andere Lebewesen damit, an den Teil seines Hirns heranzukommen, der für die besondere Wahrnehmungsfähigkeit zuständig ist Das liegt am Neocortex, dem phylogenetisch jüngsten Teil der Gehirnrinde« - er griff sich mit dem grazilen Finger an die Stirn - »der ein Skeptiker ist. Er weigert sich, bestimmte Botschaften aufzunehmen, die er von niedrigeren, tierischen Schichten empfangt, die in evolutionsbiologischer Hinsicht älter sind. Aber dieser Zeichner mit seiner geschrumpften, lädierten Großhirnrinde ... Möglich, dass er irgendwie auf ähnliche Weise reagiert wie die französischen Ratten und die russischen Kaninchen.« Bateman grinste weise.