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Während Scott die Hand wieder zurückzog, bemerkte er, wie wichtig der Körperkontakt zu seiner Frau für ihn in diesem Moment war, wichtig wie ein festes Kneifen, das einen wieder zurück in die Realität holt. Es gab ihm die Sicherheit, dass das hier echt war: Krista, das Schlafzimmer, ihr gemeinsames Leben - nicht diese karge, enge Zelle. In dem Traum, der ihm so realistisch und erschreckend logisch vorgekommen war, hatte sein normales Leben nicht mehr existiert. Alles war ihm mit einem Mal auf grausame Art und Weise genommen worden.

Und schon kamen die Bilder in erschreckender Klarheit wieder. Scott schwang die Beine aus dem Bett und blieb wie erstarrt, die Fäuste auf die Matratze gestemmt, sitzen. Eine leichte, durch die Seeluft feuchte Morgenbrise strich durch die dünnen, pfirsichfarbenen Vorhänge und plusterte sie wie von Geisterhand auf. Scott sah aus dem Fenster und ließ den Blick zu den Nebelschwaden über dem See schweifen, ohne sie wirklich wahrzunehmen.

Immer noch hatte er die trostlosen Bilder seines Traums vor Augen.

Der weiße Raum war das Schlüsselbild: Es war nicht ein beliebiges Zimmer, sondern eine Gummizelle gewesen. Während seiner Ausbildung zum Psychiater hatte Scott nur eine einzige irrationale Angst gekannt: trotz geistiger und seelischer Gesundheit in einer Gummizelle zu landen. Es hatte so eine Zelle im Keller des Krankenhauses, in dem er gelernt hatte, gegeben - eine stickige, finstere Kammer, die bis in ihren letzten Winkel mit einer fünfzehn Zentimeter dicken Gummischicht ausgekleidet war. Der Geruch von altem Schweiß und rasender Wut früherer Insassen war aus jedem Winkel der schmutzigen Zelle gesickert, es hatte wie in einem Raubtierkäfig gestunken. Scott hatte nur selten allein hinuntergehen müssen, aber bei solchen Gelegenheiten hatte er jedes Mal vor Angst gezittert, panisch wie ein Kind, das auf einen Kleiderschrank zugeht, aus dem kurz zuvor unheimliche Geräusche wie ein Kratzen oder leises, wütendes Knurren gedrungen sind.

In seinem Traum war Scott in genau so einer Gummizelle eingekerkert gewesen, er hatte die Bilder jetzt klar vor Augen. Seine Arme hatten in einer Zwangsjacke gesteckt, und er war mit Drogen voll gepumpt, die sein Hirn benebelten. Seine Familie, der man weisgemacht hatte, er sei unheilbar geisteskrank, hatte ihn aufgegeben. Und die Leute da draußen, die Leute, die ihn therapierten, waren anonym geblieben und unzugänglich gewesen. Keine seiner Äußerungen wurde ernst genommen, Ärzte und Pfleger hielten sie für das irre Geschwafel eines Geisteskranken. Aber er war nicht irre. Allerdings würde es, falls er nicht bald entlassen werden sollte, irgendwann zu spät sein, um ...

An diesen Teil des Traums kam er nicht mehr heran. Angesichts des warmen, goldenen Lichts des erwachenden Augustmorgens war er auch keineswegs sicher, ob er den Rest überhaupt wissen wollte. Letztendlich war es doch nur ein Traum gewesen.

Dennoch blieb ein schlechtes Gefühl zurück, das wie eine feuchte Decke auf ihm lastete, ein Gemisch aus Angst, Einsamkeit und der sehr realen Empfindung körperlicher Krankheit. Es war ein Gefühl plötzlicher Kälte, das er sehr genau kannte und das ihn schon einmal vor zehn Jahren erwischt hatte. Damals, in der mitternächtlichen Stille seiner Praktikantenbude, war er beim lauten Schrillen des Telefons aus dem Schlaf geschreckt. Irgendein Verwandter hatte ihm mitgeteilt, seine Eltern seien im Schlaf bei lebendigem Leibe verbrannt. Von der großen, alten Villa in Rockliffe sei nichts als Schutt und Asche geblieben.

»Was für morbide Gedanken ...«, dachte Scott, innerlich zitternd. Warum hatte ausgerechnet dieser Tag unter solch düsteren Vorzeichen beginnen müssen?

Erneut warf er einen Blick auf seine schlafende Frau. Die Wärme, die von Krista und seinem Zuhause ausging, gab ihm Trost: Ich bin in meinen eigenen vier Wänden, bei meinen Lieben, sagte er sich. Das leere Gefühl in seinem Inneren war absurd, durch nichts als einen Traum hervorgerufen. Er beschloss, es einfach zu begraben.

Gleich darauf angelte er sich seinen Bademantel vom Haken hinter der Tür und streifte ihn über. Der Wecker war auf halb acht gestellt, aber es war gerade erst Viertel nach sechs. Er hatte nicht vor, wieder einzuschlafen, also schaltete er den Wecker aus und verließ das Schlafzimmer. Leise schlich er über die Dielen des Flurs bis zur Treppe, blieb jedoch aufgrund irgendeiner plötzlichen Gefühlsregung stehen und trat gleich darauf den kurzen Rückweg zum Zimmer seiner Tochter an. Lautlos öffnete er die Tür und spähte hinein.

Die >Ghostbuster<-Tapete mit ihren kleinen Verbotsschildern tat seinen Augen weh, jeder einzelne Geist schien ihn anzugrinsen und ihm aus dem durchgestrichenen, roten Kreis entgegenzuspringen ...

Kaths Messingbett funkelte in der Morgensonne. Die Glasoberfläche ihrer Kommode war mit winzigen Plastikschlümpfen übersät, die einen so schroffen Gegensatz zu den ersten Spuren der nahenden Pubertät bildeten, dass er den Anblick fast schon als tragisch empfand. Mascara, Kajalstift und Modeschmuck waren jetzt noch Spielzeug, aber bald, viel zu bald, würde Kath all das bitterernst nehmen. Seine zehnjährige Tochter, zugedeckt mit einer leichten Sommerdecke, lag zusammengerollt auf der Seite, den sonnengebräunten Arm liebevoll um Jinnie, ihre Flickenpuppe, geschlungen. Von seinem Beobachtungsposten an der Tür aus betrachtete Scott die ungezähmten Locken ihres feinen, goldfarbenen Haares.

Auf Zehenspitzen durchquerte er das Zimmer und beugte sich über das Bett seiner Tochter. Kaths Mund, ein kleines, dunkles, von erdbeerroten Lippen umrandetes Oval, war leicht geöffnet, die Stupsnase ins Kissen gedrückt. Ihr niedliches, rundes Gesicht strahlte vor sommerlicher Bräune. Die Liebe, die Scott in diesem Moment für seine Tochter empfand, war so heftig, dass es fast schon wehtat. Er gab ihr einen zarten, fast schüchternen Kuss auf die vollen Wangen und ging dann still und leise aus dem Zimmer.

Noch während Scott die Tür hinter sich schloss, überfiel ihn eine derartig heftige, kaum zu kontrollierende Beklemmung, dass es ihn selbst zutiefst erschreckte. Scott wurde sich jäh bewusst, dass er nur deshalb in Kaths Zimmer gegangen war, um nachzusehen ... sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich dort war. Sicher war das verrückt: Er hatte sich noch immer nicht aus diesem verrückten, bedrückenden Traum gelöst.

Unten in der Küche bereitete sich Scott ein leichtes Frühstück, das aus Toast und Kaffee bestand, danach polterte er zurück nach oben, um zu duschen und sich zu rasieren, wobei er viel lauter war als nötig. Als er feststellen musste, dass der Lärm seiner Waschrituale weder Frau noch Tochter aufgeweckt hatte, spürte er einen kleinen Anflug von Enttäuschung. Einen Augenblick lang kam ihm die wunderbare, aufmüpfige Idee, sich krankzumelden, einfach blauzumachen. Er würde zurück ins Bett krabbeln und dann zusammen mit seinem kleinen Freund Krista wecken. Schließlich hatte er heute Geburtstag.

Doch schon wandte sich die Stimme seines Gewissen mit der üblichen Unnachgiebigkeit gegen die süße Versuchung. Es würde heute ein harter Tag im Klinikum werden - zumindest bis vierzehn Uhr. Danach würde er den Babysitter für eine Gruppe Medizinstudenten spielen müssen. Für diesen zusätzlichen Stressfaktor konnte er kein Mitgefühl erwarten. Jedes Jahr versprach er sich selbst aufs Neue, die Dozentenstelle an der Universität zu kündigen, und jedes Jahr nahm er lächelnd die Wiederernennung entgegen.

Widerwillig beschloss er, sich zusammenzureißen und seinen Pflichten nachzukommen. Schließlich wartete heute Abend noch eine >Überraschungs<-Party auf ihn. Die Vorfreude versetzte ihn jetzt schon in Hochstimmung und gab ihm neue Energie. Krista arrangierte jedes Jahr irgendeine Art von Geburtstagsfete für ihn, und er sah keinen Grund, warum sein siebenunddreißigster Geburtstag (»du alter Knacker«, neckte ihn seine innere Stimme) eine Ausnahme bilden sollte. Scott genoss diese Gewissheit Jahr für Jahr und ertappte sich dabei, wie er voller Erwartung vor sich hin grinste. Was nicht heißen sollte, dass Krista Bowman völlig berechenbar war. Zwar war sie stets liebevoll, besorgt, mütterlich und sexy - aber in anderer Hinsicht war nie vorherzusagen, was Mrs. Drapers jüngste Tochter, Krista Marie, als Nächstes anstellen oder auf die Beine stellen würde. Und das machte einen Grundzug ihres Charakters aus.