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Ihre Hände jedoch ... ihre Hände waren völlig unversehrt.

Kristas Hände.

Oh Gott, wie bleich sie waren.

Scott ließ das Laken sinken, um Kristas linke Hand in seine zu nehmen(nimm diesen Ring als Zeichen meiner ehelichen Liebe und Treue) und küsste die eiskalten Fingerknöchel.

Warum lässt sich ihr Ellbogen nicht biegen ?

Er hielt ihre Hand. Umfasste sie. Versuchte sie zu wärmen. Durch den Tränenschleier hindurch erkannte er ihre Ringe. Da war der kleine Diamantring, den er ihr in jener Nacht auf dem Bootssteg übergestreift hatte. Und daneben der schlichte Goldreif, den er ihr bei der Trauung im Büro des Friedensrichters überreicht hatte.

»Ist sie's?« Holleys Stimme war nur ein fernes Flüstern. »Ist das Ihre Frau?«

Aber nein ... Ihre Hände waren ja gar nicht unversehrt, sie waren geschwollen. Scott merkte es, als er versuchte, ihr die Ringe abzuziehen. Er konnte sie nicht über die unteren Fingerknöchel streifen. Als er daran zerrte, wurde ihm ein zischendes Geräusch bewusst: sein eigener Atem, wie er merkte, ein angestrengtes Ein- und Ausatmen zwischen zusammengepressten Zähnen. Es kam ihm so vor, als dringe die Kälte des toten Körpers seiner Frau in ihn ein, als ströme sie wie Eiswasser, das in offene Adern gepumpt wird, auf sein lebendiges Herz zu.

Als er die Ringe von den Fingern gelöst hatte, ließ er Kristas Hand fallen. Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen, glaubte aber, ein schwaches Knacken von Sehnen gehört zu haben. Er griff nach dem Laken, um sie wieder zu bedecken, doch Dr. Holley tat es an seiner Stelle.

Wie ein angerostetes mechanisches Spielzeug, das man aufgezogen hat, stolperte Scott aus dem Raum und ging in Richtung eines Lagerraums der Notaufnahme davon. Gleich darauf holte Holley ihn ein und führte ihn hinaus.

Sie saßen in einem kleinen, düsteren Büro, Holley hinter einem mit Papierstapeln übersäten Schreibtisch, Scott, den Kopf in die Hände gestützt, ihm gegenüber. Holley zündete seine Pfeife an, inhalierte tief und stieß eine bläuliche Rauchwolke aus. Als er sich vorbeugte, wirkte sein scharfes Gesicht geradezu unheimlich, da das schwache Licht der Schreibtischlampe es von unten anstrahlte. Er sprach Scott sein wenig tröstliches Beileid aus.

»Tut mir Leid, Dr. Bowman. Ist bestimmt ein furchtbarer Schock. Ein furchtbarer Schock.«

Scott hörte den Untersuchungsbeamten gar nicht, zumindest gab er in keiner Weise zu erkennen, dass er die Worte aufgenommen hatte. Er registrierte lediglich einen Schmerz in seiner Faust, wo sich Kristas Ringe ins Fleisch gegraben hatten (er spürte dort etwas Heißes, Feuchtes: Schweiß, vielleicht auch Blut), und das ständige Summen in seinem Kopf, das ihn verrückt machte. Sein Hirn war ein Wirrwarr unterschiedlicher Gleise, die sich ohne jedes System kreuz und quer überschnitten, ein einziges Chaos bildeten. Und auf diesen Gleisen rasten die Gedanken wie Dampflokomotiven dahin und drohten ständig, aus der Spur zu geraten. In seinem Kopf passierte alles gleichzeitig: Er stand an der Bahre in der Notaufnahme, sah Kaths angsterfülltes Gesicht und hatte die Zeichnungen und den unheimlichen Alten vor Augen, der, tausend Meilen von ihm entfernt, festgebunden im Rottstuhl saß.

Ihm kam es so vor, als werde sein Kopf gleich platzen. »Wie ist es passiert?«, flüsterte er und hielt sich an Kristas Ringen fest.

Holley zog sich aus dem Schein der Schreibtischlampe zurück, so dass er sich fast im Schatten verlor. Er hatte den Raum bewusst dunkel gelassen, da er das Gefühl hatte, es könne ein wenig beruhigen und dazu beitragen, den Schock des plötzlichen Verlustes zu mildern. Leider war es eine Szenerie, in der er schon allzu oft hatte agieren müssen. Ehe er antwortete, zog er nochmals an der Pfeife.

»Man hat den Wagen an einer niedrigen Steinmauer etwa fünfunddreißig Kilometer von der Stadt entfernt gefunden. Ein Bauer hat den Unfall gemeldet. Was die Ursache betrifft, kann ich nur spekulieren. Offenbar waren keine weiteren Fahrzeuge in den Unfall verwickelt. Ich nehme an, Ihre Frau hat aus irgendeinem Grund die Herrschaft über den Wagen verloren. Vielleicht war sie übermüdet oder ist zu schnell gefahren. Diese Landstraßen sind schmal und haben viele Kurven, oft sind sie auch schlecht markiert. Gut möglich, dass...«

»Landstraße?«, fragte Scott und hob den Kopf. Sein Gesicht wirkte völlig ausgezehrt.

Holley tauchte zurück in den Lichtkegel über dem Schreibtisch. »Ja, eine von mehreren Nebenstraßen, die kleinere Orte mit der Interstate verbinden. Der Polizeibeamte, der den Unfall untersucht, hat berichtet, dass er über der Sonnenblende die Quittung einer Reparaturwerkstatt nahe Byfield gefunden hat. Probleme mit dem Kühler, hat er, glaube ich, gesagt. Sie war auf dem Rückweg zur Hauptverkehrsstraße, als es passiert ist.«

Das Summen in Scotts Schädel verstärkte sich. Unsichtbare Ameisen schwärmten über seinen Körper. Er sog den Atem ein, hatte dabei aber ein Gefühl, als sei ihm eine Fischgräte im Hals stecken geblieben. Plötzlich drohte ihm der Gestank von Holleys Pfeife den Magen umzudrehen. Benommen und unruhig hin und her rutschend, schloss er die Augen.

Er sah den Volvo auf der Zeichnung vor sich, der eingedrückt an einer niedrigen Steinmauer stand, während aus dem Kühler Dampf entwich. Das Wageninnere war dunkel und verriet nichts. »Sie haben eine Steinmauer erwähnt.« Für Scott waren die ' Worte so bitter wie Galle.

»Ja.« Holley zog sich wieder in den Schatten zurück, so dass seine Stimme wie die eines Geistes wirkte. »Sie sind gegen die Steinmauer geprallt, die den Friedhof von Hampton Meadow umschließt.«

24

Als Scott ein Kind von sechs oder sieben Jahren gewesen war, hatte ein Spielgefährte ihm irgendwann einen Basketball zugeschleudert, der ihn so heftig in den Solarplexus getroffen hatte, dass ihm die Luft aus den Lungenflügeln gepresst wurde. Sein Brustkorb, aus dem jede Luft entwich, war gleichsam erstarrt Es war ihm so vorgekommen, als habe er minutenlang nicht mehr Atem holen können. In dieser Zeitspanne hatte sich sein Bewusstsein getrübt. Hinter seinen Augenlidern waren winzige bunte Sternchen aufgeblitzt, während seine Finger zu kribbeln begannen. Genauso fühlte er sich jetzt: so atemlos, als habe ihm jemand gewaltsam alle Luft aus der Lunge gepumpt. Oder so, als habe ein unerwartet heftiger Stromschlag den Mechanismus in seinem Brustkorb außer Kraft gesetzt, der den Atemfluss regulierte, und ihm damit auch die Fähigkeit zu denken und zu abstrahieren genommen.

Auch diesmal bemerkte ihn Caroline zunächst gar nicht, als er Kaths Zimmer auf der Intensivstation betrat - und wieder hatte Scott das Gefühl, es sei nichts real. Ihm ging der Gedanke durch den Kopf, dass sich ein Geist so fühlen mochte: zwar durchaus imstande, alles zu beobachten, aber zu seiner Verzweiflung völlig unfähig, Kontakt mit der Umwelt herzustellen und sich in das Leben ringsum einzumischen.

Gleich darauf fiel ihm auf, dass Carolines Gesicht wachsbleich, schweißnass und vor Angst verzerrt war und sie mit ihren Fäusten an den Mundwinkeln zerrte. Als sie sich, während ihr Gesicht noch eine Spur bleicher wurde, umwandte und ihm zwischen heftigen Schluchzern mitteilte, Kath habe gerade eben gesprochen, spürte Scott, wie sich in seiner Brust alles verkrampfte. Im nächsten Augenblick hörte er es selbst, vernahm Kaths Stimme, die so hohl klang, als dringe sie aus großer Tiefe zu ihm herauf. Tot war das Einzige, was sie sagte, ehe sie von Krämpfen geschüttelt wurde.

Es begann langsam, fast unmerklich: Ihr leidgeprüftes Gesicht erschlaffte, der Hals blähte sich leicht auf, die Glieder begannen sachte zu zittern - und dann erfasste das Beben ihren ganzen Körper, als sei eine Sicherung in ihrem Nervensystem durchgebrannt. Während ihre Arme und Beine einen wilden Rhythmus auf die Matratze trommelten, krümmte sich ihr Rückgrat, bis es knackte.