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Ehe Scott sich rührte, ehe sich seine medizinische Ausbildung schließlich durchsetzte und er das Offensichtliche diagnostizierte - einen epilepsieähnlichen, komatösen Anfall —, empfand er ganz kurz eine irrationale Abscheu vor seinem Kind. Während er zusah, wie sich Kath mit Zischlauten hin und her warf, ihre Augen aus den Höhlen traten, der Mund schäumte und Urin die Vorderseite ihres Nachthemdes befleckte, traf ihn eiskalt eine plötzliche, furchtbare Erkenntnis: Irgendetwas Pechschwarzes, Mächtiges, Altersloses sickerte in schmierigen Tropfen - Tropfen, die er fast riechen konnte -aus dem Körper seines Kindes heraus. Und dieses Etwas war das Böse.

Noch ehe Caroline aufschrie und Pflegepersonal ins Zimmer eilte, schwand das Gefühl wieder. An seine Stelle trat eine rationale Stimme in Scotts Kopf, die ihm die schlichte Wahrheit verkündete: Es ist ein Schüttelkrampf, nichts -weiter als ein Schüttelkrampf Allerdings glaubte er jetzt zu verstehen warum gottesfürchtige Menschen früherer Epochen angenommen hatten, Satan der Leibhaftige sei in den Körper jener gefahren, die sich in Krämpfen wanden. Denn außer einer vagen körperlichen Ähnlichkeit hatte das, was sich da in Zuckungen auf dem Bett wand, nichts mehr mit seiner Tochter gemein.

Scott taumelte vorwärts, um nach Kath zu greifen, aber der Arm eines Krankenpflegers hinderte ihn daran und geleitete ihn weg vom Bett, in dem Kath schreckliche Grunzlaute von sich gab, hin und her rollte und sich besudelte. Er konnte nur noch flüchtig einen letzten Blick auf ihr verzerrtes Gesicht werfen, ehe die schrecklich grellen Vorhänge in Regenbogenfarben zugezogen wurden und das Bett aus dem Blickfeld verschwand. Aber dieses Bild brannte sich ihm ins Gedächtnis.

Er wusste genau, was sie tun würden, um Kaths Anfall zum Stillstand zu bringen: Man würde ihr einen Beißschutz zwischen die Zähne zwängen; eine Schwester, vielleicht unterstützt von einem Pfleger, würde die zuckenden Glieder mit ihrem gesamten Gewicht niederdrücken; der Assistenzarzt würde ein paar Milligramm Valium in den Tropf geben, damit sich der Krampf legte. Auf diese Weise würden sie Kath so weit sedieren, dass sie für mehrere Stunden ruhig gestellt war.

Aber das war nur ein Bruchteil dessen, was Scott durch den Kopf ging, während er, Caroline an die Brust gedrückt, vor Kaths Krankenzimmer stand und hörte, wie hinter ihm die Überwachungsgeräte verrückt spielten. In seinem Inneren bäumte sich ein Dämon auf, ein tolldreistes, klumpfüßiges Etwas, das Dr. Holleys Gesicht trug. Und dieser Dämon behauptete, es sei seine eigene Frau, die er in der Notaufnahme steif und entstellt auf der Bahre hatte liegen sehen.

Er versuchte ihm einzureden, der Leichnam auf dieser Bahre sei die tote Hülle der Frau, die er vor zehn Jahren geheiratet hatte, die Hülle seiner vor ein paar Stunden noch lebendigen Ehefrau, seiner warmen Insel aus Fleisch und Blut.

Doch von solch unverschämten Behauptungen wollte Scott nichts wissen. In Gedanken fuhr er dem Dämon an die Kehle, zerrte alle schmutzigen Worte aus ihm heraus, erstickte seine Lügen in einem Schwall aus Knorpel und Blut, während er sich selbst dabei zusah ... Und dann sah er, wie sie alle drei - Krista, Kath und er selbst - unter zwei Scheinwerfern, die Regenschirmen ähnelten, Arm in Arm dastanden und lächelten. Sie posierten für das Familienporträt, das er in seinem Büro auf das Regal hinter dem Schreibtisch gestellt hatte. Es war das Foto, das ihm irgendwann vor tausend Jahren, als er noch geglaubt hatte, etwas vom Leben zu verstehen, abhanden gekommen war. Als Nächstes sprangen seine Gedanken zur Anlegestelle, zu Krista und Kath, die über ihm knieten, während sich sein Brustkorb hob und senkte und er das Wasser des Sees aus seinen Lungen spuckte. Ihm fiel ein, wie ihn trotz aller Angst schon der Gedanke, dass sie bei ihm waren und ihn liebten, getröstet hatte. Und dann kam er wieder an den Ausgangspunkt zurück, zu Dr. Holley(sie sind gegen die Steinmauer geprallt, die den Friedhof von Hampton Meadow umschließt) und zu den Zeichnungen, die all das vorhergesagt hatten.

Nach und nach wurde ihm Carolines Anwesenheit bewusst. Als er merkte, dass sie immer noch schluchzte und in ihrer Verwirrung und Verzweiflung Trost brauchte, nahm er sie fester in die Arme. Gemeinsam warteten sie darauf, dass irgendjemand den Vorhang zur Seite ziehen würde.

Der Assistenzarzt, der benommen und erschöpft wirkte, kam als Erster heraus und teilte Scott mit, sie hätten Kaths Anfall in den Griff bekommen, sie schlafe jetzt friedlich. Er werde den zuständigen Chefarzt informieren. Am kommenden Morgen werde als Erstes ein Neurologe nach ihr sehen und sie untersuchen. Danach bot er Scott und Caroline an, sie zu einem Angehörigenzimmer auf dem Stockwerk zu bringen wo sie sich hinlegen und vielleicht auch ein wenig Schlaf finden könnten.

Scott lehnte ab, drängte Caroline aber dazu, das Angebot anzunehmen. Zögernd folgte sie dem Assistenzarzt. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, sie wirkte völlig geschafft.

Nachdem Scott in Kaths Zimmer zurückgekehrt war, zeigte ihm eine Krankenschwester, wie er den großen Sessel am Fenster zu einer Liege ausklappen konnte. Ein Weilchen später streckte er sich darauf aus und versuchte, sich auszuruhen. Doch wieder und wieder schlug er die Augen auf, um auf Kaths Gesicht nach Anzeichen dafür zu suchen, dass sie wieder bei Bewusstsein war. Glücklicherweise hatte sich ihr starrer Gesichtsausdruck gelockert; sie blickte nicht mehr ins Leere, ihre Augen hatten sich endlich geschlossen. Scott nahm an, dass das Valium seine Wirkung tat. Sie schien friedlich zu schlummern, genau wie der Assistenzarzt gesagt hatte.

Irgendwann fiel Scott Jinnie ein. Er stand auf, um die Stoffpuppe zu holen. Als er sie aus der Flugtasche kramte und dabei auf die Zeichnungen stieß, zerrte er sie ebenfalls heraus. Nachdem er die Puppe Kath aufs Kopfkissen gelegt hatte, zog er sich wieder auf die Liege zurück. Im fahlen, gelbrötlichen Lichtschein der Gangbeleuchtung faltete Scott die Zeichnungen auseinander und ging sie Bild für Bild durch, bis er innerlich erschauerte und es nicht länger ertrug. Mit Tränen in den Augen, die sein Blickfeld trübten, faltete er die Skizzen wieder zusammen und verstaute sie in seiner Hemdtasche.

Und genau in dem Moment, als er dachte, er werde nie wieder Schlaf finden, auf immer und ewig erschöpft, aber hellwach daliegen, die Bilder seiner von Krämpfen geschüttelten Tochter und des entstellten Leichnams seiner Ehefrau vor Augen, kam der Schlaf schließlich doch. Der Schockzustand und die Erschöpfung der letzten vier Tage wirkten so heftig zusammen, als habe er eine Überdosis von Beruhigungsmitteln geschluckt. Er fiel in einen Schlaf voller Albträume, in denen tote Männer herumspazierten. Sein einziger Gefährte war der Kummer.

25

Als Dr. Holley am Mittwochmorgen auf die Intensivstation kam, fand er Scott zusammengerollt auf dem Liegesessel vor. Mit leerem Blick starrte er auf sein Kind, das noch nicht wieder bei Bewusstsein war. Es war ihm anzusehen, dass er kaum geschlafen hatte. So behutsam wie möglich wies der Untersuchungsbeamte Scott auf die unangenehmen Pflichten hin, um die er sich würde kümmern müssen, da sie keinen Aufschub duldeten.

»Sie werden entscheiden müssen, was mit dem Leichnam geschehen soll«, sagte er in einem Ton, den Scott sofort einordnen konnte. Dr. Holley und seine Kollegen wandten diesen Ton gegenüber den verlorenen Seelen an, die man gemeinhin als die trauernden Hinterbliebenen bezeichnete.

»Normalerweise kümmert sich das Beerdigungsinstitut um alle Formalitäten, die Abholung des Leichnams, die Überführung und all das. Sie müssen dort nur anrufen und Bescheid sagen. Außerdem müssen Sie sowohl für Ihre Frau als auch für Ihre Tochter einige Formulare ausfüllen und das Auto abholen oder abholen lassen. Soweit ich weiß, hat es den Wagen zwar ziemlich erwischt, aber es ist keineswegs ein Totalschaden.« Holley seufzte. »Haben Sie schon irgendwelche Verwandten benachrichtigt?«