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Scott knüllte die noch nicht vollendete Serie zu einer Kugel zusammen und schleuderte sie zu Boden. Das Klemmbrett warf er aufs Bett. Dann trat er hinter den Rollstuhl.

Abrupt fasste er nach den Handgriffen und wirbelte den Rollstuhl herum. Ein Speichelfaden schlug dabei vom Kinn des Alten nach oben und heftete sich an dessen Wange.

»Sie können mit dem Spielchen aufhören, Rowe«, sagte Scott, ohne dabei die nackte Angst verbergen zu können. »Ich weiß jetzt alles über Sie.«

Der Alte reagierte nicht, produzierte aber weiterhin Düfte, die nach Straßenkatze rochen, genau wie vor vier Tagen, als Scott versucht hatte, ihm den Bleistift aus der knotigen Faust zu winden.

Scott umfasste Rowes runzliges gelbes Gesicht und zerrte es auf die Höhe seines eigenen. Er bemühte sich, etwas, irgendetwas in diesen tief liegenden Augen zu erkennen - Augen, die so sehr Kaths Augen ähnelten, wie Scott sie zuletzt gesehen hatte.

»Bitte«, sagte er den Tränen nahe, während vor seinem geistigen Auge Kath auftauchte, die bleich und mit leerem Blick in ihrem Bett lag. »Bitte hören Sie auf damit.« Er packte das schlaffe, runzlige Gesicht noch härter an, so dass sich die Lippen des Alten wie ein Karpfenmaul spitzten. »Sie kann doch gar nichts dafür ...«

Der Zeichner beugte sich vor, befreite sich aus Scotts Griff und streckte die Hände nach dem Klemmbrett auf dem Bett aus. Scott packte die Armlehne des Rollstuhls und sorgte dafür, dass das Klemmbrett ein paar Zentimeter außer Reichweite blieb. Aber der Alte gab nicht auf, sondern streckte weiter die Hände aus und grunzte, während sich seine deformierten Finger wie die eines Ertrinkenden -oh ja, wie die eines Ertrinkenden - in die Luft krallten.

Dieses Gefühl kannte Scott... Und plötzlich kehrte das Entsetzen, das er unter dem Anlegesteg empfunden hatte, so erschreckend unvermittelt und deutlich wie ein Albtraum zurück. Er spürte das Wasser am Hals, so als hätten sich kräftige Hände darum gelegt, Hände, die ihn würgten und ihm die Luft nahmen ...

Scott ließ den Rollstuhl los und taumelte, die Hände an die Kehle gerissen, zurück. Sein Körper war ohne jede Kraft und prickelte vor Drang nach Sauerstoff. Mühevoll schaffte er es, Luft zu holen.

kratz, kratz, kratz...

»Hören Sie auf!«, brüllte Scott und ließ eine Hand wie ein Schwert heruntersausen, so dass sich das Klemmbrett aus dem Griff des Alten löste und klappernd zu Boden fiel. »Hören Sie auf damit!« Er grub seine Fäuste in Nicholas Rowes Nachthemd und zerrte ihn mit letzter Kraft hoch. »Krista ist tot!«, schrie er das teilnahmslose Skelett, das er umklammerte, an. »Krista ist tot, und ich will meine Tochter zurück!« Mit aschgrauem Gesicht bückte er sich, schnappte sich das Klemmbrett und stieß es dem Alten grob in die Rippen.

»Hier, du Mistkerl. Zeichne!« Es klang lächerlich - als wolle ein Revolverheld den Polizeichef der Stadt zum Duell herausfordern. »Zeichne meine Tochter als normales Mädchen, oder ich bring dich um!«

Der Zeichner reagierte mit einem Furz, dem feuchten, widerlichen Furz eines Greises.

Und zum ersten Mal, seit Scott ihn gesehen hatte, schien er zu grinsen.

Scott klatschte ihm mit der Rückseite der Hand voll ins Gesicht und hob schon den Arm, um erneut zuzuschlagen, als ihn etwas am Handgelenk packte. Er befreite sich aus der Umklammerung, wirbelte herum - und sah sich Jane Copeland, der Pflegedienstleiterin, gegenüber.

»Doktor Bowman!«, brüllte sie. »Sind Sie wahnsinnig geworden?«

»Raus!«, bellte Scott. »Sofort raus!« Er ging wie eine Dampfwalze auf sie los.'

Copeland fuhr zurück. »Was geht hier vor, Doktor? Mein Gott, er ist doch nur ein alter Mann ...«

»Raus!«, wiederholte Scott und ballte die Fäuste. »Er hat meine Frau umgebracht.« Mit einem Teil seines Verstandes erkannte er, wie verrückt das klingen musste, aber das machte ihm jetzt nichts mehr aus. »Er hat meine Frau umgebracht, und jetzt will er auch noch meine Tochter töten.«

»Waaas?« Die Pflegedienstleiterin stolperte durch die Tür auf den Gang. »Ich hole jetzt Sicherheitsleute, verdammt noch mal. Lassen Sie den alten Mann in Ru...«

Die zuschlagende Tür schnitt ihr die letzten Worte ab. Scott sperrte ab und zog das Bett als Barrikade vor den Eingang. Als er sich wieder dem Alten zuwandte, merkte er, dass seine Beine so weich wie Gummi waren.

Der Zeichner stierte vor sich hin, während mit Blut vermischter Speichel aus seinem Mund sickerte und der Bleistift in seiner Hand Schwindel erregend schnell über die Seite flog.

Mit bedrohlich gebleckten Zähnen torkelte Scott vorwärts, um nachzusehen, was der Alte zeichnete - und fiel wie ein schlaffer Sack zu Boden, denn seine Beine gehorchten ihm nicht mehr. Als sein Kinn auf die Fliesen schlug, begann die alte Wunde erneut zu bluten.

Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Der Alte grinste tatsächlich.

Nach und nach zog sich Scott bis zu dem widerlichen Kerl im Rollstuhl vor. Mittlerweile bewegte sich der Bleistift mit unfassbarer Geschwindigkeit. Und das klang wie das weit entfernte Flüstern von Verdammten. »Was zeichnen Sie? Warum sagen Sie nichts?« Das heimtückische Flüstern hörte keinen Moment auf. »Es war ein Unfall. Wir waren doch nur unreife Jungs ... und hatten furchtbare Angst. Wir haben doch nicht absichtlich ...«

Wie irgendein unheimlicher, Furcht erregender Despot hielt Nicholas Rowe, an seinen Rollstuhl gebunden, inne und starrte in Scotts vom Wahnsinn gezeichnete Augen. Und einen schrecklichen Augenblick lang hatte Scott das sichere Gefühl, dass der Alte reden würde. Stattdessen zog er ein einzelnes Blatt aus dem Klemmbrett und ließ es auf den Boden fallen. Es landete vor Scotts Augen.

Es enthielt mehrere Cartoons: Ein alter Mann lag auf dem Rücken, auf einer Bahre. Sein im Sterben aufgerissener zahnloser Mund stand offen. Ein wohlbeleibter Arzt in weißem Laborkittel beugte sich über ihn, um ihm an der Brust die Saugnäpfe für die Elektroden anzulegen, denn sein Herz sollte durch Stromstöße wieder zum Schlagen gebracht werden. Auf dem letzten Cartoon war zu sehen, wie es einen Kurzschluss gab, zwei wie in einem Comic gezeichnete Stichflammen aus den Elektroden schossen und der Arzt durch den Stromschlag getötet wurde.

Brian Horner.

Ein weiteres Blatt, dessen Skizzen jedes grausame Detail zeigten, flatterte zu Boden.

Jake Laking.

Jake Laking, wie er ein Repetiergewehr vom Ständer holte und mit nach oben nahm, wo seine Familie beim Fernsehen saß. Wie er es zuerst auf seine Frau, dann auf seine Kinder und zuletzt auf sich selbst richtete und jedes Mal abdrückte.

Schließlich schwebte das aus dem Messingrahmen gerissene Familienfoto aus Scotts Büro auf den Boden, langsam und in großen Bögen, wie Herbstlaub. Mit Blut war ein großes X darüber geschmiert.

Wieder begann der Bleistift Unheil verkündend zu kratzen. Scott, der inzwischen wie ein Kind schluchzte, kroch auf die Füße des Alten zu. »Hören Sie auf«, flehte er unter Tränen. »Hören Sie auf... Sie kann doch gar nichts dafür, kapieren Sie das denn nicht? Bitte!« Er zog sich auf die Knie hoch und benutzte dabei die Speichen des Rollstuhls als Stütze.

Langsam und wohl überlegt neigte der Alte das Klemmbrett Scott zu, so dass er die gerade entstehenden Zeichnungen flüchtig sehen konnte. Dabei hielt der Bleistift keinen Augenblick inne; mit übermenschlicher Schnelligkeit sauste er über das Blatt, schuf die Umrisse mit derartiger Geschwindigkeit, dass sie sich fast zu bewegen schienen.